Kamala Harris: »Sie ist ein Bulle«

Die demokratische Kandidatin Kamala Harris repräsentiert das Gegenteil von Black Lives Matter, glaubt Raul Zelik

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 3 Min.
Kandidatin Kamala Harris und Israels rechtsextremer Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Washington
Kandidatin Kamala Harris und Israels rechtsextremer Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Washington

Nach dem Abtritt von Joe Biden war die Erleichterung bei vielen europäischen Linken groß. Der immer seniler wirkende US-Präsident schien bereits verloren zu haben. Sollte es jetzt doch noch ein richtiger Wahlkampf werden: rechter weißer Milliardär gegen progressive schwarze Frau? In den sozialen Medien entblödeten sich nicht wenige, die neue demokratische Kandidatin als Galionsfigur eines emanzipatorischen schwarzen Feminismus zu feiern.

Doch nichts wäre falscher als das. Spätestens mit den Black-Lives-Matter-Protesten sollte deutlich geworden sein, was den rassistisch ausdifferenzierenden Kapitalismus charakterisiert – nämlich Kriminalisierung und Masseninhaftierung armer Menschen. In den USA werden jedes Jahr mehr als 1000 Menschen von der Polizei erschossen; übrigens bei einer auch unter Präsident Biden steigenden Tendenz. Zudem sitzen 1,8 Millionen US-Amerikaner*innen im Knast – nirgendwo sonst in der Welt ist der Pro-Kopf-Anteil an der Bevölkerung so hoch.

Und damit sind wir bei Kamala Harris. Die ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien hat ihre Karriere darauf aufgebaut, Menschen hinter Gitter zu bringen. Als sie sich Anfang der 2000er Jahre um den Posten der Staatsanwältin von San Francisco bewarb, attackierte sie den damaligen Amtsinhaber mit dem Argument, seine Verurteilungsrate sei zu niedrig. Im Wahlkampf um den Senatsposten von Kalifornien schmückte sie sich mit einem Law-and-Order-Image. Und im Wahlkampf 2019 spottete sie über »Liberale«, die »mehr Schulen als Gefängnisse bauen« wollen.

Raul Zelik

Raul Zelik ist Autor und nd-Kollektivist.

Die schwarze Intellektuelle Zoé Samudzi – übrigens jene Forscherin, deren Ausstellung über den deutschen Genozid in Namibia vor wenigen Wochen von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden verhindert wurde – kritisierte die über Kamala Harris kursierende Erzählung bereits 2017. Das Motto »Black women will save us!« (Schwarze Frauen werden uns retten!) sei Ausdruck eines neoliberalen Diversity-Projekts. Kamala Harris habe stets auf »karzerale« Politik gesetzt – also darauf, das Gefängnis als Instrument zur Bearbeitung sozialer Probleme einzusetzen. Wer die gewalttätige Politik einer nichtweißen Frau aufgrund ihrer Identität ausblende, so Forscherin Samudzi weiter, sei genauso rassistisch wie Leute, die Frauen wegen ihrer Hautfarbe attackierten.

Nimmt man diesen Hinweis ernst, muss man anders über Harris sprechen. Sicher, die demokratische Kandidatin ist schwarz, aber was ihre innen- und grenzpolitischen Vorstellungen angeht, steht sie weit rechts vom weißen alten Mann Bernie Sanders, den sie 2020 als Kandidaten zu verhindern half. Als Propagandistin des Gefängnissystems hat sie den strukturellen Rassismus in den USA aktiv unterstützt, als Migrationspolitikerin Mittelamerikaner*innen mit Inhaftierung gedroht.

Ja, die Gefahr durch die Republikaner ist groß, und zwar nicht nur wegen Trump, sondern auch wegen seines Kandidaten für das Vizepräsidentenamt. Der erst 39jährige J. D. Vance gilt als politisches Geschöpf des libertär-rechtsextremen Investors Peter Thiel, seines Zeichens Mitgründer von Paypal und der Überwachungssoftware Palantir. Mit Trump/Vance hat der Faschismus in den USA eine Entwicklungsperspektive und offenbar auch erstmals die Rückendeckung einer wichtigen Kapitalfraktion.

Selbstverständlich muss dieses Projekt gestoppt werden. Doch eine Law-and-Order-Politikerin wie Kamala Harris taugt nicht als Bollwerk gegen rechts. »She is a cop«, protestierten schwarze Abolitionistinnen 2019, »sie ist ein Bulle«. Das Programm der extremen Rechten zielt darauf, Arme zu kriminalisieren und an den Grenzen sterben zu lassen. Alle, die diese Politik verfolgen, tragen zur Faschisierung der Gesellschaft bei.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.