- Berlin
- Mord in Gesundbrunnen
Tod von William Chedjou: »Wir stehen zusammen«
Trauer und Wut auf Demonstrationszug für getöteten Kameruner in Berlin
»Justice pour William! Gerechtigkeit für William!« Die feste, von einer Lautsprecheranlage verstärkte Stimme einer Rednerin schallt am Samstagnachmittag durch die Böttgerstraße im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen. Demonstrant*innen antworten kämpferisch mit denselben Worten. Vor der Hausnummer 16 der eher unscheinbaren Kopfsteinpflasterstraße steht ein Transporter, auf dessen Pritsche eine Lautsprecheranlage aufgebaut wurde. Hier, wo William Chedjou sein Leben verloren hat, finden sich nach und nach immer mehr Menschen zusammen.
Vor rund einer Woche wurde der 37-jährige Familienvater aus Kamerun im Streit um einen Parkplatz mit einem Messer in den Bauch gestochen. Chedjou erlag anschließend seinen Verletzungen im Krankenhaus. Rund 2000 Menschen sind laut Veranstalter am Samstag dem Aufruf des Unterstützer*innen-Kreises gefolgt, der sich unmittelbar nach der Tat um die Familie Chedjou gegründet hat.
Die Unterstützer*innen Gerechtigkeit – und dass sich Schwarze Menschen überall in Deutschland sicher fühlen können. »Die meisten von uns kommen aus Kamerun, doch wir haben uns heute hier als Afrikaner*innen versammelt!«, sagt einer der Organisator*innen der Demonstration zu »nd«. »Es hätte uns alle treffen können. Dieser Angriff ist ein Angriff auf die gesamte afrikanische Gemeinschaft!«
Die Demonstration setzt sich in Bewegung. Als die Menschen Sprechchöre rufend und Lieder singend in die Brunnenstraße einbiegen, kommt die Menschenmenge zum ersten Mal zum Stehen. Von den Boxen erklingt der ivorische Sänger Tiken Jah Fakoly: »Justice réveille toi!« – »Gerechtigkeit, wach auf!« Eine Moderatorin bittet die Menschen um ihr Gehör. »Liebe Afrikaner und liebe Europäer«, begrüßt sie die Menge auf Französisch. Es gehe heute nicht nur um Chedjou, sondern auch darum, gemeinsam die Stimme gegen Rassismus zu erheben. »Wir wollen eine Welt, in der jeder Mensch unabhängig von seiner Hautfarbe oder Herkunft in Frieden leben kann! Eine Welt, in der die Vielfalt einer Gesellschaft als Reichtum gilt.«
»Wir haben Kinder, die in diesem Land geboren werden. Wir müssen kämpfen, damit sie leben können!«
Mitorganisator der Demonstration
Nach dem Redebeitrag knien sich die Teilnehmenden der Demonstration auf die Straße, viele von ihnen strecken dabei eine Faust in die Höhe. Auf dem Weg in Richtung U-Bahnhof Bernauer Straße stimmt die Menge immer wieder den Refrain des Liedes »Zangalewa« der kamerunischen Band Golden Sounds an, welcher von Shakira geklaut und im Zuge der WM weltberühmt gemacht wurde. Der Text wurde leicht verändert und endet auf »Justice pour William!«.
Einer der Organisator*innen zeigt sich sichtlich gerührt von der beeindruckenden Größe der Menschenmenge. Er sinkt auf die Knie und verbirgt sein Gesicht hinter seiner Hand. Zwei der danebenstehenden Menschen nehmen ihn in den Arm. »Umarmt die Menschen, mit denen ihr hier seid! Wir stehen zusammen!«, schallt es vom Lautsprecher. Einer der vier Blöcke, die durch Transparente und Ordner*innen getrennt sind, stimmt die kamerunische Nationalhymne an.
»Wir laufen hier heute, um gegen die Gewalt zu protestieren. In welcher Form auch immer sie erscheinen mag, psychisch oder physisch«, ruft der Organisator, der eben noch zusammengesunken war. Damit so etwas wie der Tod Chedjous nie wieder passieren könne, müsse sich die Gemeinschaft organisieren. »Diese Demonstration wird nicht die letzte sein, weil nach uns gibt es weitere Generationen, die ankommen. Wir haben Kinder, die in diesem Land geboren werden. Wir müssen kämpfen, damit sie leben können!«
Von der Teilnehmer*innenzahl zeigen sich die Organisator*innen überwältigt. Noch ist das Tatmotiv des Mannes, der Chedjou niedergestochen hat, nicht von offizieller Stelle bestätigt worden. Der 29-jährige Beschuldigte konnte unmittelbar nach der Tat festgenommen werden. Ein Gerichtsverfahren soll die Hintergründe des Mords aufklären. Die Organisator*innen der Demonstration haben angekündigt, auch während des Verfahrens gegen anti-schwarzen Rassismus protestieren zu wollen.
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