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Park La Vilette in Paris: Eine Tour durch die Häuser der Nationen
Im Park La Vilette sind allein 14 NOK mit ihren Häusern, 16 afrikanische Länder teilen sich ein Areal im Vorort L’Île-Saint-Denis
Seltsame Töne schweben an diesem Abend über den Park La Villette im Nordosten von Paris: Vor der kleinen Bühne sitzen ein paar Dutzend Menschen auf Picknickdecken und lauschen den fremdartigen Klängen einer Morin Chuur, der mongolischen »Geige mit dem Pferdekopf«, dazu erklingt röhrender Obertongesang. Das Licht der Sonne tönt sich rötlich, der Duft von gebratenem Gemüse mischt sich mit einem Hauch, der vom benachbarten Canal de St. Denis herüberweht. »Willkommen im Mongolia House« sagt Saruulsaikhan Ochir.
Die 22-jährige aus Ulaanbaatar arbeitet im Hauptberuf fürs mongolische Fernsehen, nun darf sie in Paris die Gäste im mongolischen Pavillon emfangen: »Wir sind das erste Mal bei Olympia dabei«, sagt Ochir. »Für uns ist das alles sehr aufregend.«
Für 400 Menschen ist Platz auf dem Gelände, man kann eine Jurte besuchen, seinen Namen auf ein Stück in mongolischer Kalligrafie auf einen Bogen Pergament gepinselt bekommen oder mongolisch essen: Gedämpfte Buuz-Klöße, in denen statt Yak-Fleisch allerdings nur Rind verkocht ist. »Mongolen tischen ihren Gästen nur das Beste auf, und zwar in rauen Mengen«, lächelt Gastgeberin Ochir. »Die Menschen in Paris sollen davon erfahren.«
Die Welt ist zu Gast in Paris – nicht nur in den Sportanlagen. Man muss nur aus dem Mongolia House weiter spazieren, dann kann man ein gutes Stück der Welt allein in diesem Park erkunden: Casa Brazil, Serbian House, La Maison Slovaque, South Africa House oder Casa Mexico. In ganz Paris gibt es 54 Nationen-Häuser, allein 14 davon liegen hier in La Villette: Park der Nationen nennt die Stadt ihr Festivalgelände, das malerisch von Kanälen durchzogen wird. Zehntausende strömen jeden Abend hierher. Das ehemalige Schlachthofgelände erstreckt sich über 55 Hektar – der größte Park der Stadt, mehr als doppelt groß wie der Tuileriengarten, über dem jeden Abend kitschig der goldene Ballon mit das Olympiafeuer leuchtet: ein zweiter Mond, Olympia als kosmische Erscheinung.
25 000 Menschen im Club de France
Nur fünf Minuten entfernt von der mongolischen Jurte liegt das Gelände des Club de France, die Niederlassung des Gastgebers für die einheimischen Fans: 25 000 Menschen kommen hier jeden Abend vorbei, um auf dem Rasen vor den Riesenbildschirmen ihren Athleten zuzujubeln. Wenn wieder eine Judoka Gold gewonnen hat, tost Jubel durch das 19. Arrondissement als stünde hier ein Stadion. Fünf Euro kosten die Tickets für den Club, er ist stets ausverkauft.
Wie auch das »Team NL Huis« gleich daneben: 7000 Oranje-Fans zahlen jeden Abend 30 Euro Eintritt und lümmeln sich in die Liegestühle vor den Big Screens. Auf dem Gelände liegt das Konzerthaus »Le Zenith«, in dem Snollebollekes auftritt, jene Karnevalsband, zu deren Musik niederländische Fans bei der Fußball-EM in Deutschland so spektakulär hin und her hüpften. Neulich wurden die Goldmedaillengewinnerinnen im Rudern auf Händen der Fans durch die Arena getragen. Holland feiert, man ist unter sich: 30 Euro Eintritt wollen wenige Pariser bezahlen.
Das komplette Gegenteil zum Oranje-Haus gibt es wiederum nur einen paar Minuten Fußmarsch entfernt: »Volia Space – Ukraine« steht über dem Eingang zum Le Trabendo. Wo sonst Nachtschwärmer zu den Sets angesagter DJs tanzen, hat das kriegsgeplagte Land sein Olympiahaus eingerichtet. Allerdings ist hier niemandem nach Feiern zumute. Auch nicht dem amtierenden ukrainischen Sportminister, der für ein paar Tage nach Paris gereist ist und nun mit dem Team des Hauses auf Besucher wartet.
Matwij Bidnyi trägt Poloshirt, es spannt über seiner muskulösen Brust. Der 44-Jährige ist ehemaliger Nationalmannschafts-Bodybuilder und könnte fast noch als Athlet durchgehen. Dennoch spricht er leise und formuliert zurückhaltend. Kann man in diesen Tagen überhaupt den Sport feiern, Herr Minister? »Puh!« seufzt er. »Gute Frage, schwierige Frage. Aber schauen sie sich mal um, sehen sie irgendjemanden feiern?«
Tatsächlich ist das Haus, das 900 Leute aufnehmen kann, eher eine Ausstellung als ein Festplatz. Im Hof des Volia Space sind unter Platanen vor einer Wand drei Sitzreihen aus dem Charkiwer Stadions installiert. Mehr als 520 Sportanlagen sind laut Sportministerium im Krieg zerstört worden. Die Risse in den Sitzschalen lassen die Wucht erahnen, mit der russische Bomben einschlagen. Überall steht der Slogan: »The will to win«. Der Wille zu siegen, im Sport, aber auch im Krieg. »Wir sind hier, das allein ist schon ein Sieg«, sagt Bidnyi. Glaubt er an den Olympischen Frieden? »Ein terroristischer Staat wie der Aggressor hält sich eh nicht dran: 2008 Georgien, 2014 die Krim, 2022 die Ukraine. Wie soll da Olympischer Frieden gelingen?«
Taiwan hält sich zurück
Die Politik macht um Olympia keinen Bogen, das ist auch am benachbarten Haus abzulesen. Man kann von außen nicht erkennen, welche Nation hier residiert. Zwei »V« in Regenbogenfarben lassen die Besucher rätseln: Ist das hier das Pride House, feiert hier die LGBT-Community? »Nein, nein«, lacht Lin Kun Ying, der künstlerische Direktor des Haus-Projektes mit DJs, Videokunst und taiwanesischer Oper. »Wir vertreten hier zwar Taiwan. Aber nach den Regeln des IOC dürfen wir uns nicht so nennen.«
Tatsächlich darf die abtrünnige Inselrepublik wegen des politischen Drucks Chinas bei Olympia nur als Chinese Taipeh bezeichnet werden. »Chinese Taipeh, das wollten wir hier nicht benutzen«, sagt Lin. Stattdessen verwende man das V als Zeichen des Sieges. »Und die Regebogenfarben haben wir gewählt, weil Taiwan so modern und weltoffen ist. Wir sind das einzige asiatische Land, in dem gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt sind.« Im Taiwan-Haus von Paris treten denn auch Drag Queens aus Thailand auf: »Nymphia Wind kommt am Donnerstag!« strahlt Lin, der in seiner Heimat für spektakuläre Installationen bekannt ist. »Die ist ein Superstar! Kommen Sie vorbei, lassen Sie sich das nicht entgehen!«
Afrika feiert in den Banlieues
1009 Athletinnen und Athleten aus Afrika treten in Paris an, Südafrikas Olympisches Komitee hat als einziges von 54 NOK seinen eigenen Pavillon in La Villette. Die Kräfteverhältnisse in der Welt spiegeln sich auch bei Olympia wider. Doch dank der Weitsicht von Mohamed Gnabaly, grüner Bürgermeister des kleinen Pariser Vororts L’Île-Saint-Denis, haben bei den Spielen von Paris 2024 immerhin weitere 16 Nationen ihren gemeinsamen Festplatz: die Station Afrique in L'Île-Saint-Denis im Stadion Robert César. Mitten in den Banlieues, also jenen Vororten, in denen die Armut grassiert.
Am Sonntagabend herrscht an der Station dort großer Auflauf. An diesem Tag ist Senegal der Gastgeber in der Station Afrique, jenes Land, in dem auch die Wurzeln von Bürgermeister Gnabaly liegen, der verschiedene NOK, die Zentralregierung und verschiedene Sponsoren für die Finanzierung des Projekts gewinnen konnten.
Vor dem Einlass bilden sich lange Schlangen, Senegals Superstar Youssou N'Dour wird heute auf der großen Bühen singen. 20 Euro Eintritt sind für den bekannten Sänger immer noch ein Klacks. »Eigentlich ist der Eintritt sogar frei«, sagt Matthias Poignavent, 37, technischer Direktor der Station Afrique. »Aber mit den 20 Euro können wir erreichen, dass wir nicht überrannt werden.« 3000 Leute finden Einlass, fast alle Besucher stammen aus der kleinen Vorstadt, die langgezogen auf einer Seine-Insel liegt: 8500 Einwohner, 84 Nationalitäten, man gehört zum ärmsten Department Frankreichs, dem 93.
Die Station hat einen Wasserspielplatz für die Kinder, eine Leinwand mit Liegestühlen und eine Menge Stände, an denen sich die Länder präsentieren. »Auch als kleine Stadt mit armer Bevölkerung kann man groß denken«, sagt Matthias Poignavent. Als Youssou N'Dour schließlich unter dem Jubel der Besucher auf die Bühne kommt, tanzen 3000 Menschen. Die Banlieues feiern sich selbst.
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