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Volksfront siegt, RN verfehlt Ziel
Nach der von Präsident Macron herbeigeführten Neuwahl steht Frankreich vor komplizierter Suche nach einer Regierungskoalition
Im Ergebnis des zweiten Wahlgangs vom Sonntag gibt es jetzt im Parlament drei politische Blöcke, von denen aber keiner allein regieren kann, sodass die Bildung einer Koalition nötig wird, was für Frankreich neu ist und kompliziert werden dürfte.
Die Volksfront, das Bündnis der linken Parteien und Organisationen, errang 180 der 577 Sitze der Nationalversammlung, wobei 71 Sitze auf La France insoumise entfielen, 64 auf die Sozialisten, 33 auf die Grünen, 9 auf die Kommunisten und 3 auf andere Linke. Kurz hinter der Volksfront folgt auf dem zweiten Platz das Regierungsbündnis Ensemble, wobei hier 98 Sitze Emmanuel Macrons Partei Renaissance gehören, 34 François Bayrous Zentrumspartei Modem, 26 der von Ex-Premier Edouard Philippe gegründeten Partei Horizons und 4 unabhängige Zentrumspolitiker hinzukommen.
Das rechtsextreme Bündnis Rassemblement National (RN), in dem man im Vorfeld bereits den voraussichtlichen Sieger gesehen hatte, erreichte mit 143 Sitzen nur den dritten Platz, was weit unter der angestrebten absoluten Mehrheit liegt, für die 289 Sitze nötig gewesen wären. Hier entfallen 126 Sitze auf das Rassemblement national selbst und 17 auf die Überläufer von der rechtsbürgerlichen Partei der Republikaner, die sich unter Führung ihres Parteichefs Eric Ciotti den Rechtsradikalen angeschlossen hatten. Der Rest der historischen LR zusammen mit unabhängigen rechten Abgeordneten ist mit 67 Sitzen in der Nationalversammlung vertreten.
Hinzu kommen 25 weitere unabhängige Abgeordnete, die sich am ersten Sitzungstag der neuen Nationalversammlung am 18. Juli für die eine oder andere Fraktion entscheiden werden, sodass sich die endgültige Sitzverteilung noch einmal geringfügig verändern wird.
Das spektakuläre Ergebnis des zweiten Wahlgangs wurde nur möglich durch die »Republikanische Front«, die in Frankreich Tradition hat und bei der es darum geht, dass im zweiten Wahlgang bei drei Kandidaten in einem Wahlkreis derjenige mit den geringsten Aussichten zurücktritt oder durch seine Partei zurückgezogen wird, um so den Sieg des Kandidaten der Rechtsextremen zu verhindern.
Das hat auch diesmal wieder funktioniert, obwohl man Zweifel haben konnte, zumal seit Wochen Präsident Emmanuel Macron, Premier Gabriel Attal, Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire und andere Politiker des Regierungslagers die Volksfront diffamiert haben. Aufgrund der grob-verbalen pro-palästinensischen Attacken von Jean-Luc Mélenchon und anderer LFI-Politiker stellten sie die ganze Volksfront auf eine Stufe mit den Rechtsextremen.
Doch jetzt werden sie mit der Volksfront verhandeln müssen, um eine regierungsfähige Koalition zu bilden. Zu der könnten um das bisherige Regierungslager herum Sozialisten, unabhängige Linke und Grüne gehören sowie Politiker der historischen Republikaner und unabhängige Rechte.
Dass RN eine regierungsfähige Koalition bilden kann, ist ausgeschlossen, weil es dafür an potenziellen Verbündeten fehlt, aber völlig offen ist auch, wie eine Koalition mit der Volksfront als Zentrum aussehen könnte.
Hier ist Mélenchon nur fünf Minuten nach der offiziellen Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen vorgeprescht und hat erklärt: »Der Präsident hat verloren. Das muss er anerkennen und dem muss er sich beugen. Ihm bleibt nur, die Neue Volksfront zu beauftragen, die neue Regierung zu bilden. Sie wird ihr Programm umsetzen, nicht mehr und nicht weniger. Dazu gehört vor allem die Rücknahme der Rentenreform, die Blockierung der Preise für Grundnahrungsmittel und die Anhebung des Mindestlohns auf 1600 Euro. Wer in eine Koalition mit uns eintreten und mitregieren will, muss das anerkennen.«
Die führenden Vertreter der Volksfront-Parteien sind noch am späten Sonntagabend zusammengekommen um zu beraten, wen sie dem Präsidenten als neuen Regierungschef vorschlagen werden. Das Ergebnis ist nicht bekannt, aber es steht bereits fest, dass es keinesfalls Mélenchon sein wird, den nicht nur die Gegner der Volksfront, sondern auch ehemalige Mitstreiter wie beispielsweise der jetzt unabhängige linke Abgeordnete François Ruffin als zu radikal ansehen.
Premierminister Gabriel Attal hat Sonntagabend in einer kurzen Ansprache angekündigt, dass er noch am Montag dem Präsidenten seinen Rücktritt und den der Regierung anbieten wird. Es ist zu erwarten, dass Macron den Premier und die Regierung bitten wird, bis auf Weiteres die laufenden Geschäfte weiterzuführen.
Begründet wird das zweifellos mit den bevorstehenden Olympischen Spielen. Aber vor allem gewinnt man so Zeit, um aus der verzwickten politischen Situation herauszufinden und eine tragfähige Lösung für die nächsten Monate zu finden, entweder bis nächsten Sommer, wenn frühestens wieder das Parlament aufgelöst und vorzeitige Neuwahlen anberaumt werden können, oder gleich bis 2027, wenn die nächsten turnusmäßigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden.
Kommt keine Regierungskoalition mit der Volksfront zustande, hat man immer noch die Möglichkeit, dass die bisherige Regierung im Amt bleibt und ihre relative Mehrheit im Parlament von Fall zu Fall durch ausgehandelte Koalitionen mit anderen Parteien ergänzt. Sie wäre aber der Gefahr eines Misstrauensantrags der Oppositionsparteien ausgesetzt, durch den sie jederzeit gestürzt werden könnte.
Ein anderer Ausweg wäre, die Suche nach einer politischen Koalition aufzugeben und eine »technische« Regierung aus parteilosen Fachleuten zu bilden, wie 2021-2022 in Italien unter Mario Draghi, und mit ihr bis zu den nächsten turnusmäßigen Wahlen zu amtieren.
Der RN-Parteichef Jordan Bardella hat in seiner Ansprache am Sonntagabend bereits angekündigt, was die Rechtsextremen bis dahin erreichen wollen: »Millionen unserer Anhänger sind frustriert und fühlen sich durch politische Manöver um ihren Sieg betrogen. Doch die Dynamik, die uns heute ermöglicht hat, die Zahl unserer Abgeordneten fast zu verdoppeln, ist die Grundlage für unsere weitere Arbeit und den grundlegenden Umschwung, den wir zweifellos 2027 erreichen werden.«
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