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Arbeit für alle als Götterbote
Der Paketdienst Hermes beschäftigt in seinem Logistikzentrum in Ketzin Menschen aus 20 Nationen
Im Logistik-Zentrum des Hermes-Versands in Ketzin befördern Bänder Päckchen und Pakete mit hohem Tempo. Vollautomatisch werden sie oben in der Halle nach Lieferadressen sortiert und rutschen auf einer Art Wendeltreppe ohne Stufen nach unten an die Stellen, wo sie in einen von außen herangefahrenen Container geladen werden. Er wird dann in ein Depot oder ein anderes Logistikzentrum gefahren und von dort werden die Pakete an ihren Bestimmungsort gebracht.
Das Beladen der Container ist körperlich schwere Handarbeit. Daran musste sich der Ukrainer Andrej Babenko erst gewöhnen. In seiner Heimat saß er als Steuerberater im Büro. Das hier ist etwas ganz anderes. »Das Leben hat mich dazu gezwungen«, bermerkt Babenko schulterzuckend und mit einem Lächeln auf den Lippen. Vor zwei Jahren floh er nach Deutschand, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte. Doch mit seinem Beruf konnte er hier nichts anfangen, weil das ukrainische Steuerrecht ein anderes ist und er zunächst auch kein Wort Deutsch sprach. Darum hat Babenko umgehend als Leiharbeiter bei Hermes angefangen und ist inzwischen übernommen worden.
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Babenkos Schicksal ist exemplarisch dafür, wie sich die Belegschaft von Hermes inzwischen zusammensetzt. »Wir sind ein rein deutsches Unternehmen, das zu Otto gehört«, erläutert Manager Harald Schnetgöcke. Von den 6000 Mitarbeitern sind aber mittlerweile nur noch 69 Prozent Deutsche. Die übrige Belegschaft wird zunehmend bunter und stammt momentan aus 90 verschiedenen Nationen. 15 Prozent des Personals sind Polen, fünf Prozent sind Ukrainer. Davon abgesehen sind die Leute beispielsweise aus Syrien, dem Iran, Nigeria, Kamerun und Algerien, aber auch aus Ungarn, Italien und der Slowakei.
Für viele Zuwanderer und Geflüchtete sei wegen fehlender Sprachkenntnisse oder nicht zu erbringender Nachweise über Berufsabschlüsse ein Paketdienst wie Hermes »die erste Anlaufstelle«, sagt Schnetgöcke. Hier genügt es, wenn sie die lateinische Schrift kennen und die Adressen auf den Paketen lesen können. Für bestimmte Tätigkeiten ist nicht einmal das erforderlich, etwa wenn jemand nur dafür eingesetzt ist, Container vollzupacken. Dann macht es nichts aus, nur arabische oder kyrillische Schriftzeichen entziffern zu können oder vielleicht sogar Analphabet zu sein.
Babenko lernt nach Feierabend Deutsch an der Volkshochschule und spricht schon ein paar Worte. Als er sich am Donnerstag mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) unterhält, lässt er sich aber lieber von seiner Landsfrau Elena Larisch übersetzen. Sie lebt bereits seit 1998 in der Bundesrepublik, ist bei Hermes Betriebsrätin und hilft bei Verständigungsschwierigkeiten. Larisch bestätigt, dass alle gut miteinander klarkommen, selbst die Russen mit den Ukrainern. Es gibt sogar welche, die miteinander verheiratet sind. Wenn sie über den Krieg unterschiedlicher Meinung sind, dann unterlassen sie es, sich darüber zu streiten.
Ministerpräsident Woidke besucht das Logistikzentrum am Donnerstag gemeinsam mit Ramona Schröder, der Regionaldirektionschefin der Arbeitsagentur. Beide sind angetan von dem, was sie sehen und hören. Woidke sagt, die meisten Flüchtlinge seien bei ihrer Ankunft »hochmotiviert«, eine Arbeit aufzunehmen. Das gehe aber leider oft durch den langen Warteprozess verloren. »Die Herausforderung ist, die Menschen möglichst schnell zu integrieren. Die schnellste Integration läuft über Arbeit«, ist Woidke überzeugt.
Regionaldirektionschefin Schröder ergänzt, es lebten derzeit 28 000 Geflüchtete in Brandenburg, die arbeiten dürfen. Bedauerlicherweise seien nicht alle Firmen so offen für diese Menschen wie Hermes.
Manager Schnetgöcke sagt dazu, das größte Problem sei zwar die Sprachbarriere. Aber sie sei hier im Logistikzentrum nicht wirklich ein Hindernis. Zur Not würden sich die Leute mit Händen und Füßen verständigen. Es sei niemand sauer, wenn deutsche Kollegen jemandem etwas fünf Mal sagen müssen, bis er es verstehe. Es sei sogar gelungen, Stellen für zwei Gehörlose zu finden, darunter ein Ukrainer, der zwar Lippen lesen könne, allerdings nur, wenn sein Gegenüber Ukrainisch spreche.
Schnetgöcke hat herausgefunden, dass die deutschen Kollegen im Prinzip durchaus anfällig dafür seien, extreme Parteien zu wählen. Wie er sagt, sind das aber nicht mehr diejenigen, die bei der Arbeit Kontakt mit Geflüchteten haben, Vorurteile abbauen und sich gut mit diesen verstehen. Die Geflüchteten wiederum seien mit ihrer Arbeit tatsächlich zufrieden, auch wenn sie in der Heimat höher qualifizierte Tätigkeiten verrichtet haben, beteuert Schnetgöcke. Sie würden auch »jenseits des Mindestlohns bezahlt«, also besser, als man gemeinhin denke. In der Bevölkerung herrsche noch ein anderes Bild von der Branche vor, weiß der Manager. Paketdienste waren bekannt für besonders krasse Ausbeutung. Aber das sei heute nicht mehr so, versichert Schnetgöcke.
Weil es zuletzt an Arbeitskräften mangelte, war Hermes gezwungen, Flüchtlingen eine Chance zu geben. Anders hätte das Unternehmen keine 1,6 Milliarden Euro Umsatz im Jahr machen können.
- Im Hermes-Logistikzentrum in Ketzin im Havelland arbeiten 220 bis 250 Beschäftigte in drei Schichten an sechs Tagen in der Woche. Dazu kommen noch Leiharbeiter.
- Zu Stoßzeiten, etwa im Weihnachtsgeschäft, kann Hermes 20 Prozent mehr Sendungen bewältigen als sonst.
- Insgesamt bewegt Hermes täglich 1,3 bis 1,5 Millionen Pakete. In Ketzin sind es bis zu 350 000 am Tag. Damit ist es das leistungsfähigste von insgesamt elf Hermes-Logistikzentren in Deutschland. Außerdem gibt es noch 30 Depots.
- Das Unternehmen verfügt über 17 000 Paketshops, die etwa in Tankstellen oder Blumenläden integriert sind.
- Zu den 6000 Angestellten kommen noch 10 500 Zusteller. af
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