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Mehr Demokratie wagen?
Der Aufruf zum Aufbau der Beteiligungsrechte ist jetzt online
Die Demokratie steht unter Druck«, warnt der Aufruf. »Das Vertrauen untereinander und in die Politik schwindet.« Der Aufruf, der von Vertretern verschiedener Organisationen veröffentlicht wurde, appelliert an den Ausbau und die Erweiterung demokratischer Mittel. So seien mehr als die Hälfte der Brandenburgerinnen und Brandenburger mit der Ausgestaltung der Demokratie nicht mehr zufrieden. »Das besorgt uns«, fährt der Text fort. Dem setzen die Initiatoren die Forderung nach einem »starken Demokratie-Paket« entgegen. Der Aufruf wurde am Freitag im Internet freigeschaltet und kann per Unterschrift unterstützt werden.
Im Kern zeigten sich die Initiatoren davon überzeugt, dass mit einer Erweiterung von Beteiligungsmöglichkeiten den Menschen das Interesse an Demokratie wieder vermittelt werden könnte. Entsprechende Erwartungen richten sie an die nächste Landesregierung, die aus den Landtagswahlen am 22. September hervorgehen wird. Diese betreffen die Felder Beteiligung, Transparenz, direkte Demokratie und Demokratieförderung. Vorgeschlagen wird der Aufbau einer landesweiten Kompetenz- und Servicestelle für Beteiligung, ferner ein Beteiligungsförderprogramm.
Oliver Wiedmann von Mehr Demokratie e.V. sprach von einem geringer werdenden Vertrauen in die Institutionen Landesregierung und Landtag. Er warb für einen Ausbau der Beteiligungsmöglichkeiten, so in Fragen der Mitsprache der Einwohner bei örtlichen Bebauungsplänen. In Grünheide habe sich eine Mehrheit der Menschen gegen eine Erweiterung des Tesla-Werks ausgesprochen, die Gemeindevertretung indessen hat dafür grünes Licht gegeben. Das sei ein Negativ-Beispiel.
»Wir freuen uns über eine hohe Wahlbeteiligung.«
Oliver Wiedmann Mehr Demokratie e.V.
Franziska Sperfeld vom BUND Brandenburg sieht in der Senkung von Beteiligungshürden bei Volksinitiativen und -begehren einen Weg, wieder Interesse für demokratische Prozesse zu wecken. Brandenburg sei eines der wenigen Länder, in denen die Straßensammlung bei der Gewinnung von Unterschriften für ein Volksbegehren nicht möglich ist. Daher habe diese Form der Direktdemokratie im Bundesland noch nie zu einem Volksentscheid geführt. Kai-Uwe Kärsten von Mitmachen e.V. sagte, der Freistaat Sachsen weise mit seiner Förderrichtlinie Bürgerbeteiligung gute Wege.
Tatsächlich liegt ein Austrocknen der Demokratie in Brandenburg nicht vor, und von einem Schwinden an Interesse an solchen Prozessen kann keine Rede sein. Denn inzwischen beteiligen sich mehr Menschen an Wahlen und glauben, auf diese Weise Einfluss ausüben zu können. Zwischenzeitlich hatte die Wahlbeteiligung drastisch abgenommen: Nachdem sich der Landtag jahrelang in einer Enquete-Kommission um die »Aufarbeitung der Aufarbeitung« gekümmert hatte, ging die Hälfte der Brandenburger gar nicht mehr zur Urne.
»Auch wir freuen uns über eine hohe Wahlbeteiligung«, unterstrich Oliver Wiedmann von Mehr Demokratie e.V. Er fügte hinzu, dass dies aber auch der Ausdruck der gesellschaftlichen Polarisierung sei.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Für Kai-Uwe Kärsten vom Verein Mitmachen entsteht Demokratie nicht allein aus dem Wahlakt. Stattdessen sei sie ein Produkt aus der Einfluss- und Beteiligungswirkung. Kärsten räumt ein, dass in vielen Fällen die Bürgerhaushalte den Menschen nur die Entscheidung in marginalen Fragen gestatteten. In der Gemeinde Werde in Potsdam-Mittelmark sei man da schon weiter: Dort entstehe der Eindruck nicht, dass Demokratie nur simuliert oder vorgetäuscht werde.
Volksinitiativen, das Streben nach lokalen Bürgerabstimmungen und andere Formen, die repräsentative Demokratie auszuhöhlen, haben indessen nicht nur Freunde. So entstehe der Verdacht, dass sich auf diese Weise gut vernetzte, agile und technisch versierte Minderheiten gegen Mehrheiten durchsetzen können. Oliver Wiedmann hält dem entgegen, dass Volksinitiativen in der Regel von großen Bündnissen getragen werden und am Ende eine Situation entstehen soll, »in der alle aufgefordert sind, abzustimmen«. Richtig sei, eine Form zu finden, in der »nicht nur die Lauten Wirkung entfalten, sondern auch die Stillen«.
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