Stadlober: »Tucholsky half mir, den Goebbels in mir loszuwerden«

Ein Gespräch mit Robert Stadlober über seine Platte »Wenn wir einmal nicht grausam sind...«, auf der er Gedichte Kurt Tucholskys vertont hat

  • Interview: Luca Glenzer
  • Lesedauer: 7 Min.
Es gibt keine unpolitische Kunst, sagt Stadlober, aber die einfachen Parolen mag er nicht mehr. Daher liegt Tucholsky nah.
Es gibt keine unpolitische Kunst, sagt Stadlober, aber die einfachen Parolen mag er nicht mehr. Daher liegt Tucholsky nah.

Was verbindet Sie persönlich mit Tucholskys Werk?

Ich bin in Berlin aufgewachsen, und wie in so vielen Berliner Familien stand auch in meiner ein Tucholsky-Band. Teile meiner Familie kommen aus der DDR, wo Tucholsky noch mal einen anderen Stellenwert gehabt hat als in der BRD. Lange Zeit hatte ich ihn unter »Berliner Folklore« abgespeichert, bis ich dann im Zuge meiner politischen Sozialisation in den 1990er-Jahren auf die schärferen Texte von ihm gestoßen bin und erstmals den progressiven und aufgeklärten Sozialdemokraten in ihm gesehen habe.

Vieles in den von Ihnen gesungenen Texten Tucholskys wirkt heute geradezu anachronistisch – etwa, wenn von Bolschewiki, Spartakisten, der deutschen Revolution oder dem Kaiser die Rede ist. Inwiefern scheinen Ihnen die Gedichte heute dennoch aktuell?

Einzelne Wörter mögen vielleicht anachronistisch wirken, nicht aber die Bedeutung, die sich dahinter verbirgt. Wenn etwa vom Kampf Bolschewiki gegen Spartakisten die Rede ist, dann kann man auch an die Abspaltung des BSW von der Linken oder andere verquere Politkonstellationen denken, in denen Leute unumstößliche, unveränderbare Positionen vertreten. Das gibt es heute genauso wie damals. Und wenn vom deutschen Kaiser die Rede ist: Gut, den gibt es nicht mehr. Aber was es doch auch heute noch gibt, sind Monopole, die unser Leben auf eine Art beeinflussen, sodass man das Gefühl hat, keinen demokratischen Einfluss zu haben. Daher war ich eher überrascht, wie passend der Grundtenor vieler Texte auch heute noch ist.

Interview

Robert Stadlober, 1982 in Kärnten geboren, ist längst der Rolle entwachsen, mit der er berühmte wurde: Im Jahr 2000 spielte er den halbseitig gelähmten Benjamin Lebert in der autobiografischen Verfilmung »Crazy«. Danach folgten Rollen in diversen Kinofilmen u.a. »Engel & Joe« (2001) und »Schwarze Schafe« (2006). Am Theater arbeitete er mit Christof Schlingensief »Area 7« (Burgtheater Wien, 2007) und in Hamburg ("Romeo & Julia", Schauspielhaus, 2004). Seit seiner Jugend spielt er Geige und Gitarre. Im Jahr 2000 gründete er die Indie-Rockband Gary. Im August erschienen Buch und Platte mit Texten von Tucholsky, die Stadlober kurariert und eingespielt hat.

Gab es Teile in Tucholskys Werk, die Sie bewusst gemieden haben – etwa, weil sie nicht gut gealtert schienen?

Nicht wirklich. Es gibt zwar einzelne Phasen in seinem Leben, in denen er sich kurz verrannt hat. Aber das fasziniert mich zugleich auch an ihm: Dass er sich ausprobiert, sich aber immer wieder auch eingefangen und selbst korrigiert hat. Das gehört für mich zu einem politischen Leben dazu: Dass man nicht nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst permanent Positionen ausfechten muss. Diese Ambivalenzen habe ich teils versucht, im Buch (gemeint ist eine unter dem gleichen Titel, kürzlich von Stadlober herausgegebene Gedichtsammlung Tucholskys; Anm. d. Verf.) abzubilden. Auf der Platte aber hätte das den Rahmen gesprengt.

Was war die größte Überraschung, auf die Sie im Zuge der Auseinandersetzung mit Tucholskys Texten gestoßen sind?

Ich glaube, durch seine ideologische Vereinnahmung in der DDR habe ich ihn lange proletarischer wahrgenommen, als er mir heute erscheint. Stattdessen schimmert für mich in seinen Texten eine große Sehnsucht nach einem bürgerlichen Leben hindurch. Das fand ich spannend: Denn er versucht gar nicht erst, eine Herkunft zu heucheln, die er gar nicht hat, und verstrickt sich auch nicht in einer Art pseudomaoistischer Selbstkritik, sondern geht stattdessen ganz offen mit seinen Sehnsüchten um und sagt: Ich möchte gerne in schönen Lokalen speisen, aber das heißt nicht, dass andere Menschen verhungern sollen. Sondern ich möchte, dass alle Leute sich diese Lokale leisten können. Das ist eine Vorstellung von Sozialismus, die meiner sehr nahe kommt.

Zuletzt haben Sie vor zwei Jahren ein Album mit Vertonungen von Gedichten Stefan Heyms veröffentlicht. Was reizt Sie an Neuvertonungen alter Werke, die ja im popkulturellen Kontext eher ungewöhnlich sind?

Mein Eindruck ist, dass sich Texte im Bereich der Pop- und Rockmusik oftmals im Kreise drehen. Ich bin mittlerweile im mittleren Lebensalter angekommen und bin mir dadurch auch zunehmend meiner eigenen Stärken bewusst. Dazu gehört, glaube ich, die Textexegese. Und ich kann mir gut Melodien ausdenken. Texte oder Lyrik zu schreiben, gehört hingegen nicht unbedingt zu meinen Stärken.

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Heym und Tucholsky einte bei mancher Unterschiedlichkeit Ihre klare linkspolitische Haltung. Auch Sie haben in der Vergangenheit mit Ihrer politischen Haltung nicht hinterm Zaun gehalten. Wie wichtig ist Ihnen das Politische in Ihrer Kunst?

Es ist unmöglich, unpolitisch Kunst zu machen. Das mag eine Binsenweisheit sein, aber sie stimmt. Zugleich merke ich durch den fortlaufenden Lernprozess, dass mir die einfache Parole immer fremder wird. Ich glaube nicht, dass ich mit den Sachen, die ich mache, direkt etwas bewegen kann. Aber ich kann dazu beitragen, dass Fragen anders gestellt werden. Das macht mir Spaß. Zugleich finde ich aber, dass Kulturschaffende, die die eigene politische Verantwortung wie etwas Heiliges vor sich hertragen, sich dabei oftmals auch überheben.

Parallel sind Sie aktuell im Film »Führer und Verführer« in der Rolle des Joseph Goebbels auf der Kinoleinwand zu sehen – ein Mann, der sich wiederholt dem beißenden Spott Tucholskys aussetzen musste, wie etwa im Gedicht »Joebbels«. War es Zufall, dass Sie sich mit diesen beiden prägenden Figuren der deutschen Geschichte der 1920er und 1930er Jahre nahezu zeitgleich beschäftigt haben?

Nein. Nachdem wir den Film gedreht haben, hat mich der Regisseur des Films, Joachim A. Lang, gefragt, ob ich Lust hätte, im Rahmen des von ihm mitorganisierten »Festival des gesprochenen Wortes« in Stuttgart einen Tucholsky-Abend zu machen. Erst dadurch ist in mir die Idee erwachsen, dieses Album zu machen. Die intensivere Auseinandersetzung mit seinen Texten, die eine melancholische, oftmals aber auch hoffnungsvolle Grundatmosphäre haben, hat mir zugleich geholfen, diesen Goebbels in mir loszuwerden.

Die Satire – eine von Tucholskys bevorzugten Kunstformen – war lange Zeit eine wirkungsvolle Waffe der Linken. Gegenwärtig erfreut sie sich allerdings vor allem innerhalb der politischen Rechten großer Beliebtheit.

Ja, mir scheint auch, dass die Lust am Schabernack verloren gegangen ist. In der politischen Auseinandersetzung beobachte ich eine unheimlich biedere Ernsthaftigkeit. Da sind mir die Sponti-Ansätze der 1970er-Jahre näher, als es darum ging, denen da oben die lange Nase zu zeigen. Bloß hat da heute keiner mehr Lust drauf. Diese Lücke scheint die Rechte entdeckt zu haben. Die lachen halt, wenn sie sich über die Klimakleber lustig machen, oder sich ein großes Steak auf den Grill legen und im Anschluss bei einer Spritztour Diesel verbrennen. Ich mag zum Beispiel viele Ansätze des Zentrums für politische Schönheit. Aber da wird dann schnell draufgehauen und gesagt, dies oder jenes sei jetzt aber geschmacklos. Ich finde aber: In einer zunehmend satirisch werdenden Welt ist die Satire ein probates Mittel, um den Rechten beizukommen. Bestimmten Politiker*innen ein Denkmal in den Garten zu stellen, finde ich zum Beispiel großartig. Das ist mir als politischer Ansatz viel lieber, als zum Beispiel Verbündete permanent in Bezug auf ihre Wortwahl zu belehren. Ich glaube, da haben viele Menschen zurecht keine Lust drauf.

Gibt es gegenwärtig Schriftsteller*innen, die Sie in Tucholskys Tradition sehen?

In Österreich haben wir Stefanie Sargnagel, deren Texte ja auf den ersten Blick oftmals ähnlich profan aussehen wie die Tucholskys, zugleich aber unglaublich klassenkämpferisch daherkommen. Auch sie setzt sich oft mit Lebensrealitäten auseinander, über die üblicherweise nicht gesprochen wird, ohne sich dabei aber permanent selbst zu beweihräuchern. In Deutschland sehe ich da noch Saša Stanišić, der eine ähnliche Haltung zur Welt hat.

Bekannt geworden sind Sie als Schauspieler. Welche Rolle hat parallel die Musik in Ihrem Leben gespielt?

»Music was my first love, and it will be my last«. Ich kaufe immer noch wahnsinnig viele Platten, lese alle verfügbaren Musikmagazine. Ich mache jeden Tag in irgendeiner Form Musik. Es ist eine ganz seltsame Entwicklung, die ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingesetzt hat, dass Musik und Schauspiel zunehmend getrennt voneinander betrachtet wurden. Heutzutage gilt es manchmal fast als anrüchig, als Schauspieler zugleich auch Musik zu machen, oder andersherum – vor allem in Deutschland. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass die Musik deutscher Schauspieler*innen oftmals nicht besonders toll war. Wobei man dabei wiederum auch vergisst, dass ihre schauspielerischen Leistungen meist auch nicht besser waren (lacht).

Angenommen, man könnte von der Musik heute noch gut leben: Glauben Sie, dass Sie dann zugunsten der Schauspielerei häufiger als Musiker in Erscheinung getreten wären?

Auf jeden Fall! Das ist der wesentliche Grund dafür, warum das Musikmachen nicht mehr einen so hohen Stellenwert in meinem Leben hat: Weil es nicht finanzierbar ist. Und mit einer vier- oder fünfköpfigen Band auf Tour zu sein, ist auf Dauer ein sehr teures Hobby.

Robert Stadlober: »Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut« (Staatsakt)
Robert Stadlober (Hg.): »Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut«, Verbrecher Verlag, 121 S., geb., 20€.

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