Win-win-Situation unter Wasser

Kraken und Fische verschiedener Arten bilden gemeinsame Jagdverbände

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Krake bei der Jagd mit Gelbsattel-Meerbarbe und Schwarzspitzen-Zackenbarsch
Ein Krake bei der Jagd mit Gelbsattel-Meerbarbe und Schwarzspitzen-Zackenbarsch

Erstaunlich elegant schwimmt ein bizarr aussehender, nicht gerade schönheitspreisverdächtiger »Day Octopus« durch das klare Wasser des Roten Meeres. In der englischsprachigen Welt heißt der Octopus Cyanea mit seinem sackförmigen Körper mit acht mit Saugnäpfen bestückten Tentakeln so, weil er die einzige Art unter den Oktopoden ist, die bei Tag auf Beutefang geht. Das ist ein Glück für Eduardo Sampaio und seinen Kameramann. In dem lichtdurchfluteten Wasser gelingen ihnen wunderbare Videos von der von bunten Fischen umgebenen Großen Blauen Krake, wie Day Octopus auf Deutsch genannt wird.

Oktopoden faszinieren Forscher und Laien gleichermaßen. Kraken sind scheue Einzelgänger, aber wenn es um das Fressen geht, überwindet der Große Blaue Krake diese Eigenschaft und setzt seine Intelligenz, Neugierde und Lernfähigkeit ein. Auf der Suche nach Krebsen, Muscheln und Krabben tut er sich nämlich mit Fischen zu einer Jagdpartie zusammen. Diese bestehen in der Regel aus einer Krake und bis zu 13 verschiedenen Fischarten wie zum Beispiel der Gelbsattel-Meerbarbe oder dem Schwarzspitzen-Zackenbarsch.

Genau dieses Verhalten fasziniert den Portugiesen Sampaio seit vielen Jahren. In seiner in dieser Woche im Fachjournal »Ecology« veröffenlichten Studie widerlegt der Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Tierverhalten der Universität Konstanz die bisherige Annahme, dass der im Pazifischen und Indischen Ozean heimische Krake die Jagdgesellschaft anführt und die Fische ihm folgen.

Nach mehr als 120 Stunden Tauchgängen mit Videokameras konnten Sampaio und Kollegen zeigen, dass die Interaktion zwischen Kraken und Fischen sehr komplex sowie situations- und zweckabhängig ist. Die Gelbsattel-Meerbarbe sei spezialisiert auf die Erkundung der Umgebung und gebe damit dem Jagdverband die Richtung vor, heißt es in der Studie, während der Oktopus entscheide, wann und wo genau zugeschlagen werde. »Der Oktopus passt sein Verhalten dem Verhalten anderer Arten an, wartet darauf, dass der Fisch die Umgebung erkundet und sich dann direkt dorthin bewegt, wo sich die Beute befindet. Die Kommunikation von Fischen kann passiv (nur auf der Bewegung in Richtung der Beute basierend) oder aktiv (Komm- und Gehbewegungen zwischen dem Oktopus und dem Beuteort) sein«, erklärt Sampaio in einer E-Mail an »nd.Die Woche«. Der Sinn der Übung ist offensichtlich. »Wenn er allein ist, muss er die Umgebung selbst erkunden, was viel aufwendiger ist«, sagt der Krakenexperte. Auf Neudeutsch ist das also eine klassische Win-win-Situation.

Dass verschiedene Spezies aus unterschiedlichen Gründen kooperieren, ist nicht ungewöhnlich. Tierarten wie etwa Gazelle, Gnu und Zebra bilden gegen Raubtiere einen Defensivverbund. Bei anderen steht die Jagd im Vordergrund. Dachse und Kojoten zum Beispiel jagen immer mal wieder gemeinsam kleine Säugetiere. Auch Muränen und Zackenbarsche arbeiten bei der Nahrungsbeschaffung zusammen. »Diese scheinen aber in ihrem Verhalten weniger flexibel zu sein als die Jagdgruppe aus Oktopus und Fischen, wenn es um den Austausch von Informationen über den Wechsel der Strategie geht«, heißt es in der Studie.

Getreu dem Motto »Erst kommt das Fressen, dann die Moral« herrscht bei der gemeinsamen Beutejagd von Oktopus und Fischen keine bedingungslose Kooperation. Fische verjagen aggressiv andere Fische oder der Oktopus schubst mit roher Gewalt Fische weg. »Das bedeutet, dass die Gruppen weder ausschließlich kooperativ noch wettbewerbsorientiert sind. Ihr Charakter entwickelt sich allmählich und hängt von der Zusammensetzung der Gruppe ab. Das heißt, wenn es mehr Ausbeuter gibt, gibt es aggressivere Kontrollmechanismen, wenn es mehr Kollaborateure gibt, gibt es viel weniger oder keine Aggression«, erklärt Sampaio.

Sampaio ist fasziniert vom Großen Blauen Kraken. Es sei höchst erstaunlich, so Sampaio, wie ein Tier, das sich vor 550 Millionen Jahren von den Wirbeltieren abgespalten hat, ein so komplexes Verhalten entwickeln könne. »Es ist zudem auch erstaunlich, wie eine nicht-soziale Spezies wie der Oktopus soziale Regeln erlernen und die Interaktion mit Individuen anderer Spezies maximieren kann.«

»Der Oktopus passt sein Verhalten dem Verhalten anderer Arten an.«

Eduardo Sampaio Verhaltensbiologe
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