Bangladesch: Wirtschaften ohne Smartphone

Der Finanzdienstleister bkash ermöglicht digitale Geldsendungen per Tastenhandy

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit Nummerncodes verschickt bkash Geld. Empfängerinnen verifizieren sich mit dem Code und heben an einem Kiosk ab.
Mit Nummerncodes verschickt bkash Geld. Empfängerinnen verifizieren sich mit dem Code und heben an einem Kiosk ab.

Wird Kamal Quadir gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass sein Unternehmen einmal den Markt seines Landes dominieren würde, fällt ihm zuerst ein: »Wenn es etwas gibt, das uns von anderen unterscheidet, dann, dass wir nicht gewartet haben, bis die Leute Smartphones haben.« Smartphones seien oft gar nicht nötig, findet der Unternehmer. »Mit ganz einfachen Telefonen kann man eine Menge machen.«

Kamal Quadir sitzt im Firmenzentrum von bkash, einem Glasturm im Zentrum von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Der von ihm vor rund eineinhalb Jahrzehnten gegründete Finanzdienstleister bkash ist ein Phänomen der Einfachheit: Im dicht bevölkerten 175-Millionen-Land gibt es kaum jemanden, der oder die bkash nicht kennt. Mehr noch: Kaum jemand zählt nicht zu den Kunden des Fintech-Unternehmens. Das sind Konzerne, die Finanzdienstleistungen mithilfe moderner Technologien anbieten.

»Wenn ein Mitglied eines Haushalts ein Konto bei uns hat, hat damit auch gleich der Rest der jeweiligen Familie Zugang zu digitalen Zahlungsmöglichkeiten«, prahlt Quadir und blickt über die wuselige Metropole. »In diesem Sinne hat bkash mehr oder weniger jeden Haushalt im Land erreicht.«

Ähnlich wie »googeln«, »zoomen« oder »paypalen« ist »bkashen« in Bangladesch ein eigenes Verb geworden. Bkash ist so etwas wie ein »Paypal für Arme.« Denn der Dienst ermöglicht es seinen Kundinnen und Kunden, auch ohne Bankkonto auf digitalem Wege Geld zu überweisen – selbst ohne Smartphone. Alles, was man braucht, ist ein Personalausweis und ein Tastenhandy. Mit Nummerncodes lässt sich dann Geld durchs Land verschicken. Empfängerinnen können sich mit dem Code verifizieren und das Geld an einem Kiosk abheben.

Ähnlich wie »googeln«, »zoomen« oder »paypalen« ist »bkashen« in Bangladesch ein eigenes Verb geworden.

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In Bangladesch, wo Schätzungen zufolge nur rund die Hälfte der Erwachsenen ein Smartphone besitzt, ist die Offenheit gegenüber Tastenhandys viel wert. Mit diesem eigentlich simplen Gedanken ist bkash das erste sogenannte »Unicorn« des Landes geworden, also ein Jungunternehmen, das mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet ist.

Bkash-Kunden – Rickscha-Fahrer, Frisöre oder Lehrende – verschicken pro Überweisung zwar durchschnittlich bloß um die 15 Euro durchs Land. Die Gebühr, die bkash dafür erhebt, liegt auch nur bei rund fünf Cent. Aber in einem bevölkerungsreichen Land wie Bangladesch macht es die Menge. 2022 meldete das Unternehmen gut 214 Millionen Euro Jahresumsatz. Tendenz steigend.

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Bkash gehört damit zu den größten Erfolgsgeschichten Bangladeschs. Als sich das Land 1971 von Pakistan abspaltete und für unabhängig erklärte, brachte das Beatles-Mitglied George Harrison noch einen Song namens »Bangla Desh« heraus, der mit den Zeilen beginnt: »Mein Freund kam zu mir, mit Traurigkeit in den Augen; er sagte mir, er brauche Hilfe; ehe sein Land stirbt.« In Bangladesch hungerten die Menschen. Doch seit einigen Jahren boomt die Volkswirtschaft.

Seit 2009 hat sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf knapp 3000 US-Dollar vervierfacht und liegt mittlerweile höher als beim großen Nachbarn Indien. Und bkash ist messbar dafür mitverantwortlich. Eine 2021 im akademischen American Economic Journal veröffentlichte Studie gibt an: »Die Einführung von Diensten wie bKash führte in ländlichen Regionen schon ein Jahr nach Nutzung zu einer Erhöhung von Geldsendungen um 26 Prozent. Extreme Armut nahm ab.«

Weitere Untersuchungen fanden ähnliche Effekte. Der Unternehmer Kamal Quadir, der in den USA ausgebildet wurde, gibt ein Beispiel für seine Kunden: »Sie sind vielleicht finanziell arm, aber intellektuell können sie reich sein.« Intelligenz sei demokratisch verteilt. »Selbst ein relativ armer Mann mit Tastentelefon wird einen Weg finden, sich am Markt zu beteiligen, wenn er das nötige Werkzeug hat und diese Anwendung so gestaltet ist, dass er sie nutzen kann.«

Das Beispiel, das der Unternehmer in Interviews bemüht: »Wer hier etwa in einem Dorf fünf Hühner züchtet, fünf Hühner verkauft und dafür 500 Taka bekommt, kann ein Konto bei bkash eröffnen und jeden Monat 500 Taka über die Plattform einzahlen.« 500 Taka sind rund 3,75 Euro. Zwei Jahre später könne eine Bank eine bedeutende Rendite erzielen und dem Bauern einen Kredit anbieten.

In Zusammenarbeit mit Geschäftsbanken ermöglicht bkash seit Kurzem nämlich auch sogenannte Nanokredite: Darlehen von umgerechnet bis zu 200 US-Dollar über drei Monate. Ausgegeben werden sie auf unbürokratische Weise, basierend auf den Geldbewegungen im bkash-Konto. Durch die Erkenntnisse, die bkash anhand seiner Datenerhebungen zu regelmäßigen Zahlungsvorgängen auch über kaum wohlhabende Kunden erhält, bilde sich sprichwörtlich automatisch Vertrauen zu den Usern.

»So erhalten Personen, die früher nie Zugang zu traditionellen Banken gehabt hätten, Kredite«, so Quadir. Der Zinssatz für diese Nanokredite liegt bei neun Prozent, in Bangladesch kein schlechter Kurs. Wenn Bangladeschs Volkswirtschaft weiter wächst, könnte also auch bkash trotz der bereits erreichten Marktdurchdringung noch größer werden.

Wobei Leo Wigger, der bei der Denkfabrik Candid Foundation die Programme zu Südasien leitet und als ausgewiesener Bangladesch-Experte gilt, auch warnt. »An bkash ist sicherlich beeindruckend, dass es wirklich überall im Land sehr verbreitet ist.« Aber der Markt sei dynamisch: »Die Digitalwirtschaft steckt in Bangladesch wirklich noch in den Kinderschuhen. Die gesamte IT-Digitalindustrie erwirtschaftet erst zwischen ein und zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.« Dabei sieht man auch bei bkash noch weitere Möglichkeiten zu wachsen. Denn außerhalb des Landes leben rund 7,4 Millionen Bangladeschis. Auch sie schicken regelmäßig Geld nach Hause. Bisher allerdings längst nicht immer per bkash.

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