Antiziganismus: Erinnern mit Zeugen

Die Veranstaltungsreihe »Memory Matters« in Schleswig-Holtsein betont die Notwendigkeit einer pluralistischen Erinnerungskultur

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.
Ort des Erinnerns an Antiziganismus unter Beschuss: Das Denkmal der durch die Nazis ermordeten Sinti und Roma in Berlin-Tiergarten droht, einer S-Bahnerweiterung zum Opfer zu fallen.
Ort des Erinnerns an Antiziganismus unter Beschuss: Das Denkmal der durch die Nazis ermordeten Sinti und Roma in Berlin-Tiergarten droht, einer S-Bahnerweiterung zum Opfer zu fallen.

Gesellschaftliche Empathie – dafür wirbt die Veranstaltungsreihe »Memory Matters« der Sinti-Union in Zusammenarbeit mit der Coalition for Pluralistic Public Discourse (CPPD). CPPD ist ein Netzwerk aus Aktiven in Kultur, Medien, Politik und Wissenschaft, die zu pluralistischer Erinnerungskultur arbeiten und forschen.

»Memory Matters« fand am Donnerstag und Freitag in Neumünster (Schleswig-Holstein) statt. Teil der Reihe war die Ausstellung »Codes of Memory in Roma- und Sinti-Communities«. Wie aktuell die Erkenntnisse der Ausstellung sind, wird an einem Fall vor dem Amtsgericht Neumünster am Freitag deutlich, bei dem die Sinti-Union Schleswig-Holstein zum wiederholten Mal wegen Diskriminierung klagt.

Klägerin ist Kelly Laubinger, Geschäftsführerin der Sinti-Union Schleswig-Holstein, die wegen Verstoßes gegen das Antidiskriminierungsgesetz vor Gericht zieht. 2022 war sie bereits mit einer Klage gegen ein Neumünsteraner Fitnessstudio erfolgreich (nd berichtete).

Diesmal sitzt ein Hotelbetreiber auf der Anklagebank, der im vergangenen Oktober eine Zimmerreservierung durch Laubinger für den renommierten Lyriker Max Czollek zu dessen Lesereise verhinderte. Nach anfänglicher Zusage wurde die Reservierung mit Verweis auf Laubingers Familiennamen wieder zurückgenommen: »Die Reservierung hierfür wurde aufgrund ihres Nachnamens schriftlich abgelehnt«, hieß es wortwörtlich in der Ablehnung.

Nach Scheitern eines gütlichen Schiedsverfahrens sagte der Hotelinhaber vor dem Amtsgericht sogar, dass für ihn der Name Laubinger »verbrannt« sei. Er bestreitet außerdem, dass Laubinger eine Sinteza sei. Mehrere Vorfahren von Kelly Laubinger wurden von den Nazis ermordet. Das Urteil im Prozess soll am 31. Juli verkündet werden.

Laubinger musste sich ihr heutiges Selbstbewusstsein erst erarbeiten und erkämpfen: »Sich einmischen, nerven und stören«, so beschreibt sie inzwischen ihre Hartnäckigkeit in Fragen der Diskriminierung von Sinti und Roma, die sie unverändert feststellt.

Daher sind Aufklärung, Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, aber auch Gedenken, Erinnern und Lernen aus der Vergangenheit in ihren Augen essenziell – vor allem die Einbeziehung von Opfern und deren Angehörigen. Dass dabei so viel schiefläuft, sei oft nicht mit der Floskel »gut gemeint, schlecht gemacht« zu entschuldigen.

Bevor sich eine Gesprächsrunde diesem Thema in der Veranstaltungsreihe widmete, versammelten sich die Teilnehmenden am Mahnmal für die ermordeten und deportierten Sinti und Roma. Dort sind 39 Namen aufgelistet, allein 18 aus Kelly Laubingers Familie.

Zur Veranstaltungsreihe in Neumünster gehörte auch das im Vorjahr in Berlin ins Leben gerufene »Dynamic Memory Lab«, ein kleiner Holzpavillon, der zahlreichen Informationen über die vielfältige Kultur und Historie der Sinti- und Roma-Minderheit aufwartet. Das Lab als »mobile Infobörse« ist Ende September sogar in Madrid zu erleben.

Zwei Workshops lieferten zudem praktisches Handwerkszeug für Mut machendes Engagement: Zum einen ging es um die Erstellung von »Zines«, kleinen Magazinen als Publikationsmedium in der Erinnerungskultur.

Größeren Zuspruch fand ein Film- und Diskussionspanel zum verantwortungslosen Umgang staatlicher Stellen mit dem rassistischen Neonazi-Mordanschlag in Mölln 1992. Als direkt Betroffener berichtete Ibrahim Arslan, der den Anschlag als kleines Kind überlebt hat, über die jahrzehntelange Kontinuität ausgrenzenden und instrumentalisierten Gedenkens in Mölln.

Mölln, Solingen, Lübeck, Hanau, Halle und bei allen Morden des rechtsterroristischen NSU: Überall hat die postmigrantische Gesellschaft nach Auffassung von Max Czollek in der Aufarbeitung versagt. Für Arslan ist es beschämend, dass viele Schulveranstaltungen, bei denen er sich als Betroffener Diskussionen stellt, keinerlei öffentliche Unterstützung erfahren. »Wenn die Betroffenen in der Gedenkarbeit ignoriert oder gezielt ausgegrenzt werden, darf man sich nicht wundern, wenn diese das Erinnern mit ihrer Authentizität selbst in die Hand nehmen«, schildert Arslan die Entstehung der »Möllner Rede im Exil«.

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