Es hätte so Fußball gewesen sein können

Am Ende der EM stellt sich medial betrachtet die Frage aller Fragen: Warum kann jeder Moderator werden?

  • Jürgen Roth
  • Lesedauer: 5 Min.
EM-Moderation im Fernsehen war meistens Ballaballa
EM-Moderation im Fernsehen war meistens Ballaballa

Zum Schluss, meinte Jürgen Kohler am vergangenen Sonntag im »EM-Doppelpass« auf Sport1, habe sich »am Ende des Tages« gezeigt, dass wir uns alle »ein Stück weit freuen« könnten über diese vier Wochen der völligen Völkerverständigung; »die Fankultur hat das ja miterlebt«, und der Weltfrieden ist ebenfalls gewaltig voranmarschiert.

Omid Nouripour fläzte auch schon wieder in dieser galaktischen Talkrunde herum (welcher Kasper lädt den immerzu ein?) und sumste irgendwas rund um irgendeine »Grundeuphorie« zusammen, was damit zu tun gehabt haben dürfte, dass die unterprivilegierten Goldsäcke, Spesenkönige und Beleidigtsein-Künstler aus den genialen Berliner Regierungsparteien über 700 VIP-Karten frei zur Verfügung hatten und sich somit zu selfiesüchtigen Sonderbeauftragten fürs Besuchen von Fußballspielen hatten mausern können.

Unser mediales »Umschaltverhalten« (ZDF-Experte René Adler) ließ im Laufe des Turniers zwar aufgrund eines erheblichen Kräfteverschleißes »ein Stück weit« (Thomas Hitzlsperger) nach, was uns indes nicht daran hindert, hier noch einmal kursorisch und »eckpfeilerlich« (Alexander Bommes, genannt »Die ARD-Bombe«, am Finaltag) hinzulangen, denn der versammelte Rotz »war wirklich Bilderbuch, nicht wahr?« (Bommes, dito genannt »Die Waffel«).

Es gilt bedingungslos der Zweite Hauptsatz der televisionären Thermodynamik: Überführung von Energie und Zeit in ein chaotisches Durcheinander, in Zerfaserung und Haltlosigkeit.

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Die ARD fuhr nicht bloß die Reporterin Lea Wagner auf, die aus dem Teamquartier in Herzogenaurach in unsere bescheidene Stube hineinmorste: »Toni Kroos hat gesagt, wir haben das Potenzial, das Land anzuzünden.« Die Anstalt brillierte zudem mit unserem ewigen »Morgenmagazin«-Tölpel Peter Großmann, der am 4. Juli das Ei des Kolumbus legte: »Der Erfolg lässt sich messen am Ergebnis.«

Nö, da wird nicht »zurückkritisiert« (Bommes, wer sonst?), das war schon »relativ top« (derselbe). Da galt für uns, was späterhin der Kommentator Gerd Gottlob auf dem platten Rasen hinsichtlich eines Stürmers (Name vergessen) erlinste: »Und da gelingt ihm ein Lächeln.« Wenn nicht gar ein Brechen.

Nun, die Regel der Unkulturindustrie ist, dass es sie gibt. Das sollten wir mal akzeptieren. Weshalb Julian »Wittgenstein« Nagelsmann den Mikrofonen anvertraute: »Die Regel ist faktisch so, wie sie ist.« Und daher umschiffte die relativ neue Großkraft Christina Graf, offenbar instruiert von ihrer Lehrerin Claudia »Umschaltbewegung« Neumann (allerdings ZDF), ziemlich konsequent Artikel und Personalpronomen und quetschte etwa das aus sich heraus: »Wieder Rice. Hatte im Viertelfinale Passgenauigkeit von 100 Prozent. Ganz starke Quote.«

Right, da war weiß Gott »’n bisschen Beef drin« (Stephanie Müller-Spirra, ARD). Darob ließ sich, um nicht ins Hintertreffen zu geraten, auch das ZDF nicht lumpen und fackelte erst mal die überirdisch behämmerte Gesprächstherapierunde »13 Fragen – Ist der Fußball zu politisch geworden?« ab – ein Thesengeklöppel und -gekloppe rund um Homophobie, Rassismus und Sexismus –, um sodann neben dem Ko-Kommentator Moritz Volz (Lieblingswörter: »Vororientierung« und »Klatschball«) die sattsam bekannten Experten Christoph Kramer (»Das war […] wirklich outstanding«) und Peer Mertesacker (»Das trägt sich auch über auf die nächste Leistung«) in die Waagschale zu heben, auf dass dieselben »sich aufzubrünsten« (Mertesacker) vermochten.

Die lernresiliente Claudia »nicht wirklich« Neumann haben wir nach 20 Minuten boykottiert. Sie benutzt einen Code unterhalb der Leichten Sprache (»Wenn Flanke kommt – gut«, »Das ist ein MFD – Mittelfeldspieler defensiv«) und wusste darüber hinaus dergleichen zu ventilieren: »Das sind die kleinen Augenblicke der Tiefe.« – »Sie gehen sehr proaktiv wieder in die zweite Halbzeit.« – »England wird alles daransetzen, den Gruppensieg zu erzeugen.« – »Dieses Spiel wird die Stellung von Gareth Southgate keineswegs geschmeidiger machen.«

Man sehe es uns nach: In Fragen des öffentlichen Redens sind wir »dermaßen altkonservativ, stalinistisch fast, stur« (Marcel Reif, »Reif ist live«), dass wir es nicht hinnehmen, dass allerorten ausnahmslos alles »verhühnert« (Reif) wird respektive wurde; insbesondere auf RTL. Das hatte mit der Sendung »EM-Studio – Alle Spiele, Tore, Emotionen« eine Bumsbude voller lauer Luft und Klatschvieh errichtet, in der selbstverständlich der unvermeidliche Effenberg thronte oder turmte (»Das ist schon fast in der Weltklasse drin«) und Markus Babbel, Fredi Bobić und – welch Überraschung! – Thomas Helmer. Allesamt hatten anderweitig anscheinend nichts zu tun, außer endlos Nullereien breitzutrampeln, um »einen Geist zu entfachen« (Moderatorin Jana Wosnitza), der seit Langem entfleucht ist.

Wosnitza zu Effenberg: »Mir gefällt’s, wenn du nach vorne denkst.« Moderator Elton: »Hauptsache Lockerheit.« Zwei beliebige Kommentare auf Youtube: »Warum kann denn jeder Moderator werden?« – »So viele Amateure bei RTL – Wahnsinn.«

Ein uns unbekannter RTL-Kommentator schrie während einer Matchzusammenfassung: »Beinah, beinah mit der großen Sensation! Es wäre so unverdient gewesen! Aber es wäre auch so Fußball gewesen!«

Es hätte so Fußball gewesen sein können. Doch in einem Fernsehen für die Kehrichtbeseitigungsanlage gilt bedingungslos der Zweite Hauptsatz der televisionären Thermodynamik: Überführung von Energie und Zeit in ein chaotisches Durcheinander, in Zerfaserung und Haltlosigkeit.

In »diesem geilen Sport« (Marco Hagemann), in dem sogar das Momentum kommt (»Da kommt jetzt natürlich ein wenig das Momentum, auch das emotionale«), sind »Kopf oder Köpfin« (Wolff-Christoph Fuss) verloren wie Hopfen oder Malz. »Seine Schnelligkeit kannst du nicht stoppen« (Steffen Freund), und trotzdem hauen wir nun mit Nico Schlotterbeck die Bremse rein. Der legte gegenüber Magenta-TV dar: »Wir ham’ was im Land ausgelöst, und wenn was von außen kommt, dann is’ man, glaub’ ich, ja, ganz froh, dass man des, ähm, ja, hineinkatalysieren kann in das Spiel, weil ich glaube, äh, ja, wir spiel’n mit Euphorie, wir spiel’n mit Spaß, und des is’ des, was, glaub’ ich, am Fußball das Schönste is’. Deswegen, ähm, freu’ ich mich riesig.«

Und »das ist wirklich ’ne Aussagekraft« (Bommes).

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