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Bioladen als Kollektiv: »Wir wollten keine Hierarchien mehr«

Irene Joa über die Umwandlung eines Berliner Bioladens in einen Kollektivbetrieb und die Unmöglichkeit, sich gegen Supermarktketten durchzusetzen

Irene Jona von Bioase, dem kleinen Supermarkt in der Neuköllner Karl-Marx-Straße
Irene Jona von Bioase, dem kleinen Supermarkt in der Neuköllner Karl-Marx-Straße

Was motiviert Sie, einen kleinen Bioladen in Neukölln zu betreiben?

Während meiner Mutterschaft wollte ich etwas Neues beginnen, das mich wieder sozial integriert, zu meiner Identitätsfindung und auch zu neuen Kontakten beiträgt. Und ich fand die Themen Lebensmittel und Essen, auch die Frage, was »bio« eigentlich ist, schon immer sehr spannend. Sie haben mich auch während meines Designstudiums – auch wenn mein Studium wenig mit Nachhaltigkeit zu tun hatte – immer beschäftigt. So bin ich dann 2021 zu einem Teilzeitjob hierher gelangt.

Wie sind Sie innerhalb weniger Jahre zu einer der Geschäftsführerinnen geworden?

Die Tätigkeit hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich habe mich auch sozial gut aufgehoben gefühlt. Man hat immer Neues erfahren, zum Beispiel woher die frische Ware kommt und auch warum welche Biomarke eher vertretbar ist als eine andere. Als die damaligen Besitzerinnen 2022 – fast zehn Jahre nach der Eröffnung – nicht mehr weitermachen wollten, haben einige Beschäftigte in einer Hauruck-Aktion entschieden, den Laden zu übernehmen. So wurde daraus ein Kollektiv.

Wie drückt sich das praktisch aus?

Vorher sollten wir als Angestellte einfach nur ausführen. Die Besitzerinnen hatten das Administrative, die Bestellungen und die Buchhaltung gemacht. Letztlich wollten wir dieses alte Konzept nicht mehr, in dem von oben delegiert wird. Wir wollten keine Hierarchien mehr, sondern eher eine Aufgabenteilung mit jeweils zugeordnetem Verantwortungsbereich, bei der jeder grob über alles, was anliegt, Bescheid weiß und mitsprechen kann.

Gibt es ein Beispiel, bei dem Sie etwas mitentschieden und verändert haben?

Es gab vorher beispielsweise keine Kinderspielsachen. Dabei war die »Bioase« immer auch ein bisschen Kaufmannsladen und ein bisschen Reformhaus. Das haben wir auch beibehalten.

Ist die Arbeit durch die neuen Strukturen besser geworden?

Ja, dadurch ist es uns möglich, den Laden insgesamt abwechslungsreicher zu gestalten. Das klingt ein bisschen lapidar, aber wenn sich eine Person zum Beispiel bei Weinbestellungen einarbeitet, kann sie in dieser Abteilung tatsächlich spezieller arbeiten und sich damit beschäftigen, was nachgefragt wird oder was unsere Kundschaft geschmacklich interessieren könnte. So haben wir – ein weiteres Beispiel – inzwischen auch eine größere Bandbreite an Käse.

Kann man sagen, je mehr Leute mitdenken, desto besser?

Es hat ein Für und Wider. Für mehr Inspirationen und dafür, den Laden visionär interessanter zu gestalten, ist ein Kollektiv super. Aber es wird auch chaotischer, Entscheidungsprozesse brauchen teilweise länger oder Verantwortlichkeiten sind ungeklärt, was auch zu Reibereien führen kann. Es ist teilweise wie in einer Groß-WG, wenn einer beispielsweise immer das Klopapier aufbraucht und niemals ersetzt. Das nervt dann auch mal. Und das passiert auch hier.

Interview

Irene Joa ist Diplomdesignerin und gehört dem Kollektiv »Bioase« an, das einen kleinen Supermarkt in der Neuköllner Karl-Marx-Straße betreibt. Sie ist Mutter eines viereinhalbjährigen Kindes, selbst Tochter einstiger Hong-Kong-chinesischer Einwanderer und im niedersächsischen Delmenhorst aufgewachsen.

Können Sie Erfahrungen aus Ihrem Studium hier nutzen?

Visuell schon, zum Beispiel beim Gemüseaufbau. Welche Kombination der frischen Produkte in der Kiste ergibt Sinn und sieht hübsch aus? Wenn du einen grünen Spargel hast, sieht der schön aus, wenn er mit einem blauen Rettich oder Radieschen mit frischen Blättern daneben kombiniert ist? Das verleitet tatsächlich sehr zum Hineinbeißen und riskiert, mal ausprobiert zu werden. Aus unserem Kollektiv kommen viele aus dem kreativen Bereich, haben Design und Kunst studiert.

Wie erklären Sie sich, dass gerade diese Kreativen nun zusammen einen Bioladen machen?

Na ja, das liegt auch an Berlin. Aber im Zuge der ganzen gesellschaftlichen Krisen stellen sich dir mehr und mehr Fragen. Wenn du wie ich aus dem Modedesign kommst, fragst du dich, ob es wirklich immer was Neues anzuziehen braucht. Wenn es am Ende heißt, dass die produzierte Ware ein paar Monate später, weil keine Lagerkapazitäten mehr da sind, einfach verbrannt wird, ist das irrsinnig. Deswegen und auch wegen des fragwürdigen sozialen Umgangs in diesen Kreisen glaube ich, dass es immer mehr studierte Modedesigner gibt, die das irgendwann traurig macht und die sich nach Alternativen umsehen.

Was meinen Sie mit mehr oder weniger vertretbaren Biomarken?

Es gibt größere und kleinere Unternehmen und sogar börsennotierte, gerade unter den Molkereien. Da stellt sich bei uns immer die Frage: Wollen wir deren Produkte unbedingt haben? Einige unserer Kunden kaufen diese Produkte. Wollen wir diese Kundschaft verlieren? Diese uns ständig umtreibende Frage ist nicht leicht zu beantworten. Seit kurzem verzichten wir auf einen großen Biogetränkelieferanten und setzen jetzt auf einen kleineren, der wirklich lokal herstellt, also auch die Früchte und das Obst lokal bezieht.

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Spüren Sie Auswirkungen der Preis-
steigerungen?

Wir merken, dass sich das Einkaufsverhalten selbst von langjährigen Mitgliedern enorm verändert hat. Deswegen sind wir auch dabei, unser Konzept als Vollsortiment-Supermarkt ein wenig an die Zeit anzupassen. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine 2022 erhöhen sich die Einkaufspreise stetig, wir müssen sie natürlich sofort auf die Verkaufspreise umlegen, sonst können wir uns ja gar nicht halten. Auch die Fixkosten haben sich stark erhöht. All das sind summa summarum nicht ideale Bedingungen. Mittlerweile ist die Inflation ein wenig gezähmt, was eine Erleichterung ist, doch weiterhin sind unsere Fixkosten hoch.

Wie können Sie sich gegen große Biosupermarktketten durchsetzen?

Wir können uns eigentlich gar nicht durchsetzen. Und wir können uns auch – allein schon preislich – nicht mit den Ketten messen, die sogar eine eigene Werbeabteilung haben. Wir sind sehr darauf angewiesen, dass die Leute aus Überzeugung zu uns kommen und mit ihrem Einkauf unsere Existenz als Kiezladen sichern.

Wer sind Ihre Kunden?

Wir sind uns darüber klar, dass es denen, die bei uns einkaufen, nicht allzu schlecht gehen kann. Um trotzdem Menschen mit weniger Geld einzubeziehen, haben wir die Möglichkeit einer Mitgliedschaft, die geringere Preise vorsieht. Wer monatlich unter 1000 Euro zur Verfügung hat, muss nur einen Sozialbeitrag zahlen. Und Leute, die viel zur Verfügung haben, gleichen das mit einem höheren Mitgliedsbeitrag aus.

Ihr Bioladen befindet sich zwischen Geschäften, in denen hauptsächlich Migrantinnen und Migranten einkaufen. Auf der einen Seite ein Handyshop, auf der anderen Seite ein Schuhdiscounter …

… der bald schließt.

Wie sind Sie mit Ihrer Nachbarschaft verbunden?

Ich lebe selbst noch gar nicht so lange hier, noch keine zehn Jahre. Von älteren Anwohnern, die bei uns einkaufen, höre ich immer mal, dass die Karl-Marx-Straße eine schöne Einkaufsstraße gewesen sei. Sie meinen damit, dass es sehr unterschiedliche Einzelhandelsgeschäfte gab, denen sie nachtrauern. Wir in der »Bioase« haben inzwischen immer mehr Kundinnen und Kunden, die eher migrantisch sind und nicht weiß. Wir haben es als Kollektiv mit unseren Veränderungen geschafft, dass sich auch die Kundschaft verändert hat. Das ist gut, weil dieser ganze Biomarkt und -konsum ursprünglich sehr weiß war. Jetzt kommen immer mal wieder Leute, die beispielsweise den lokalen, speziellen Honig kaufen, den sie schätzen. Darunter sind auch Menschen, die man normalerweise nicht in einen Bioladen erwarten würde und die dort ein bestimmtes Produkt einkaufen. Es kommen auch Menschen aus dem Kiez einfach so mal zum Kaffeetrinken, und das ist ganz cool.

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