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Japan: Debakel für Liberaldemokraten
Japan steht nach der Wahlniederlage der Regierungspartei vor einer schwierigen Regierungsbildung
Eigentlich dürfte Shigeru Ishiba schon nicht mehr im Amt sein. Denn für den Fall, der am Sonntag eingetreten ist, hatte der amtierende Premier Japans seinen Rücktritt angekündigt: falls die Regierungskoalition aus seiner konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP) und der buddhistischen New Komeito ihre Parlamentsmehrheit verlöre. Die Wahl des Unterhauses – der mächtigen der zwei Kammern in Japans Parlament – hat genau das herbeigeführt.
Die LDP, die seit der Nachkriegszeit bis auf kurze Unterbrechungen immer regiert hatte, erhielt nur noch 191 der 465 zu vergebenen Sitze, ein Minus von 65 Mandaten. Die New Komeito verlor acht und kam auf 24. Da die LDP aber wieder die stärkste Kraft im Parlament ist, muss sie sich nun nach einer weiteren Partei umsehen, die in eine Koalition einsteigen könnte. Doch diverse politische Kräfte wollen nicht.
Shigeru Ishiba, der in der skandalgeplagten LDP erst vor rund einem Monat zum Parteichef und dann auch zum Premierminister gewählt worden war, steht vor einem Scherbenhaufen. Nach einer Spendengeldaffäre in seiner Partei sollte Ishiba, der sich als »innerparteilicher Außenseiter« profiliert hatte, der neue Aufräumer werden. Im Wahlkampf sprach er immer wieder vom »neuen Japan« und der »neuen LDP« – also eine ohne Korruption und Skandale?
Denn diese hat es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder gegeben. Allein der von 2012 bis 2020 regierende Shinzo Abe, der das Bild der LDP weiter prägt, ließ sich nicht nur mit der mittlerweile verbotenen Sekte namens »Wiedervereinigungskirche« ein. Auch wegen Vetternwirtschaft geriet Abe in die Kritik. Es folgten vertuschte Spendengelder. Dann waren da noch die von Abe nach Tokio geholten Olympischen Spiele 2020/21, im Zusammenhang mit denen mehrere Verantwortliche wegen Korruption verurteilt wurden.
Abe trat 2020 zurück. Auf ihn folgte sein Protegé Yoshihide Suga, der sich nur ein Jahr im Amt hielt. Dann kam Fumio Kishida, der es auf drei Jahre als Premier brachte. Inzwischen aber wurde Ex-Premier Abe erschossen. Der Täter, Sohn eines Opfers der »Wiedervereinigungskirche«, machte ihn mitverantwortlich für finanzielle Ausbeutung durch diese Sekte. Vor allem LDP-Politiker hatten Spendengelder der Sekte erhalten – und deren Treiben gedeckt.
Kishida versuchte, durch Kabinettsumbildungen Vertrauen zu gewinnen – ohne Erfolg. Besonders besorgniserregend für die einst übermächtige LDP ist das Wahlergebnis vom Sonntag, weil es zeigt, dass selbst Shigeru Ishiba kaum noch öffentliches Vertrauen genießt. Bisher hatte es der LDP meist geholfen, den Kopf an der Spitze auszutauschen. Japan hat eine alternde Bevölkerung, viele erinnern sich noch an das von der LDP verwaltete Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahrzehnte. Die LDP galt lange als kompetenteste Partei.
Doch dieser Bonus scheint aufgebraucht. Sowohl rechts als auch links der LDP reißt man sich nicht darum, mit ihr zu koalieren. Die Demokratische Volkspartei (DPP), eine noch junge Mitte-rechts-Partei, die eine Kampagne rund um Wirtschaftsthemen geführt hat, könnte mit LDP und New Komeito zwar eine Mehrheit bilden. DPP-Vorsitzender Yuichiro Tamaki schließt das aber aus. »Je nach Themen« könne man zusammenarbeiten. Mehr nicht.
Auch die rechtspopulistische Japanische Innovationspartei (Ishin no kai) könnte zur Königsmacherin werden. Auf die Frage, ob dies denkbar wäre, antwortete ihr Vorsitzender Nobuyuki Baba aber: »Absolut nicht.« Ishin no kai, noch eine recht junge Partei, sieht sich selbst trotz vieler inhaltlicher Überschneidungen mit der LDP als Alternative zu ihr.
Und dann ist da die Gewinnerin der Wahl, die linksliberale Verfassungsdemokratische Partei Japans (CDPJ), die auf 148 Sitze kam, ein Plus von 50 Mandaten. Der Vorsitzende Yoshihiko Noda erklärte: »Wir sind nun kurz davor, eine neue Regierung zu erreichen.« Man will die LDP stürzen, statt mit ihr zu koalieren.
Die Gräben zwischen den politischen Lagern sind tief. »Für Ishiba wird es nicht möglich sein, eine stabile Regierung zu bilden, obwohl er versprochen hat, seine Partei zu erneuern«, schätzt Masahiro Iwasaki, Professor an der Nihon-Universität in Tokio, gegenüber der Nachrichtenagentur Kyodo ein. Die von Ishiba mit den Neuwahlen bezweckte Legitimierung durch das Wahlvolk blieb aus. Sein politisches Überleben ist damit sehr fraglich.
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