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Küstrin-Kiez: Abschiebung via »Russeninsel«
Umstrittenes Ausreisezentrum in Küstrin-Kietz momentan in der Schwebe
Auf der Festung drüben im heute polnischen Kostrzyn nad Odrą wurde der preußische Leutnant Hans Hermann von Katte 1730 enthauptet – vor den Augen von Kronprinz Friedrich, mit dem er zu desertieren versucht hatte. Kronprinz Friedrich, der zehn Jahre später als König Friedrich II. den Thron bestieg, soll bei der Hinrichtung seines Freundes Katte in Ohnmacht gefallen sein.
Die Festung ist ein Touristenmagnet. Viele Urlauber, die auf deutscher Seite den Oder-Neiße-Radweg fahren, machen einen Abstecher dorthin. Sie passieren dabei die Flussinsel in der Oder, die noch zum Territorium der Bundesrepublik gehört. Links und rechts der Straße stehen Zäune und dahinter halbverfallene Gebäude einer sowjetischen Garnison. Schilder verbieten das Betreten strengstens. Die Soldaten und Offiziere sind schon 1991 abgezogen. Alle Hoffnungen auf eine zivile Nachnutzung haben sich bis jetzt zerschlagen. Die Natur erobert das Gelände zurück. Aber in einem abgezirkelten Bereich soll ein Containerdorf für 200 bis 250 Flüchtlinge entstehen – für Menschen, die abgeschoben werden sollen oder am besten gleich freiwillig gehen sollen. Damit sie das tun, soll ihnen das Leben hier ganz offensichtlich schwer gemacht werden.
Mit zehn Millionen Euro ist das Projekt veranschlagt, das die 720 Bewohner von Küstrin-Kietz seit dem Frühjahr in helle Aufregung versetzt. Sie sprechen in Anspielung auf die berüchtigte US-Gefängnisinsel von einem Alcatraz in der Oder und lehnen das rundweg ab. Sie lassen sich dabei von unterschiedlichen Motiven leiten. Wenige, wie Ortsvorsteher Wolfgang Henschel (parteilos), lehnen eine derart unmenschliche Behandlung der Geflüchteten ab. Die meisten aber fürchten einfach nur, dass sie dann beklaut oder vergewaltigt werden. So formulieren sie das ganz ungeniert.
Dabei hat Brandenburgs Integrationsbeauftragte Diana Gonzalez Olivo bei einem Besuch Mitte Juni extra betont: »Die Menschen, die abgeschoben werden, sind keine Krinimellen.« Gonzalez Olivo lehnt ein Abschiebezentrum hier genauso ab wie sie es auch überall anders tun würde. »Das Recht auf Asyl darf nicht relativiert oder infrage gestellt werden«, forderte sie im Juni. Die scheidende Landtagsabgeordnete Bettina Fortunato (Linke) sagte über die Geflüchteten: »Die haben nichts getan. Warum sollte man die da wegsperren?«
Der Landkreis Märkisch-Oderland habe sich vorgenommen, eine Bürgerversammlung zum Sicherheitskonzept zu organisieren, erklärt der Sozialbeigeordnete Friedemann Hanke (CDU). Doch das ergebe erst Sinn, wenn das Projekt Gestalt annehme. Im Moment könne er nur sagen: »Still ruht der See.« Seit dem Frühjahr habe der Landkreis in dieser Sache vom Potsdamer Innenministerium nichts mehr gehört, was sicher an der Landtagswahl am 22. September und der jetzt notwendigen Bildung einer neuen Regierung liege. Innenminister Michael Stübgen (CDU) hört sowieso auf. Das stand schon vor der Wahl fest.
»Das Vorhaben befindet sich derzeit noch in einem frühen Planungsstadium.«
Andreas Carl Ministeriumssprecher
Vorgesehen gewesen sei, dass der Landkreis die landeseigene Liegenschaft kostenlos übernimmt und zum Beispiel auf 50 Jahre an die Zentrale Ausländerbehörde verpachtet, erläutert der Beigeordnete Hanke. Ministeriumssprecher Andreas Carl erklärt: »Das Vorhaben befindet sich derzeit noch in einem frühen Planungsstadium. Zurzeit bemüht sich der Landkreis Märkisch-Oderland darum, das Grundstück zu erwerben.« Auf der Insel untergebracht werden sollen Carl zufolge keine Familien, keine Paare, keine alleinstehenden Frauen und keine kranken oder pflegebedürftigen Personen.
Nicht um die Zukunft, sondern um die Vergangenheit geht es am 6. Oktober von 10 bis 17.30 Uhr im Kulturhaus Küstriner Vorland an der Karl-Marx-Straße 36, wobei die letzte Stunde für eine Exkursion zur nahegelegenen Oderinsel genutzt werden soll. Veranstalter sind der Verein Kietz-Bahnhof/Dworzec Chyza, das Brandenburg-Museum für Zukunft, Gegenwart und Geschichte, das Kulturland Brandenburg und das Leibniz-Labor »Gesellschaftliche Umbrüche und Transformationen«. Auf dem Progamm stehen etwa die Eröffnung der Ausstellung »Die Russeninsel – Spuren einer Begegnung« und eine Podiumsdiskussion von Historikern und Journalisten über »Die Oderinsel – Bilanz einer gescheiterten Transformation«. Spuren der sowjetischen Soldaten, das sind beispielsweise Inschriften.
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