Israel: Warten auf Vergeltungsangriffe durch Iran

In Israel laufen die Vorbereitungen auf die Reaktion von Iran und seinen Verbündeten

  • Mirco Keilberth, Jerusalem
  • Lesedauer: 5 Min.
Normales Treiben rund um das Damaskustor in Jerusalems Altstadt.
Normales Treiben rund um das Damaskustor in Jerusalems Altstadt.

Der Sacher Park in Jerusalem ist voller Besucher, wie an einem ganz normalen Sommerabend. Auf der riesigen Grünfläche im Westteil der Stadt haben Familien Picknickdecken ausgebreitet und genießen die Nachmittagssonne, daneben kreischen Kinder auf einem Spielplatz. Auf einem Hügel ein paar hundert Meter weiter thront die Knesset, das israelische Parlament, und wirkt verwaist. Die Abgeordneten sind trotz der seit Jahren größten Krise in der Region in die Sommerpause gegangen. »Die sind am Strand in Tel Aviv«, sagt ein Spaziergänger lachend vor dem verschlossenen Tor. Er hält seine sechsjährige Tochter an der einen Hand, die andere umgreift ein geschultertes M16-Sturmgewehr. Für viele ist es ganz normal geworden, aus Angst vor Anschlägen auch die Freizeit bewaffnet zu verbringen.

Israel versucht dem für die kommenden Tage erwarteten Angriff mit bemühter Normalität entgegenzutreten. Doch überall gibt es Hinweise auf die im ganzen Land stattfindende dezente Mobilisierungswelle. In einer Ecke im Park schleppen Gruppen junger Frauen und Männer in olivgrünen T-Shirts kleine Sandsäcke, vor einem Ausbilder robben sie dann flach über den Rasen.

Nach fünf Tage des Wartens auf die iranischen Raketen haben viele Israelis aufgegeben, im Minutentakt die Nachrichten zu verfolgen. Nach der Absage fast aller Flüge von und nach Tel Aviv und den martialischen Drohungen des Regimes in Teheran hatten viele schon am Wochenende mit dem Beginn des Krieges gerechnet. Seitdem wurden die überall im Land verteilten Luftschutzbunker gereinigt, doch Hamsterkäufe oder Panik blieb aus.

Angst vor neuer Gewaltspirale

»Wir haben doch keinen Einfluss auf das, was passiert«, sagt Ori, einer der jungen Reservisten im Park. Seinen Nachnamen möchte der 18-Jährige nicht veröffentlicht sehen. »Ich vertraue wieder auf den Iron Dome.« Das über das ganze Land verteilte weltweit einzigartige Netzwerk von Luftabwehrraketen hatte fast alle der 150 Raketen und 170 Drohnen des vergangenen iranischen Angriffs am 13. April abgefangen. Doch auch IT-Ingenieur Ori schwant langsam, dass dieses Mal alles anders kommen könnte. Seine Armee-Einheit wird in den nächsten Tagen an die libanesische Grenze verlegt. Erstmals hat mit Südkorea eine ausländische Botschaft ihre Bürger aufgefordert, nicht nur den Libanon, sondern auch Israel zu verlassen.

Oris Ahnungen kommen nicht von ungefähr. Israelische Zeitungen zitieren auf den Titelseiten US-Außenminister Antony Blinken, der den Regierungschef Benjamin Netanjahu vor einer massiven Antwort auf die iranische Vergeltung für den Mord an Hamas-Chef Ismail Hanijeh warnt. Es drohe eine nicht zu stoppende Spirale der Gewalt, so Blinken. Sein Vorschlag eines Waffenstillstandes in Gaza zur Deeskalation bleibt in Israel ungehört.

Seit Montagmorgen regiert Premier Netanjahu aus einem unterirdischen Regierungsbunker und schwört die Bevölkerung auf einen Mehrfrontenkrieg ein. In Nordisrael ist der Einschlag von Raketen schon seit zehn Monaten Alltag. Auf beiden Seiten der Grenze sind bereits mehr als 200 000 Menschen aus ihren Häusern evakuiert worden. Verteidigungsminister Galant hat angekündigt, nach einem Angriff der iranischen »Achse des Widerstands« die im Südlibanon herrschende Hisbollah und deren Infrastruktur in Beirut zu zerstören. Dann könnte ein wochenlanger Beschuss auf Haifa und anderen nordisraelischen Städten mit vielen zivilen Opfern folgen.

Auch für die Palästinenser in dem von Israel besetzten Westjordanland hat die Eskalation schon vor Monaten begonnen. In dieser Woche bombardierten israelische Kampfflugzeuge die Flüchtlingslager der Städte Jenin und Tulkarem, dabei starben mehr als zehn Menschen. Die israelische Armee spricht von einer eliminierten Terrorzelle, die palästinensische Autonomiebehörde von zivilen Opfern. Auf den Bildschirmen des Cafés »Aleppo«, mitten in dem hektischen Trubel der Innenstadt von Ramallah, laufen Video-Aufnahmen aus dem Gazastreifen. Bei dem Einschlag einer Rakete auf eine Schule in Gaza-Stadt starben am Montag über 30 Menschen. Mohamed Ali, der Café-Besitzer, sieht auf die brennenden Zelte und schüttelt den Kopf. Den kommenden iranischen Angriff gegen Israel sieht er dennoch kritisch. »Jede Runde der Eskalation radikalisiert Israelis und Palästinenser. Ich hoffe wohl vergeblich, dass die Iraner nicht auf die Provokation der Regierung Netanjahu reagieren und einfach nichts tun.«

Opfer von zwei radikalen politischen Eliten

Während die meisten Israelis die Schuld an der Eskalation nur in Teheran oder bei der Hisbollah-Führung in Beirut sehen, sehen sich viele Palästinenser als Opfe von zwei radikalen politischen Eliten. »Die Koalitionspartner von Benjamin Netanjahu wollen im Schatten des kommenden Krieges im Libanon und gegen den Iran ihr eigentliches Ziel durchsetzen«, sagt Mohamed Ali. »Und das ist die totale Kontrolle des Westjordanlandes und von Gaza. Die Iraner wollen nur ihr Gesicht wahren und helfen uns nicht.«

Derzeit sorgt in Ramallah wieder einmal eine Äußerung des israelischen Finanzministers für Empörung. »Niemand will zulassen, dass wir zwei Millionen Zivilisten verhungern lassen, auch wenn das gerechtfertigt sein könnte«, so Bezalel Smotrich während einer Konferenz, auf der die israelischen Wiederbesiedlung von Gaza beworben wurde. »Bis alle unsere Geiseln frei sind, sollten wir nichts mehr an Nahrungsmitteln liefern, aber man lässt uns nicht.«

Einen letzten Versuch, die iranische Führung zumindest von einem verhaltenen Militärschlag gegen Israel zu überzeugen, wagte am Sonntag der jordanische Außenministr Ayman Safadi. Doch sein iranischer Amtskollegen Ali Bagheri teilte ihm trocken mit, dass man Israel für die Liquidierung von Hamas-Führer Ismail Hanija bestrafen werde, auch wenn dies einen Krieg bedeute. Der Vermittlungsversuch von Safadi wurde von regierungsnahen Journalisten in Israel abgelehnt. Safadi hatte es gewagt, den Mord auf iranischem Staatsgebiet als israelischen Versuch zu bezeichnen, die Verhandlungen über einen Waffenstillstand und eine Freilassung der Geiseln zu stören. Nun herrscht auch zu Israels letztem Verbündeten in der Region Eiszeit. Man stehe alleine in einem Vielfrontenkrieg, sagte Premier Netanjahu am vergangenen Wochenende vieldeutig. Experten gehen davon aus, dass jederzeit mehrere hundert Raketen Richtung Israel fliegen könnten. In den vergangenen Tagen landeten mehrere russische Militärflugzeuge in Teheran. Im Sacher-Park sind trotz der entspannten Sommerstimmung viele Gesichter ernst. Es wird diskutiert, was es mit dem bisherigen Ausbleiben des iranischen Angriffs auf sich hat: Werden die an Iran gelieferten russischen Anti-Radar-Störsender Irans Raketen am »Iron Dome« vorbei etwa doch ins Ziel führen?

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