Anschlag von Halle: Täter entstehen nicht in digitalen Räumen

Über die Zusammenhänge von Antifeminismus, Rassismus und Antisemitismus

  • Veronika Kracher
  • Lesedauer: 5 Min.
Antisemitismus war das zentrale Motiv für den Anschlag von Halle.
Antisemitismus war das zentrale Motiv für den Anschlag von Halle.

Es ist der 10. September, im linken Berliner Technoclub ://about blank findet die Podiumsdiskussion »Solidarische Bündnisse? Fünf Jahre nach dem rechten Terroranschlag von Halle« statt. Es sprechen die Überlebenden des Anschlags vom 9. Oktober 2019, der zwar nicht der erste Anschlag war, dessen Täter unter das Konzept des online radikalisierten »DIY-Terroristen« fällt (das war der Anschlag am OIympia-Einkaufszentrum in München 2016), aber der erste, bei dem dieser Aspekt medial großflächig beachtet worden ist. Der Terrorist bezeichnet sich als »Anon«, die Selbstbezeichnung der User des in Teilen rechtsextremen Internetforums 4chan, und erklärt seinem Publikum, der Feminismus sei schuld an den sinkenden Geburtenraten – aber das Übel dahinter sei der Jude.
Der Attentäter hatte versucht, zum jüdischen Feiertag Yom Kippur in die Hallenser Synagoge einzudringen, scheiterte aber daran. Während er mit seinem 3D-Druck-Gewehr auf die Tür schoss, wurde er von der Passantin Jana L. angesprochen – und ermordete sie zur Strafe für ihre Unbotmäßigkeit. Anschließend fuhr er, sich selbst beschimpfend und untermalt von der Musik des Nazi-Rappers Mr. Bond als auch des Incel-Künstlers Egg White, der den Attentäter von Toronto besingt, durch Halle und hält schließlich am Dönerladen Kiez-Imbiss. Dort ermordet er den jungen Fußballfan Kevin S. und flieht Richtung Leipzig. Die Polizei braucht insgesamt über drei Stunden, den Terroristen festzunehmen.

»Es war ein antisemitischer Anschlag. Es war ein misogyner Anschlag. Und es war ein rassistischer Anschlag«, erklären die Teilnehmenden des Podiums. Sie haben sich in der »Initiative Antisemitismus und Rassismus gemeinsam bekämpfen« zusammengeschlossen. »Das lässt sich so nicht voneinander trennen.« Der Täter von Halle hängt der rechtsextremen Ideologie des »großen Austausch« an, die Antifeminismus, Queerfeindlichkeit, Antikommunismus, Rassismus und Antisemitismus vereint – und sich deshalb bei der globalen Rechten von AfD über Alt-Right bis hin zu Neonazis der ungebrochenen Beliebtheit erfreut.

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Radikalisiert hat er sich, das machen Live-Stream und Manifest deutlich, in Räumen des digitalen Rechtsextremismus: Foren, Chatgruppen und Imageboards, in denen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Gewalt als zynischer Witz und Meme-Vorlage zelebriert wird, in denen Terroristen als »Heilige« verehrt werden, in denen sich die User selbst sukzessive der emotionalen und politischen Verrohung aussetzen. Der Terrorist von Halle hatte es selbst darauf angelegt, international zu einem sogenannten »Saint« aufzusteigen – dass er Stream und Manifest auf Englisch verfasst hat, zeigt auf, dass er die globale extreme Rechte adressieren wollte. Die Rechnung hier ist einfach: je mehr Tote, präferiert Vertreter*innen der ideologischen Feindbilder, desto höher die Leistung – wie ein Ranking in Videospielen. Das Attentat von Halle ist ein Paradebeispiel dafür, was die Terrorismusforschung als »Gamification of Terror« bezeichnet, also den Anschlag wie ein Spiel zu inszenieren. Die Ästhetik des Streams erinnert an einen Ego-Shooter, und in seinem Manifest sind »Achievements« aufgelistet, also »Errungenschaften« für bestimmte Handlungen, wie sie in Games üblich sind, aber mit der Extraportion Menschenverachtung.

Klaus Theweleit bezeichnet die emotionale Verrohung des Selbst als »Protodiakrise«. In seinen Analysen wird diese von außen, durch den militärischen Drill zugefügt. DIY-Terroristen wie die Attentäter von Christchurch, Halle, Buffalo, Toronto, letztens Istanbul, verrohen sich selbst durch die konstante Abwertung und Erniedrigung anderer in digitalen Räumen. Sie begründen dies mit ihrer eigenen narzisstischen Kränkung: »Frauen/Juden/Migranten/die LGBTQ-Lobby sind schuld daran, dass ich nicht mehr meine Vormachtstellung als weißer cis Mann innehabe, dies legitimert meine Rache.«

»Terroristen wie der von Halle handeln zwar alleine, hinter ihnen steht aber eine Armee aus Gleichgesinnten.«

Terroristen wie der von Halle handeln zwar alleine, hinter ihnen steht aber eine Armee aus Gleichgesinnten. In Echokammern tauschen sie menschenverachtende Memes aus und bestätigen sich in ihrer Opferrolle – von der sie glauben, diese durch Gewalt überwinden zu müssen. Ihre Kränkung äußert sich immer wieder in bloßem Sadismus: Nach dem 7. Oktober 2023 wurde auf dem extrem rechten 4chan-Unterforum »Politically Incorrect« dazu aufgerufen, per KI sowohl antisemitische als auch antimuslimisch-rassistische Memes anzufertigen, um jüdische und palästinensische Menschen zu trollen und in ihrem Trauma des islamistischen Massakers der Hamas als auch dem Krieg in Gaza zu verletzen. Diese digitale Gewalt, die jedoch ganz konkrete Auswirkungen auf die Betroffenen hat, wurde als gemeinsam erlebtes Spiel und Witz zelebriert. Dies ist nur ein Beispiel für die kollektive, selbstgewählte Protodiakrise dieser Echokammern.

Nun ist aber mitnichten jede*r, der auf menschenfeindlichen Internetforen Zeit verbringt, ein potenzieller Terrorist. Dennoch ist die Atmosphäre an diesen Orten eine, die Gewalt gegen andere rechtfertigt bis glorifiziert, und somit der Terrorakt immer positiv konnotiert ist. Dies kann User dazu motivieren, sich durch die Gewalt zu einem »Heiligen« der Community aufschwingen und gegen Feminismus, Multikulturalismus und die jüdisch konnotierte Moderne in den Krieg zu ziehen. Der Fachbegriff hierfür lautet »stochastischer Terrorismus«.

Diese Täter entstehen jedoch nicht in digitalen Räumen. Gesellschaftlich omnipräsente Ressentiments wie Frauenhass oder Antisemitismus werden dort lediglich aufgefangen, bestätigt und amplifiziert. Doch gerade in Deutschland herrscht bei Behörden einerseits eine brutale Unkenntnis, was Phänomene wie digitaler Faschismus oder Online-Radikalisierung angeht, andererseits sind Behörden selbst oft Ausdruck von Autoritarismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Nach dem Anschlag von Halle wurden die Opfer und ihre Angehörigen vom Staat und der Mehrheitsgesellschaft alleine gelassen.
Deshalb haben sie sich solidarisch zusammengeschlossen. Und ihre Resilienz, Empathie und Solidarität zueinander vermittelt die Hoffnung, sich ebenfalls gegen die Gewalt der Verhältnisse zu organisieren. Am 10. September haben nicht wenige im Publikum Tränen in den Augen: der Trauer, Wut und Kampfbereitschaft.

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