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Paris will beim dritten Mal Olympia mehr als nur Kulisse sein
Schon zweimal war Paris Olympiagastgeber. Aus dieser Geschichte zieht die Stadt nun ihre Lehren
Am kommenden Freitag starten die XXXIII. Olympischen Spiele der Neuzeit in Paris, und keine andere Stadt ist so mit dem Mann verbunden, der die Spiele Ende des 19. Jahrhunderts wieder aus der Versenkung geholt hat: Baron Pierre de Coubertin. Der 1864 geborene Aristokrat war zum Jurastudium in die USA ausgewandert, wo an den Universitäten sehr viel Sport getrieben wurde. Für ihn wurden die Sportarten Fechten, Rudern, Schwimmen, Boxen und Schießen zur Leidenschaft. Neben der Bewegung befasste er sich bald auch gründlicher mit der Rolle des Sports für Gesundheit und Psyche des Menschen. 1894 überzeugte der junge Mann dann die 2000 Delegierten des Pariser Weltkongresses für Athletische Erneuerung von seiner Idee, die Olympischen Spiele des antiken Griechenlands in zeitgemäßer Form wieder aufleben zu lassen.
Die ersten Spiele der Neuzeit wurden 1896 veranstaltet, symbolischerweise in Athen in einem dafür restaurierten antiken Stadion. Die zweiten fanden dann schon, wie von Coubertin immer geplant, in Paris statt. Das ist in Frankreichs Hauptstadt aber kaum bekannt. Bestenfalls ist von den Pariser Spielen aus dem Jahre 1924 die Rede, also vor genau 100 Jahren. »Die Spiele von 1900 sind völlig in Vergessenheit geraten, weil seinerzeit hier die Weltausstellung stattfand und sich deren Organisatoren gegen das von Coubertin geleitete Internationale Olympische Komitee durchgesetzt hatten«, erläutert Sporthistoriker Pascal Blanchard. »Auf ihren Druck hin hießen diese zweiten Spiele der Neuzeit offiziell nur Internationaler Wettbewerb für Leibesübungen und Sport. Sie waren nicht mehr als ein Anhängsel der Weltausstellung und wurden nur von wenigen Besuchern überhaupt wahrgenommen.«
Die Spiele im Jahr 1924 wurden auf ausdrücklichen Wunsch Coubertins erneut in Paris abgehalten und sollten nicht zuletzt den »Flop« von 1900 vergessen machen. »Die Austragung stand zunächst unter keinem guten Stern«, meint Blanchard. »Bei der Vergabe hatte die Stadt den Bau eines modernen und für jene Zeit riesigen Stadions am nördlichen Stadtrand mit 100 000 Zuschauerplätzen versprochen, doch die Finanzierung scheiterte an der aufziehenden Wirtschaftskrise.« So musste das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf den Vorschlag des privaten Racing Club de France eingehen. Dieser bot für den Bau eines wesentlich bescheideneren Stadions mit 45 000 Plätzen ein Gelände an, das der Klub im nordwestlichen Vorort Colombes besaß und für das er die Hälfte der Einnahmen aus dem Ticketverkauf verlangte.
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Debatten von 1924 und 2024 ähneln sich
Viele elitäre Mitglieder des IOC rümpften die Nase über die Arbeitervorstadt Colombes mit ihren zahlreichen Ausländerfamilien, aber es war die einzige Möglichkeit, die Spiele nicht scheitern zu lassen. In diesem Stadion fanden dann die Eröffnungs- und die Schlusszeremonie sowie die meisten Wettkämpfe statt. »Ganz in der Nähe gab es erstmals auch ein Athletendorf«, berichtet Blanchard. »Doch die zwölf Holzbaracken waren äußerst spartanisch, worüber sich viele Sportler beklagten. Die Delegation der USA mietete sogar in der Nähe ein leerstehendes Schloß und siedelte ihre Mannschaft dorthin um.«
Das Olympiastadion von Colombes lag 20 Kilometer vom Pariser Stadtzentrum entfernt, was zu einem Streit um die schlechte Verkehrsanbindung führte. Die Verlängerung einer Metrolinie kam aus Kostengründen nicht infrage, sodass schließlich nur eine Vorortbahn geringfügig umgeleitet und mit einem zusätzlichen Bahnhof ausgestattet wurde. »Die Debatten von 1924 und 2024 ähneln einander sehr«, meint Pascal Blanchard. »Neben der mangelhaften Verkehrsanbindung werden die horrend teuren Eintrittstickets und Hotelübernachtungen beklagt, dazu die Sorgen um das Budget, das aus dem Ruder zu laufen droht, und die Kriminalität. Heute kommt nur die Bedrohung durch Terroranschläge und Hackerangriffe hinzu sowie die Besorgnis um die Belastung der Umwelt.« Trotz der zahlreichen Probleme wurden die Spiele von 1924 am Ende ein großer populärer Erfolg, sodass sich Pierre de Coubertin zufrieden von seinem Posten als IOC-Präsident zurückziehen konnte.
Ansonsten blieb die in Paris erstmals verwendete Losung »Schneller, höher, weiter!« In die Geschichte gingen auch die fünf Goldmedaillen ein, die der finnische Läufer Paavo Nurmi errang, sowie die drei Siege des US-amerikanischen Schwimmers Johnny Weissmüller, der später als Tarzan eine erfolgreiche Filmkarriere einschlug. Insgesamt hatten rund 3000 Sportler aus 44 Ländern teilgenommen, davon waren 135 Frauen, denn beginnend mit dem Tennis setzten sich erste Verbände über Coubertins frauenfeindliche Einstellung hinweg. Wenn die Spiele von 2024 eröffnet werden, sind unter den 10 500 Teilnehmenden Männer und Frauen erstmals paritätisch vertreten.
Die größte Besonderheit wird diesmal jedoch sein, dass Paris nicht nur Kulisse ist, sondern mit vielen historischen Orten zum Austragungsort der Wettkämpfe wird. So ist die Eröffnungszeremonie nicht in einem Stadion, sondern als Schiffskorso auf der Seine geplant. Die Länderdelegationen werden auf mehr als 100 Schiffe verteilt, die je nach Teamstärke mehr oder weniger groß ausfallen. Sie fahren sechs Kilometer durchs Stadtzentrum, vorbei an mehr als 300 000 Zuschauern, bis zur Trocadero-Brücke am Eiffelturm, wo die Athleten an Land gehen, um der feierlichen Eröffnung beizuwohnen. Mehr als fünf Milliarden Menschen sollen die Spiele in den gut zwei Wochen danach in der ganzen Welt verfolgen.
Sitzensport an historischen Plätzen
Paris 2024 soll aber auch neue Maßstäbe für eine kostenbewusste Organisation von Olympischen Spielen mit möglichst geringer CO2-Belastung setzen. Darum wurden mit dem neuen Schwimmzentrum und den Wohnhäusern des Olympischen Dorfes nur extrem wenige Neubauten errichtet, deren Nachnutzung auch gesichert ist. Viele Wettkämpfe finden stattdessen in längst vorhandenen Anlagen wie dem Stade de France, dem Prinzenparkstadion oder dem von den French Open der Tennisstars bekannten Stade Roland Garros statt. Sogar eine für die Spiele 1924 errichtete Sportstätte, eine kürzlich renovierte Schwimmhalle am nordöstlichen Stadtrand, wird einbezogen, allerdings nur zu Trainingszwecken.
Für viele Indoor-Wettkämpfe werden geringfügig um- oder ausgebaute Veranstaltungssäle, Mehrzweckhallen und Messepavillons genutzt. Selbst das für die Weltausstellung 1900 errichtete und zuletzt renovierte Grand Palais an den Champs-Élysées dient nun als Heimat für Fechter und Taekwondo-Kämpfer. Die spektakulärsten Austragungsorte werden aber sicher die historischen Plätze und Parkanlagen sein, um die mobile Zuschauertribünen errichtet worden sind. So werden Sportfans auf dem für den Verkehr gesperrten Concorde-Platz Skateboarder, 3x3-Basketballer und Breaking-Tänzer anfeuern. Auf der Esplanade des Invalides wird mit Pfeil und Bogen geschossen, unterhalb des Eiffelturms Volleyball gespielt. Und im Park des Schlosses von Versailles kann man das Dressur- und Springreiten sowie den Modernen Fünfkampf verfolgen.
»Durch nur wenige Neubauten und die weitgehende Nutzung vorhandener Anlagen und Gebäude wollen wir die Ausgaben in Grenzen halten und mit den veranschlagten 8,8 Milliarden Euro auskommen«, betont Organisations-Chef Tony Estanguet. »Das ist das seit Jahrzehnten niedrigste Budget für Olympische Spiele. Gleichzeitig versteht sich Paris als Labor für neue Umweltschutzmaßnahmen im Sinne des Pariser Klimagipfels von 2015. Das Ziel besteht darin, den CO2-Ausstoß unter 1,5 Millionen Tonnen zu halten, während es bei den Spielen 2012 in London noch 3.4 Millionen Tonnen waren.«
Damit wie geplant die Wettkämpfe im Triathlon und Freiwasserschwimmen in der Seine stattfinden können, wurden in der Metropolregion mehr als eine Milliarde Euro in den Anschluss ganzer Vorstadtviertel ans öffentliche Abwassernetz investiert. Unter dem Zentrum selbst ist ein riesiges Auffangbecken errichtet worden, um zu verhindern, dass bei starken Niederschlägen das durch Straßenschmutz verunreinigte Regenwasser ungefiltert in die Seine gelangen kann, wenn das zu den Klärwerken führende Leitungsnetz doch überfordert sein sollte. Derartige Pläne und Ankündigungen hatte es seit 1977 immer wieder mal gegeben, verwirklicht wurden sie aber erst jetzt im Hinblick auf die Olympischen Spiele. Um den Erfolg der Maßnahmen zu demonstrieren, stiegen mittlerweile schon Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra sowie Bürgermeisterin Anne Hidalgo, begleitet von Fernsehkameras, in die Seine und schwammen ein paar Runden.
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