Die Faust des Kapitals

Die höhere Gewalt ist die der Menschheit, meint Leo Fischer zum Hurrikan in Nordamerika

Klimakatastrophe: Die Faust des Kapitals

Mindestens elf Tote hat Hurrikan »Milton« in den USA gefordert. Dass es nicht mehr geworden sind, kann nur als glücklicher Zufall bezeichnet werden. Zu der Bedrohung durch den Sturm kommt noch die durch die aktuelle politische Lage. Lügen und Desinformationen sind Teil der Katastrophe: Im Trump-Lager wurde den Leuten doch tatsächlich eingeredet, sie sollten ihre Häuser nicht verlassen, weil die Katastrophenschutzbehörde sie dann konfiszieren könnte oder sie von Migrant*innen bezogen werden könnten.

Es ist von bitterer Ironie, dass es mit Florida den Staat traf, in dem die Leugnung der Klimakatastrophe Chefsache ist. Gouverneur DeSantis, ein rechtsradikaler Kulturkämpfer, der Abtreibung kriminalisiert, das Wahlrecht aushöhlt und in der Schule keine Genderthemen, aber die »positiven Seiten der Sklaverei« behandelt sehen wollte, verbot auch alle Hinweise auf den Klimawandel, dessen Opfer die Bevölkerung doch so manifest wird.

Leo Fischer
Leo FischerFoto ist privat, kein Honorar

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Ein gutes Beispiel dafür, dass es eigentlich keine Naturkatastrophen mehr gibt, im Sinne einer »höheren Gewalt«, der die Menschheit ausgeliefert ist. Die höhere Gewalt ist die der Menschheit, der Hurrikan in seiner Intensität ohne die drastisch steigende Temperatur der Ozeane nicht zu denken; sie wiederum ist Ergebnis schrankenloser Ausbeutung der Natur. Im Hurrikan schlägt die Faust des Kapitals doppelt zu: als ökologische Kriegsführung gegen die unteren Klassen, denen zugleich die finanziellen Mittel wie auch das soziale Netz zur Abfederung der Folgen hinweggespart werden. Beides ist Ergebnis menschlichen Handelns. Einen solchen Hurrikan als Katastrophe zu bezeichnen, ist eine Verniedlichung, eigentlich ist er Ökoterrorismus durch das Kapital.

Im Bewusstsein der Bevölkerung bleibt davon nichts als eine weitere, wenn auch brutalere Episode des »Alle gegen alle«: Unter einem Artikel über die Nicht-Evakuierung eines Gefängnisses im Katastrophengebiet sammeln sich Kommentare wie »Lasst sie absaufen« oder »Keine Evakuierung für Mörder und Vergewaltiger« – man könnte sich fragen, warum sich der Staat noch die Mühe macht, Leute einzusperren, wüsste man nicht, dass der privatisierte Gefängnissektor eine hochprofitable Industrie der Zwangsarbeit ist.

Diejenigen, die die Zerstörung des Klimas nicht direkt leugnen, wollen sich vor allem »gegen die Folgen wappnen«: mit Katastrophenabwehr, Dämmen, Deichen. Doch die Flucht vor den Verheerungen des Kapitals ist kapitalisierbar, sie führt im »globalen Norden« zum autoritären Umbau und zur Abschottung. Wer wird von den »Klimafolgen« geschützt, und wer wird an ihnen verrecken? Wer darf in Verhältnissen leben, in denen man sich das Klima noch leisten kann, und wer wird als »Klimaflüchtling« stigmatisiert? Wem wird man vorwerfen können, nichts zum »Wiederaufbau« der Regionen beigetragen zu haben, deren Verwüstung die indirekte Subvention des Fossilkapitals ist? Und über wen wird überhaupt gesprochen? Was in Florida passiert, ist eine »Katastrophe«, was auf Yucatán geschieht, eine Statistik.

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