Versorgen, funken, Räder wechseln – Die Teamwagen bei der Tour

Ein Tag im Auto der sportlichen Leiter eines Radsport-Teams bei der Tour de France

  • Tom Mustroph, Nîmes
  • Lesedauer: 4 Min.
Betreuer des Teams Decathlon übergeben Flaschen und Verpflegung an ihre Radfahrer.
Betreuer des Teams Decathlon übergeben Flaschen und Verpflegung an ihre Radfahrer.

Treffpunkt ist der Mannschaftsbus am Start. Nicolas Guillé steuert das Teamauto Nummer 2, das jetzt noch neben dem Bus parkt. »Wir reihen uns gewöhnlich in die zweite Reihe ein. Gibt es eine Ausreißergruppe, fahren wir mit ihr vor. Wir folgen aber manchmal auch abgeschlagenen Fahrern. Unser Wagen Nummer 1 fährt dagegen immer direkt hinter dem Peloton. Er bleibt immer bei unseren Leadern«, erklärt Guillé das Prozedere dieses Tages. Jene Kapitäne sind bei dieser Tour der Ire Sam Bennett für die Sprintetappen und der Österreicher Felix Gall fürs Gesamtklassement und die Berge.

Seit fünf Jahren begleitet Guillé das Team Decathlon, früher AG2R, zur Tour. Zur täglichen Routine gehört, dass sein Wagen Nummer 2 schon vor dem Start losfährt und die erste Verpflegung übernimmt. »Wir bringen knapp zehn Kilometer zwischen uns und das Fahrerfeld. Dann stoppen wir, essen etwas, das ist auch für uns wichtig. Und dann warten wir auf das Peloton, um die Flaschen zu reichen. Danach reihen wir uns hinter dem Hauptfeld ein«, beschreibt der Sportdirektor den Tagesablauf.

Volle Konzentration bei der Verpflegung

Eine gute Stelle sei für die Verpflegung äußerst wichtig. »Wir suchen uns eine leichte Steigung aus, weil die Fahrer hier etwas an Tempo verlieren. Dann wird die Übergabe leichter. Im Flachen sind sie 40 bis 50 Kilometer pro Stunde schnell. Da wird das schwieriger, vor allem für die Sicherheit der Fahrer. Es kann Stürze geben«, erklärt der Franzose. 40 Flaschen für die acht Fahrer des Teams und ebenso viele Gels und Energieriegel befinden sich allein in diesem Fahrzeug. Die gleiche Menge hat auch Teamauto Nummer 1 an Bord. Sportdirektor Vincent Lavenu zudem fährt in einem dritten Fahrzeug voraus, das ebenfalls vollgepackt ist mit Verpflegung. »Außerdem setzt ein weiterer Wagen Betreuer am Straßenrand ab, damit sie an den festen Verpflegungspunkten die Fahrer versorgen«, erzählt Guillé. Die exakten Orte dafür hat er bereits in der App Veloviewer eingetragen. Dort notiert er auch jetzt seinen aktuellen Standort.

Veloviewer ist zu einem wichtigen Hilfsmittel der Rennfahrer und sportlichen Leiter geworden. Dort finden sie den kompletten Streckenverlauf. Gefahrenpunkte können extra markiert werden. Auch die Verpflegungslogistik kann ergänzt werden. Zudem gibt es meteorologische Informationen wie etwa Windstärken und Windrichtungen.

Teamfunk und Radio Tour zur Orientierung

Ansonsten sind die Informationen eher kärglich. Das Fernsehbild im Teamauto ist sehr instabil. Der Teamfunk, über den Fahrer und Sportliche Leiter Informationen über den Rennverlauf austauschen, reicht nur etwa zwei Kilometer weit, erzählt Guillé. Bleibt Radio Tour, der Sprechfunk des Veranstalters Aso. Er gibt aber nur Basisinformationen durch: etwa wenn ein einzelner Fahrer einen Defekt hat, die Zusammensetzung einer Spitzengruppe, wer gerade aus dem Hauptfeld zurückgefallen ist oder welche Fahrer den Anschluss ins Peloton wiedergefunden haben.

Von der Richtigkeit der Angaben kann sich Decathlons Teamleitung meist wenig später selbst überzeugen. Nach »Defekt Astana« steht am rechten Straßenrand tatsächlich der blauen Wagen des kasachischen Teams, der einen Fahrer mit einem neuen Rad versorgt. Die Profis, die als »zurückgefallen aus dem Hauptfeld« angekündigt werden, tauchen wenig später am Straßenrand aufgereiht zur Pinkelpause auf. Und die Fahrer, die den Konvoi später passieren, weil ein Defekt behoben wurde oder die Pinkelpause beendet ist, werden nur wenige Augenblicke später als »zurück im Peloton« gemeldet.

Der große Traum vom Toursieg

Mechaniker Marc Chevenement, der hinten rechts im Auto sitzt, hat an diesem Tag glücklicherweise wenig zu tun. Nur einen Kettenschaden beim Belgier Oliver Naesen gilt es zu beheben. Er ist aber für jeden Notfall gut gerüstet. Nicht mehr als zehn Sekunden brauche er, um ein komplettes Rad vom Dachträger zu holen und dem betroffenen Fahrer unter das Gesäß zu schieben, erzählt er. Die Anordnung der insgesamt acht Räder auf dem Auto spiegelt die Teamhierarchie wider: »Rechts sind die Fahrräder unserer Kapitäne montiert. Denn Marc sitzt auf der rechten Seite im Auto und ist beim Herauskommen schneller an den Rädern auf dieser Seite«, erläutert Guillé.

Beide sind noch nicht zufrieden mit dem Verlauf der Tour de France für ihr Team. Der angestrebte Etappensieg fehlt noch. Kapitän Gall liegt im Klassement auch weiter zurück als erhofft. Mit der generellen Entwicklung des Teams sind sie aber sehr glücklich. Mit dem neuen Sponsor kam mehr Geld und neues Material in den Rennstall. »Die Räder sind superschnell, unsere Fahrer sehr zufrieden damit«, behauptet Guillé. Schnell wurden in dieser Saison auch Siege eingefahren. Bis auf Platz drei im Teamranking des Weltverbands UCI stieß Decathlon im Frühjahr vor. Für das Jahr 2028 hat der neue Teamchef Dominique Serieys sogar den Toursieg als Ziel ausgerufen. Große Ambitionen also. In vier Jahren sollen die Teamautos bei Decathlon dann den künftigen Toursieger versorgen.

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