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Trauer und Triple bei der Rad-WM
Der Tod von Rad-Juniorin Muriel Furrer überschattet auch den WM-Sieg von Tadej Pogačar
Vor dem letzten Rennen der Weltmeisterschaften am Sonntag hieß es Helm abnehmen und schweigen. Auch manche Träne rollte über ausgezehrte Rennfahrerwangen. Das Straßenrennen der Männer begann mit einer Schweigeminute für die Schweizerin Muriel Furrer, die am Donnerstag beim Juniorinnenrennen verunglückt und tags darauf verstorben war. Das für den frühen Morgen vorgesehene Amateurrennen auf dem WM-Kurs wurde flugs in eine Gedenkfahrt für Furrer umgewandelt. Und auch das Straßenrennen der Frauen am Samstag begann mit einer Gedenkminute.
Der Todesfall ist gleich in mehrfacher Hinsicht tragisch. Es starb nicht nur eine junge Frau von 18 Jahren bei der Ausübung ihrer Leidenschaft. Furrer wuchs auch nur zehn Kilometer von der Unfallstelle entfernt auf und war als Züricherin ein Werbegesicht dieser Welttitelkämpfe. Wenn die WM-Organisatoren ein dichteres Helfernetz an der Strecke aufgestellt hätten – wer weiß, vielleicht hätte sie den heftigen Sturz überlebt. »Hätten wir sie nur früher gefunden«, sagte David Lappartient, Präsident des Weltradsportverbandes UCI, Medien vor Ort.
Denn erst eine Stunde nach Rennende und mutmaßlich zwei Stunden nach dem Sturz wurde Furrer in einem Waldstück gefunden. Streckenposten waren nicht in der Nähe. Furrer fuhr auch nicht im Peloton. Eine Funkverbindung zwischen Sportlerinnen und Teamfahrzeugen ist bei der WM verboten. Und auch die Tatsache, dass das Transpondersignal von der Verunglückten bei der vorletzten Zieldurchfahrt fehlte, gab offenbar keinen Anlass zur Besorgnis. Die genauen Umstände ermittelt jetzt die Schweizer Polizei.
Immerhin wurde bei den folgenden Rennen nachgebessert. Beim U23-Rennen der Männer, das der Bremer Niklas Behrens gewann, waren in dem Unglückswaldstück mehr Streckenposten zu sehen. Einige Kurven waren mit Matten abgesichert.
Dass die WM nicht abgebrochen wurde – wie es im Sommer noch mit der Österreichrundfahrt geschah, bei der der Norweger André Drege tödlich verunglückte – lag auch daran, dass die Eltern Furrers mit einer Fortführung einverstanden waren. Furrers Vater forderte Medienberichten zufolge sogar seine Landsleute auf, möglichst zahlreich an die Strecke zu kommen.
Die machten das dann auch. Sie feuerten die Fahrerinnen und Fahrer an und ließen sich vor allem von der Dramatik des Männerrennens anstecken. Denn da brannte Tadej Pogačar mal wieder ein denkwürdiges Leistungsfeuerwerk ab. Schon 100 Kilometer vor dem Ziel setzte sich der Slowene aus dem Hauptfeld ab und jagte einer Verfolgergruppe hinterher. »Eigentlich war das eine ziemlich dumme Attacke«, meinte er nach dem Rennen. Denn die Pläne waren ursprünglich andere. »Wir wollten nur die Kontrolle ausüben. Aber dann ging das eigentliche Rennen schon ziemlich früh los. Ich war im Flow und bin deshalb einfach losgefahren«, blickte Pogačar zurück.
Ganz dumm war die Attacke aber nicht. Denn weiter vorn war sein Landsmann Jan Tratnik. Der ließ sich zurückfallen und brachte seinen Kapitän an die Spitzengruppe heran, sodass der 50 Kilometer vor dem Ziel zur Solofahrt ansetzen konnte.
Auf den letzten Metern hielt sich Pogačar dann die Hände vors Gesicht, als könne er selbst nicht fassen, was ihm da gelungen war. Denn gemeinsam mit seinen Siegen beim Giro d’Italia und der Tour de France stellt der Weltmeistertitel in dieser Saison ein ziemlich seltenes Triple dar. Diese »dreifache Krone« des Straßenradsports holten bisher nur der Belgier Eddy Merckx im Jahr 1974, der Ire Stephen Roche 1987 und die Niederländerin Annemiek van Vleuten vor zwei Jahren. »Es war einfach eine perfekte Saison«, fasste der Slowene selbst zusammen.
Rückblickend hat er im WM-Rennen alles richtig gemacht. Seine frühe Attacke schockierte die Konkurrenz. »Es sah nach einer Selbstmordattacke aus«, beschrieb der zuvor zum Hauptrivalen erkorene Belgier Remco Evenepoel seine Gedanken während des Wettkampfes. Pogačar hatte allerdings, Flow hin, Flow her, ganz rational die richtigen Lehren aus den Straßenrennen zuvor gezogen.
Der Parcours war nämlich weniger selektiv als gedacht. Die Berg-Asse hatten sowohl bei den Frauen als auch bei den U23-Männern gegenüber der endschnellen Konkurrenz das Nachsehen. Die belgische Klassiker-Spezialistin Lotte Kopecky etwa ließ den letzten beiden Tour-de-France-Femmes-Siegerinnen Demi Vollering und Kasia Niewiadoma keine Chance und verteidigte ihren Titel. Der neue deutsche U23-Weltmeister Behrens ist ein 1,95 Meter großer Hüne mit Qualitäten im Sprint und bei Eintagesrennen. Dass der fast 20 Zentimeter kleinere und viele Pfunde leichtere Pogačar in seinem Rennen dann die Rivalen mit mehr Power abhängen musste, war also klar.
Aus deutscher Sicht sorgte vor allem der Nachwuchs für eine sportlich erfolgreiche WM. Neben Behrens gewann auch Antonia Niedermaier einen WM-Titel in der U23-Kategorie. Im Zeitfahren gab es Gold für die 21-Jährige, außerdem steuerte Niedermaier Bronze im Straßenrennen bei und war eine treibende Kraft bei der Silbermedaille der deutschen Mixed-Staffel.
Mit dem Tod von Muriel Furrer schwebt aber über allen noch so beeindruckenden sportlichen Erfolgen ein dunkler Schatten.
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