Spanien: »Wohnraum ist ein Recht und kein Geschäft«

Mieterinitiativen planen Großdemo in Madrid gegen explodierende Preise

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.
Demonstration für Zugang zu bezahlbarem Wohnraum am Rande einer Immobilienmesse in Barcelona.
Demonstration für Zugang zu bezahlbarem Wohnraum am Rande einer Immobilienmesse in Barcelona.

»Spanien ist ein solidarisches Land, und zum größten Teil gehört der Mietwohnungsbestand privaten Eigentümern oder kleinen Besitzern«, sagte kürzlich die Ministerin für Wohnungswesen, Isabel Rodríguez, in einem Appell an die Vermieter angesichts explodierender Mieten. Für alle, die gegen Mietwucher im Land kämpfen, war das die Bankrotterklärung der selbsternannten »progressivsten Regierung« der spanischen Geschichte.

Die »Mietergewerkschaft« sprich vom »letzten Tropfen zum Überlaufen des Fasses, von Wut und Frustration«. Die Initiative fordert den Rücktritt der sozialdemokratischen Ministerin, da diese keine wirkungsvolle Regelung zur Begrenzung des Preisanstieges zustande bringe. Wenige bereicherten sich immer stärker auf Kosten der Mehrheit. Das Wohnungsgesetz von Februar 2022 sei ein »Schlag ins Wasser« gewesen. Die »Mietergewerkschaft« ruft zusammen mit weiteren 30 Organisationen, darunter den beiden großen Gewerkschaften, zu einer Demonstration in der Hauptstadt Madrid am 13. Oktober auf. »Die Zeit der Politiker ist vorbei«, erklärt eine Aktivistin in einem Video-Aufruf.

»Wohnraum ist ein Recht und kein Geschäft«, ist das Motto der Veranstaltung, das auf die Verfassung verweist, die in Artikel 47 allen eine »würdige Wohnung« garantiert. Bezogen wird sich auch auf andere Großdemonstrationen in Barcelona, Malaga oder Teneriffa, wo gegen die »Touristifizierung« protestiert wurde. An diesem Wochenende gab es Protest in Valencia. Massentourismus spitzt vielerorts die Lage am Mietwohnungsmarkt enorm zu. Zur Demo in Madrid wird gefordert, alle 17 000 offiziellen Touristenwohnungen in der Stadt zu schließen und gegen die zahllosen illegalen Ferienwohnungen vorzugehen. Als nächste Proteststufe steht ein »Mietenstreik« auf dem Programm, wenn sich an der fatalen Lage nichts ändert.

Als nächste Proteststufe steht ein »Mietenstreik« auf dem Programm, wenn sich an der fatalen Lage nichts ändert.

In einen begrenzten Streik sind bereits 900 Familien getreten. Seit September zahlen sie »illegal« geforderte Mieterhöhungen nicht mehr, die der Immobilienfonds Nestar-Azora von ihnen fordert. Von Erhöhungen zwischen 150 und 700 Euro pro Monat sind auch Sozialwohnungen betroffen, die von der Regionalregierung an den Fonds verkauft worden waren.

Die Lage in Madrid ist besonders prekär, worauf auch der Wirtschaftswissenschaftler Julen Bollain hinweist: »Eine Wohnung in Madrid zu mieten, kostet für 80 Quadratmeter durchschnittlich etwa 1600 Euro im Monat.« Der am häufigsten gezahlte Lohn liege aber bei 1300 Euro, fügt der Professor der Universität Mondragón an. Der Mindestlohn von 1134 Euro reiche nicht einmal für 60 Quadratmeter. Die Studentin María Martínez wiederum berichtet, dass in Madrid selbst für »Abstellkammern«, in die gerade einmal ein Bett passt, schon 500 Euro verlangt würden. In einem Fall sei ihr dafür eine Küchenvorratskammer angeboten worden.

Ein Problem mit dem Wohnungsgesetz ist, dass die Regionalregierungen es häufig nicht anwenden. Dies gilt auch für Madrid: Statt »Spannungszonen« auszurufen, um Mieten zu deckeln, wurden gerade die Mieten für Sozialwohnungen um 26 bis 66 Prozent angehoben. Nach Angaben der katalanischen Regierung sei es dort über die Anwendung des Gesetzes in den ersten sechs Monaten immerhin gelungen, die Mieten um drei bis fünf Prozent zu senken.

Die Schere zwischen Einkommen und Mieten öffnet sich immer weiter. Gerade erst hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung festgestellt, dass Spanien zu den Mitgliedsländern gehört, in denen der Kaufkraftverlust seit Beginn der Covid-Pandemie trotz gestiegener Löhne besonders hoch ist. Steigende Mieten fallen damit zusammen. Die Folge: Ende 2023 lebten schon 26,5 Prozent der Bevölkerung an oder unterhalb der Armutsgrenze.

Ein zentrales Problem ist, dass es seit Jahrzehnten kaum sozialen Wohnungsbau mehr gibt. Seit 2011 sei »nicht eine Sozialwohnung« mehr gebaut worden, kritisiert Sergio Nasarre-Aznar, Inhaber des Lehrstuhls für Wohnungswesen an der Universität Rovira i Virgili. 1,2 Millionen müssten gebaut werden, nur um auf den EU-Durchschnitt von neun Prozent zu kommen. In Spanien sind es nur noch 2,5 Prozent am Wohnungsbestand, in den Niederlanden dagegen etwa 30 Prozent.

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