Die Waffe der Schwächeren

»Wer nicht hören will, wird bestreikt!« – Claus-Jürgen Göpfert bietet eine kleine Geschichte gewerkschaftlichen Kampfes

  • Michael Brie
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach der Vereinigung verstärkten ostdeutsche Arbeiter*innen den gewerkschaftlichen Kampf in der Bundesrepublik.
Nach der Vereinigung verstärkten ostdeutsche Arbeiter*innen den gewerkschaftlichen Kampf in der Bundesrepublik.

In den Hauptmedien der Bundesrepublik erscheinen Streiks vor allem als lästige Störungen und sind vor allem dann Gegenstand der Berichterstattung, wenn der Alltag betroffen zu sein scheint. Dabei sind Streiks jener Ausnahmezustand, den die Lohnarbeitenden gegenüber den Unternehmen erklären, wenn diese über die Interessen der Belegschaften hinweggehen wollen, selbst getrieben durch Konkurrenz und die Ansprüche der Aktionäre auf höheren Profit. Im Kapitalismus sind Streiks die Waffe der Schwächeren. Darüber können alle Erfolge nicht hinwegtäuschen. Das Ungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit bleibt bestehen. Aber ohne die drohende oder angewendete Waffe des Streiks würde aus dem Ungleichgewicht die kollektive Ohnmacht der Lohnabhängigen.

Claus-Jürgen Göpfert, lange führender Redakteur der »Frankfurter Rundschau«, hat beim VSA-Verlag ein sehr lesenswertes Buch über Jürgen Hinzer vorgelegt, das zugleich auch ein Buch über 75 Jahre Bundesrepublik, Geschichte vor und nach dem Beitritt der DDR ist. Sie ist zugleich exemplarisch wie sehr besonders.

Hinzers Eltern waren Flüchtlinge aus Ostpreußen und Schlesien, die 1946 in Nordwestdeutschland strandeten. Der Vater, ein engagierter Sozialdemokrat und Bergmann, gewerkschaftlich aktiv. Hinzer wird Maurer, dient in der Bundeswehr, radikalisiert sich 1968, tritt der SPD bei, kommt in Berührung mit dem Marxismus und bildet sich als gewerkschaftlicher Jugendfunktionär aus, studiert an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, wechselt von der IG BAU, für die er zu links war, zur Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). 1980, nach erfolgreichen Bemühungen des Aufbaus eines Netzes von Vertrauensleuten, organisiert Hinzer seinen ersten Streik.

Was Göpfert auf spannende und lebendige Weise auf der Basis von vielen Gesprächen und breiten Recherchen schildert, ist eine Geschichte der Bundesrepublik aus der Sicht von Arbeitskämpfen und dies in Sektoren, wo Warnstreiks und Streiks lange völlig unbekannt waren. Es geht immer wieder um Inflationsausgleich. Viele dieser Kämpfe sind vor allem Abwehrkämpfe. Oft geht es nur darum, Betriebsschließungen zu verzögern, gute Sozialpläne zu erkämpfen.

»Wer heute sagt zum Kampfe Nein, wird morgen ohne Arbeit sein!«

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Was man lernen kann aus diesem Buch, ist die Verbindung der Mühen der Ebenen, der kontinuierlichen Arbeit in den Betrieben, des Aufbaus von Vertrauen und der Gewinnung von Arbeitern und Angestellten, mit Aktionen, die zugleich die Belegschaften mobilisieren und durch umfassende Öffentlichkeitsarbeit Rückhalt in der Bevölkerung und Unterstützung bei den Medien und in der Politik schaffen. Selbst die »Bild«-Zeitung wird immer wieder gewonnen. Hinzer war einer von denen, die auf direkte Aktion setzten. Wichtig war ihm, dass durch diese Aktionen, selbst wenn am Ende die Betriebsschließung stand, »die Belegschaft sich gewehrt hat und dass sie ihre Würde bewahrt hat«. Viele der Berichte über die Kampfaktionen, an denen Jürgen Hinzer aktiv, führend und laut beteiligt war, lesen sich wie Krimis. Göpfert gelingt es, Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter plastisch zu machen. Es sind oft moderne Robin-Hood-Geschichten, kollektiv ausgefochten, mit Losungen wie »Wer heute sagt zum Kampfe Nein, wird morgen ohne Arbeit sein!«

Was aber auch erzählt wird, ist die Geschichte des Übergangs zum Finanzmarkt-Kapitalismus. Die Manager werden immer mehr zu Vollstreckern des Willens ferner Konzernzentralen und der Shareholderfonds, die Standort gegen Standort, Belegschaft gegen Belegschaft, Beschäftigungsgruppe gegen Beschäftigungsgruppe ausspielen. Gerade das Brauereigewerbe steht dafür exemplarisch. Besonders beeindruckend sind die Kämpfe um das Werk, das Asbach-Uralt-Pralinen in Rüdesheim im Rheingau herstellte, ein Werk, das in die Hände von United Destiller in Großbritannien und dann in die eines globalen US-Konzerns gelangt war. Belegschaftsvertreter fahren mit zwei Bussen nach London. Göpfert zitiert einen der Arbeiter: »Du hast im Laufe der Zeit verstanden: Du bist nichts als Manövriermasse!« Genau dagegen richten sich die Kämpfe.

Das Buch von Göpfert ist eine Geschichte von Arbeitskämpfen bei Coca-Cola und in der bayerischen Milchindustrie, bei Maggi oder Maredo, im Backgewerbe oder im deutschen Hotel- und Gaststättengewerbe. Es berichtet auch von internationaler Solidarität mit Nicaragua oder Chile, im Arbeiterinnen in Frankreich oder der Türkei. Erzählt wird von der Gründung der WASG und dem Aufbau der Partei Die Linke. Und zugleich ist Göpferts Buch die Lebensgeschichte Jürgen Hinzers. Denn ohne Menschen wie ihn würde es nie gelingen, die Passivität, in der das Kapital die Lohnarbeitenden als »Manövriermasse« der Profitsteigerung zu halten sucht, aufzubrechen.

Wie sagt Jürgen Hinzer im Interview am Endes des Buches: »Nur wer selbst entflammt ist, kann andere entflammen. Als Gewerkschaftssekretär musst du vorangehen. Du musst zum Beispiel bei der Blockade eines Werkstores der erste sein, der sich hinsetzt und den Lastwagen den Weg versperrt. Ganz wichtig ist: Du musst den Menschen die Angst nehmen. […] Die direkte Aktion ist wichtig, das kollektive Auftreten ist wichtig. Im Streik lernen sich die Menschen kennen.«

Claus-Jürgen Göpfert: »Wer nicht hören will, wird bestreikt!« Jürgen Hinzers Arbeitskampfgeschichten in der Gewerkschaft NGG seit 1979. VSA, 214 S., br., 16,80 €.

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