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Showdown in den USA: Harris versus Trump
Am 5. November stimmen die US-Wähler nicht nur über Personen ab, sondern über einen Rückfall in die Vergangenheit oder ein Zukunftsversprechen
Die Wähler*innen in den Vereinigten Staaten stehen am 5. November vor der Entscheidung zwischen dem ehemaligen republikanischen Präsidenten Donald Trump und der demokratischen Vizepräsidentin Kamala Harris. Aber es geht um eine viele grundsätzlichere Wahl, nämlich um die zwischen den hässlichsten Manifestationen der dunklen Geschichte der USA und einem Zukunftsversprechen.
Trump zeigt sich ganz offen und unverfroren rückwärtsgewandt. Im Zentrum seines Wahlkampfs steht erneut sein Dauerslogan »Make America Great Again!« Damit behauptet er, dass früher alles besser war – bevor das Land die neuen Immigrant*innen und Flüchtlinge willkommen hieß, die Trump abschieben lassen will; bevor es sich der Gleichstellung von Frauen, People of Color und Angehörigen der LGBTQ-Community widmete, von der er behauptet, diese sei zu weit gegangen; bevor es das Wahlrecht reformierte, um freie und faire Wahlen sicherzustellen, eine Reform, die Trump rückgängig machen will.
Harris weiß ganz genau, was auf dem Spiel steht. Deswegen konterte sie mit dem Versprechen »Es gibt mit uns keine Rückschritte in die Vergangenheit!« Sie will ein breites Bündnis nicht nur gegen Trump aufbauen, sondern auch gegen eine Vorstellung von Gesellschaft, wie sie mit dem »Projekt 2025« verknüpft ist. Dabei handelt es sich um ein Manifest, verfasst von Kapitalvertretern und »christlich-nationalistischen« Eiferern, die sich von einer Trump-Regierung die Vollstreckung ihrer rechten Agenda erhoffen. Diese beinhaltet, individuelle Freiheiten einzuschränken, die Steuern für Vermögende zu senken, das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung zu schwächen und die Klimapolitik zurückzufahren.
Die Wahlen am 5. November 2024 sind für die US-Bürger wie auch den Rest der Welt eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen dieser Zeit. »nd« berichtet über die Stimmung und Probleme im Land, über Kandidaten und ihre Visionen. Alle Texte zur US-Wahl finden Sie hier.
Die gegensätzlichen Wahlkampfslogans verdeutlichen, wie tief die politische Kluft in den USA inzwischen ist. Das Land trägt schwer an seinem Erbe. Obwohl die Nation aus dem Widerstand gegen das britische Empire hervorging und die Ideale der Aufklärung zu vertreten vorgibt, reagierte der Staat während des Großteils seiner Geschichte mit enormer Feindseligkeit und Gewalt auf Bewegungen, die mehr soziale Gerechtigkeit und ein Ende ethnischer Diskriminierung einforderten. So wurden Bollwerke der Unterdrückung errichtet, die teilweise noch heute wirkmächtig sind: vom Genozid indigener Völker und der Versklavung afrikanischer Arbeitskräfte über die Errichtung eines Apartheidsystems im Süden und eine immer wieder brutale Politik gegen Immigrant*innen bis zur Bevormundung von Frauen, die so hartnäckig ist, dass die Frage, ob Frauen Kontrolle über ihren eigenen Körper haben sollen, wieder ein aktuelles Wahlkampfthema ist.
Harris weiß um all das. Die Vizepräsidentin, die ich in den letzten Jahren mehrmals interviewte, hat ein generationenübergreifendes politisches Bewusstsein. Sie ist das Kind progressiver Bürgerrechts- und Friedensaktivist*innen und kann sich daran erinnern, wie ihre Eltern sie in den 1960er Jahren auf Demonstrationen mitnahmen. Ihr Vater, ein Ökonomieprofessor, der aus Jamaika eingewandert war, um an der Universität Berkeley in Kalifornien zu studieren, und ihre Mutter, eine Krebsforscherin, die aus Indien eingewandert war, um dasselbe zu tun, kamen beide aus Ländern, die damals unter britischer Kolonialherrschaft standen. Sie waren Anhänger*innen von antiimperialistischen Bewegungen in der sogenannten Dritten Welt und der Bürgerrechtsbewegung in ihrer Wahlheimat. Sie erkannten den Zusammenhang zwischen Demokratie und Selbstermächtigung der Menschen. Und sie gaben diese Perspektive an ihre Tochter weiter. »Sie waren davon überzeugt, dass es wichtig ist, die eigene Stimme zu erheben«, sagt Harris über ihre Eltern. »Wenn ich an all diese Bewegungen denke, dann wird mir klar, dass der Kampf für die Ideale unseres Landes ein Ausdruck von Patriotismus ist. Unterschwellig gab es bei mir immer den Glauben an diese Verheißung, die Verheißung von Amerika.«
Was Trump vergessen machen will
Das ist genau das Gegenteil von Trumps Weltanschauung, der Entwicklungsländer schon mal als »Dreckslöcher« bezeichnet und im laufenden Wahlkampf rassistische Lügen über Schwarze Einwanderer verbreitet. Seine Niederlage bei der letzten Präsidentschaftswahl versuchte er zu revidieren, indem er seine Anhänger*innen zum Sturm des Kapitols aufstachelte. Trump setzt auf die Vergesslichkeit der Amerikaner*innen, darauf, dass sie sich nicht daran erinnern, wie Hunderttausende starben und die Wirtschaft kollabierte, als die von ihm geführte Regierung für die Bekämpfung der Corona-Pandemie verantwortlich war – und es eindeutig vermasselte.
Und da sind noch weitere Dinge, die er vergessen machen will: die beiden Verfahren zu seiner Amtsenthebung, die 91 Anklagen wegen krimineller Vergehen, seine Verurteilung im Prozess um die Verschleierung von Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin und die 90 Millionen US-Dollar, die er an eine Autorin zahlen muss, weil ein Geschworenengericht ihn des sexuellen Missbrauchs und der Verleumdung für schuldig befand.
Um das Weiße Haus zurückzuerobern, schreckt Trump vor kaum etwas zurück: Er brütet über Plänen, wie er bestimmte Wählergruppen von der Stimmabgabe fernhalten kann, droht seinen Kritiker*innen mit »Vergeltung«, gibt damit an, dass während seiner letzten Präsidentschaft »die US-Wirtschaft die erfolgreichste der Welt« gewesen sei (was bekanntlich nicht zutrifft) und überraschte in der Fernsehdebatte mit Harris mit der unglaublichen Behauptung, in Springfield/Ohio würden haitianische Migrant*innen die Haustiere der »Einheimischen« essen.
Es fällt schwer nachzuvollziehen, wie eine solche Wahlkampfkampagne überhaupt Anklang finden kann. Tatsache ist jedoch, dass Harris in den bundesweiten Wahlumfragen nur einen knappen Vorsprung hat. Und in den sogenannten Battleground-Staaten Wisconsin, Michigan, Pennsylvania, Georgia, North Carolina, Nevada und Arizona, die über den Sieg entscheiden, liegen die Kandidat*innen noch enger beieinander.
Warum sieht es erneut nach einem knappen Rennen aus? Es mag etwas damit zu tun haben, dass die Wirtschaft in den USA insgesamt zwar recht gut dasteht, die Inflation während der Biden-Jahre aber die lohnabhängige Bevölkerung gebeutelt hat. Als noch wichtiger könnte sich erweisen, dass Harris erst im Sommer in den Wahlkampf eingestiegen ist. Sie ist immer noch nicht so bekannt wie ihr schlagzeilenträchtiger Rivale und wird von vielen nicht wirklich als eine ernsthafte Anwärterin auf das höchste Staatsamt wahrgenommen – und das, obwohl Harris extrem viel Unterstützung erhält und riesige Menschenmengen zu Kundgebungen locken kann, die eher an Rockkonzerte als an die gängigen politischen Versammlungen erinnern.
Von Fakten und Lügen
Ein Problem ist die Medienlandschaft, die zu einer sensationsheischenden und an Stereotypen ausgerichteten Berichterstattung neigt. Davon profitiert vor allem Trump, der die Schwachstellen eines im Niedergang befindlichen Mediensystems für sich zu nutzen versteht. Selbst jetzt, nach fast einem Jahrzehnt endloser Wahlkampfrhetorik, die von so vielen Lügen geprägt ist, dass die Faktenchecker aufgegeben haben, sie zu zählen, bleibt Trump bei seiner Strategie.
Harris kann versuchen, Trumps Lügen Fakten entgegenzuhalten. Aber wie Hillary Clinton 2016 zu spät erkannte: Um sich in der heutigen Politik durchzusetzen, braucht es oft mehr, als auf der Seite der Wahrheit zu stehen. Anders als Clinton hat sich Harris dagegen entschieden, den historischen Charakter ihrer Kandidatur besonders hervorzuheben. Ihre Ethnie und ihr Geschlecht, so Harris, seien doch für alle offensichtlich. Und die Wähler*innen wissen natürlich, dass Harris eine Frau und Schwarz ist – auch wenn Trump in einem seiner vielen bizarren Angriffe auf sie etwas anderes zu suggerieren versuchte.
Die Demokratin lässt die Wähler*innen wissen, dass sie früher einmal bei McDonald’s gearbeitet hat – eine Erfahrung, die viele US-Amerikaner*innen teilen, die aber im krassen Gegensatz zu Trumps Biografie steht, der unter äußerst privilegierten Umständen aufgewachsen ist.
Harris’ Ansatz scheint zu funktionieren. Seit Präsident Joe Biden nach einer desaströsen TV-Debatte mit Trump von seiner Kandidatur zurücktrat, sehen die Umfragewerte für die Demokraten deutlich besser aus. Die Unterstützung für Harris in den Kerngruppen der demokratischen Wählerschaft ist hoch. Zugleich spricht sie auch konservative Wähler*innen an. Sie hat sowohl die Rückendeckung von Progressiven wie Senator Bernie Sanders, als auch von der ehemaligen republikanischen Kongressabgeordneten Liz Cheney und deren Vater, dem früheren Vizepräsidenten Dick Cheney.
Die Republikaner, die sich für Harris aussprechen, sind in der Regel nicht mit ihrer innenpolitischen Agenda einverstanden, die eine Verteidigung des Sozialstaats, die Bekämpfung der Klimakrise, die Stärkung der Gewerkschaften und die Beseitigung sozialer und rassistischer Diskriminierungen vorsieht. Was sie für Harris einnimmt, ist das Eintreten der ehemaligen Staatsanwältin für den Rechtsstaat und die Verfassung sowie ihre Entschlossenheit, die Demokratie gegen Trump und seine Verbündeten zu verteidigen.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält mehr als zwei Dutzend Auslandsbüros auf allen Kontinenten. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit »nd« berichten an dieser Stelle regelmäßig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Entwicklungen in den verschiedensten Regionen. Alle Texte auf: dasnd.de/rls
Im Zentrum vom Harris’ Wahlkampfstrategie steht folglich, sich als die einzige Option zu präsentieren, mit der eine zweite Amtszeit Trumps verhindert werden kann. Das ist eine Botschaft, die progressive Demokraten verstehen. Aber einige von Harris’ Unterstützer*innen, wie Sanders und die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, wollen, dass sie mehr über ihre Wirtschaftsagenda spricht – insbesondere über ihre populären Pläne zur stärkeren Besteuerung von Wohlhabenden, zum Umbau der Industrie und zur Verringerung der Armut durch die Steuerentlastung kinderreicher Familien.
Enttäuschung gibt es auch über Harris’ laue Reaktion auf Israels Angriff auf den Gazastreifen. Viele arabischstämmige US-Amerikaner*innen, Bürger*innen muslimischen Glaubens und Studierende werfen Biden und Harris vor, weiterhin den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen rechte Regierung zu stützen. Zwar hat Harris erklärt, sie werde sich dafür einsetzen, dass »das palästinensische Volk sein Recht auf Würde, Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung wahrnehmen kann«. Wirklich überzeugend ist das für viele jedoch nicht.
Ob Harris es schafft, genügend Wähler*innen auf ihre Seite zu ziehen, wird vermutlich aber davon abhängen, ob es ihr gelingt, glaubhaft für die Zukunft des Landes einzustehen. Dazu gehört, Trumps Bilanz als Präsident anzugreifen und deutlich zu machen, welche Gefahren von ihm in einer zweiten Amtszeit ausgehen würden.
Dazu gehört aber auch eine Definition von der Zukunft, die hoffnungsvoll und gleichzeitig praktisch genug ist, um die Mehrheit davon zu überzeugen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen – so wie sie es in anderen kritischen Phasen in der Geschichte des Landes getan hat: etwa 1860, als sie sich für den progressiven Republikaner Abraham Lincoln entschied, oder 1932, als sie den progressiven Demokraten Franklin Roosevelt zum Präsidenten machte.
John Nichols ist Washington-Korrespondent der Wochenzeitung »The Nation« und ein langjähriger Partner der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Langfassung seines Textes erscheint auf rosalux.de/international.
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