Vuelta a España: Adam Yates und lauter Gegner im Garzustand

Bei der Spanienrundfahrt bestimmt die Sonne, wann attackiert wird

  • Tom Mustroph, Granada
  • Lesedauer: 4 Min.
Bislang am stärksten in der spanischen Hitzeschlacht: Ben O’Connor in Rot
Bislang am stärksten in der spanischen Hitzeschlacht: Ben O’Connor in Rot

Durch, medium oder blutig – das war die Kernfrage der ersten Woche bei dieser Spanienrundfahrt. Die Frage bezog sich nicht aufs Fleisch beim abendlichen Buffett. Blutig meinte in diesem Falle auch nicht lädierte Radfahrerkörper nach Stürzen. Nein, es ging um die Körperkerntemperaturen der Profis unter der heißen Spätsommersonne Spaniens. Und sie war hoch, bei einigen eindeutig zu hoch.

Der talentierte Antonio Tiberi musste auf der 9. Etappe nach Granada am Sonntag aufgeben. »Antonio litt an einem Sonnenstich. Er fühlte sich nicht gut und musste das Rennen verlassen«, teilte sein Team Bahrain Victorious mit. Tiberi, vor zwei Jahren wegen eines Luftgewehrschusses auf eine Katze in San Marino zu zweifelhaftem Ruhm gekommen, war bis dahin aussichtsreich unterwegs. Der 23-jährige Italiener lag auf Rang vier und ging noch im Trikot des besten Jungprofis an den Start. Dann hielt er der Hitze nicht mehr stand und stieg benommen ins Teamauto. Dort kühlte man ihn schnell herunter, um einen kompletten Kollaps zu vermeiden. Die Rundfahrt, immerhin schon seine vierte Grand Tour, musste er jedoch vorzeitig beenden.

Nicht wesentlich besser erging es dem elf Jahre älteren Primoz Roglic. »Lasst mich bitte erst abkühlen und etwas trinken«, bat er am Sonntagabend die Journalisten im Ziel. Auch dem Slowenen, Gesamtzweiter und mit dem Bergtrikot auf den Schultern in den Tagesabschnitt gegangen, war mächtig heiß. Deshalb dachte der Kapitän vom deutschen Red-Bull-Bora-Team auch nicht im Traum daran, um die Bonussekunden um Platz drei mitzusprinten. Genau das gestaltete Ben O’Connor erfolgreich. Der Gesamtführende baute seinen Vorsprung damit um weitere vier Sekunden aus. Am Vortag hatte aber auch er gestanden: »Ich war einfach gar gekocht. Es war wieder brennend heiß. Und die Hitze hat mich wirklich erwischt.«

Die Temperaturauschläge scheinen bei dieser Spanienrundfahrt eine größere Rolle zu spielen als die Attacken der Konkurrenz. Adam Yates, Tagessieger des 9. Abschnitts, richtete seine Taktik zumindest nach dem Garzustand der Gegner aus. Ungewöhnlich früh war der Brite zur Flucht aufgebrochen. Er hatte allerdings auch bereits fast zehn Minuten Rückstand auf O’Connor und fast sechs auf Roglic, der nach der ersten Woche den Gradmesser im Klassement darstellt.

Yates hatte also nichts zu verlieren, zumal sein angeschlagener Co-Kapitän Joao Almeida gar nicht mehr zum Start gekommen war. Er hatte in der Acht-Mann-Gruppe gleich zwei Teamkollegen, die für höllisches Tempo sorgten, das die Fluchtgruppe allmählich ausdünnte. Als nur noch David Gaudu dem Zeitfahrzug von Team Emirates folgen konnte, studierte Yates den Franzosen genau. »Ich sah, wie ihm die Hitze zusetzte. Das hat sie mir auch, aber ich habe es trotzdem versucht«, erklärte er den Moment seiner Attacke 58 Kilometer vor dem Ziel. Sie glückte. »Und dann ging es nur noch ums Leiden«, beschrieb er den Weg ins Ziel. Dort folgte dann ein Leidensprotokoll. »Ich habe noch nie zuvor so gelitten. Es ist so heiß da draußen! Ab dem letzten Berg habe ich nur noch gekrampft und wusste nicht, ob ich es durchziehen kann«, erklärte der durch eine Eisweste wieder auf Normaltemperatur heruntergekühlte Yates.

Nach dem Ruhetag startet Yates an diesem Dienstag als Gesamt-Siebter mit nur noch 1:37 Minuten Rückstand auf Roglic und 5:30 Minuten auf O’Connor. Als vergleichweise hitzebeständig stellten sich bislang auch der Spanier Enric Mas als Gesamtvierter und der Dritte, Richard Carapaz aus Ecuador, heraus. Auch Red-Bull-Talent Florian Lipowitz scheint genetisch gut mit Hitzeschilden ausgerüstet zu sein: Als Gesamtsechster führt er die Nachwuchswertung vor den höher eingeschätzen Carlos Rodriguez aus Spanien und Mattias Skjelmose aus Dänemark an.

Die Hitze war der größte Faktor der ersten Vuelta-Woche, in der zweiten dürften die Berge zum Gradmesser werden. Nach zwei Etappen mit Sägezahnprofil durch Anstiege der 2. und 3. Kategorie folgt am Donnerstag der Aufstieg zur Bergstation von Manzaneda, am Freitag der zum Puerto de Ancares und am Sonntag der nach Pajares.

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