Gegen die Überlastung

Mit einer Musterklage will eine Krankenpflegerin für bessere Arbeitsbedingungen sorgen

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit Jahren kämpft Verdi für Entlastungstarifverträge. In Lippe klagt eine Pflegerin nun vor Gericht.
Seit Jahren kämpft Verdi für Entlastungstarifverträge. In Lippe klagt eine Pflegerin nun vor Gericht.

Mehr als 50 Überlastungsanzeigen hatte eine Palliativkrankenpflegerin des Klinikums Lippe in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen gestellt. Sie beklagten eine Unterbesetzung der Station, Überstunden, und dass gesetzlich vorgeschriebene Pausenzeiten nicht eingehalten werden konnten. Weil die Klinikumsleitung darauf nicht reagierte, zog sie vor das Arbeitsgericht in Detmold. Das lehnte ihre Klage am Mittwoch ab, doch damit ist der Rechtsstreit nicht vorbei.

»Diese Musterklage ist ein einmaliger Vorgang in Deutschland. Wir betreten hier juristisches Neuland«, erklärt Walter Brinkmann vom Aktionsbündnis Klinikum Lippe gegenüber »nd«. Das Bündnis aus Gewerkschaftern, Patienten und politischen Organisationen hatte die Beschäftigte bei ihrer Klage unterstützt. Ziel ist eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung.

Laut WDR-Recherchen war die Palliativstation des Klinikums in Lippe in den vergangenen Jahren immer wieder unterbesetzt. Mit verheerenden Folgen: Patient*innen konnten teils nur unzureichend versorgt werden. Zudem sei eine psychologische Betreuung der Schwerkranken kaum möglich gewesen. Die klagende Pflegefachfrau habe wiederholt spontan entscheiden müssen, welcher Patient Priorität hat. Den Recherchen zufolge haben Beschäftigte den Verdacht geäußert, dass Todesfälle im Klinikum mit dem Personalmangel im Zusammenhang stehen könnten.

Die Geschäftsführung des Klinikums Lippe weist die Vorwürfe zurück. »Wir halten die Klage für unzulässig und darüber hinaus für unbegründet«, heißt es gegenüber »nd«. Laut Klinikum hatte sich der Rechtsanwalt der Palliativkrankenpflegerin bereits im November 2023 erfolglos mit einer Beschwerde an den zuständigen Betriebsrat gewandt. Der sah damals keinen Anlass, aktiv zu werden, und wies das Ersuchen der Beschäftigten zurück, wie es heißt.

Die Pflegefachfrau verklagte daraufhin ihren Arbeitgeber und zog vor Gericht. Die Klinikumsleitung argumentierte, dass die Ansprüche, wenn überhaupt, nur von einem Betriebsrat geltend gemacht werden könnten. Das Gericht folgte dieser Argumentation und wies die Klage zurück.

Die Rechtslage ist komplex. Brinkmann, selbst einstiges Betriebsratsmitglied und Gewerkschafter, erklärt, dass bestimmte Kollektivansprüche wie Arbeitsschutz im Betrieb, Pausenzeiten, Arbeitsbedingungen und Arbeitsgefährdungsbeurteilungen stets der Zustimmung eines Gremiums wie einem Betriebsrat bedürfen. So seien etwaige individuelle Ansprüche einzelner Mitarbeiterinnen gegenüber der Klinikumsleitung schwierig durchzusetzen.

Zudem hat die Geschäftsleitung den Sprecher des Aktionsbündnisses verklagt. Er soll mehrfach öffentlich Äußerungen getätigt haben, die wahrheitswidrig seien und zulasten des Klinikums und seiner Leitung gehen, wie es heißt. Es sei bereits versucht worden, Unterlassungsansprüche außergerichtlich durchzusetzen – bislang ohne Erfolg. Für das Aktionsbündnis um Brinkmann ist das ein strategisches Vorgehen, um Kritiker einzuschüchtern und von ihrem Engagement abzubringen. Der Vorstandsvorsitzende des Klinikums Lippe, Landrat Axel Lehmann (SPD), bezieht »zu laufenden Verfahren keine Stellung«, teilt der Landkreis auf Nachfrage mit.

Dennoch wollen Beschäftigte und das Aktionsbündnis weitermachen. »Wir versuchen weiter, eine zulässige Klage durchzusetzen«, erklärt Brinkmann. Die Klägerin will Berufung einlegen und vor das Landesarbeitsgericht ziehen. Zur Not auch weiter, sagt Brinkmann. Würde der Musterklage in den höheren Instanzen tatsächlich stattgegeben, käme das einem Grundsatzurteil gleich. Das hätte Auswirkungen auf »Zigtausende Beschäftigte in allen Branchen«, sagt er. Und dann auch für das Klinikum Lippe, das entsprechende Maßnahmen umsetzen müsste.

Personalmangel und starke Arbeitsbelastung sind bundesweit in den Kliniken ein Problem. Auch darum streitet die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi seit Jahren für sogenannte Entlastungstarifverträge, die unter anderem einen Personalschlüssel festlegen sollen.

Für die Lipper Linke ist das Klinikum ein weiteres Beispiel für die Probleme, die mit einer Ökonomisierung des Gesundheitswesens einhergehen. »Das derzeitige und vermutlich auch das zukünftige Krankenhaussystem macht solche krassen Zustände erst möglich. Wir stehen deshalb für eine andere Gesundheitspolitik. Gesundheit ist keine Ware«, wie Ursula Jacob-Reisinger und Matthias Uphof für den Linke-Kreisvorstand mitteilen.

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