Tebboune hat das Regime erneuert

Algeriens Präsident setzt nach der Ära Bouteflika mit neuen Gesichtern auf das altbekannte Militär

  • Sofian Philip Naceur
  • Lesedauer: 4 Min.
Menschen in Algier gehen an Wahlplakaten der drei Kandidaten für die Präsidentschaftswahl vorbei.
Menschen in Algier gehen an Wahlplakaten der drei Kandidaten für die Präsidentschaftswahl vorbei.

Großspurige Wahlversprechen, Repressalien gegen Oppositionelle und ein wieder fest im Sattel sitzendes Militärestablishment, das es seit dem Hirak-Aufstand 2019 geschafft hat, das Regime neu aufzustellen ohne auch nur einen Hauch an progressiver Wende zuzulassen: Unter diesen Vorzeichen finden am Samstag in Algerien Präsidentschaftswahlen statt. Der seit fünf Jahren amtierende Abdelmajid Tebboune ist haushoher Favorit.

Seine beiden Gegenkandidaten – Abdelaali Hassani Scherif von der gemäßigt islamistischen MSP (Bewegung für Gesellschaft und Frieden) und Youssef Aouchiche von der FFS (Front Sozialistischer Kräfte) – gelten als chancenlos. Alles andere als ein Durchmarsch des 78-jährigen Tebbounes im ersten Wahlgang wäre eine Überraschung. Wie schon unter dem 2019 von der Protestbewegung Hirak aus dem Amt gejagten Ex-Präsidenten Abdelaziz Bouteflika haben sich unzählige »Systemparteien« hinter den »Konsenskandidaten« Tebboune gestellt und rufen die Bevölkerung unaufhörlich zur Stimmabgabe auf. Für die Staatseliten zählt nicht das Wahlergebnis, sondern die Wahlbeteiligung – schon unter Bouteflika ein zentraler Indikator, wie verhasst oder toleriert die jeweilige Staatsführung im Land ist.

Wahlversprechen und politische Gefangene

Tebboune lockt auch deshalb pausenlos mit Wahlversprechen, vor allem neuen Infrastrukturprojekten, Förderprogrammen für jugendliche Unternehmer, einer Erhöhung der Sozialausgaben und der Schaffung von 450 000 neuer Jobs bis 2026. Eine schlüssige Erklärung, wie er das erreichen will, blieb er bisher schuldig. Der im Wahlkampf gemachten Versprechen und die polizeiliche Begleitmusik der Vorwahlperiode ähneln in erschreckender Weise der Ära Bouteflika. Einziger Unterschied: Die Repression ist deutlich heftiger und setzt die seit 2020 vorangetriebene Verfolgungswelle gegen Oppositionelle, freie Presse und Zivilgesellschaft fort.

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Während auf Basis der seit 2020 verschärften Strafgesetzgebung weiter regelmäßig Dissidenten oder Journalisten aus politischen Gründen inhaftiert werden, ließ der Polizeiapparat seit August zahlreiche Oppositionspolitiker meist kurzzeitig verhaften. Zuletzt traf es den Linkspolitiker Fethi Ghares und zahlreiche Kader der Kabylenpartei RCD (Sammlung für Kultur und Demokratie). Dem populären Linksoppositionellen Karim Tabbou wurde gerichtlich verboten, sich in sozialen Netzwerken politisch zu äußern. Landesweit sitzen mindestens 225 Menschen aus politischen Gründen hinter Gittern, erklärte das CNLD (Nationales Komitee für die Freilassung der Gefangenen), ein 2019 gegründetes Aktivistennetzwerk.

Einfluss der Armee ausgeweitet

Hatte der Hirak Algeriens Gesellschaft neues Leben und Hoffnung auf eine soziale und politische Wende eingehaucht, dominieren heute Ernüchterung und Passivität. Auf Bouteflikas Absetzung folgte die Machtübernahme der Armee, die Tebboune Ende 2019 in einer massiv boykottierten Wahl ins Amt hob. Bouteflikas Gefolgsleute in Militär, Parteien und Staatsbürokratie wanderten ins Gefängnis, doch der während der Hirak-Wirren zum Armeechef ernannte Said Schengriha vermochte es, das Regime personell zu erneuern und den Einfluss des Militärs auszubauen.

Seither wurde das Militärbudget von 10 auf 22 Milliarden US-Dollar ausgeweitet. Ein im Juni verabschiedetes Dekret erlaubt es zudem, amtierenden Militärs fortan öffentliche Posten im zivilen Staatsdienst zu übernehmen – eine in Algerien heiß diskutierte Maßnahme. Bisher hatten Generäle zwar Zugang zu staatlichen Pfründen, allerdings keine direkte Kontrolle über Staatsfirmen. Der Militärexperte Akram Kharief vom Nordafrikabüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung warnt in Anspielung an die Wirtschaftsmacht der ägyptischen Armee vor einer »Ägyptisierung Algeriens«.

Ölrente für soziale Ruhe

Sozial- und wirtschaftspolitisch reiht sich Tebboune ein in die lange Liste jener, die von wirtschaftlicher Diversifizierung und nachhaltigen Arbeitsplätzen sprechen, aber das Gegenteil tun. Auch unter Tebboune setzt das Regime auf den Ausbau der kaum Jobs generierenden Öl- und Gasindustrie, um sich mit dieser Ölrente eine fragile soziale Ruhe zu erkaufen und Regime-Eliten bei Laune zu halten. Inzwischen drängen wieder westliche Energiekonzerne ins Land, vor allem aus Europa, will sich dieses doch von russischem Gas unabhängig machen. Algeriens Regime bedankt sich und wird die Einkünfte dafür nutzen, der Bevölkerung genau so viele Brotkrumen vor die Füße zu werfen, um sie vom Demonstrieren abzuhalten. Der alte Status quo scheint restauriert – mit neuem Personal und ohne Meinungsfreiheit.

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