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Harris oder Trump: Radikale Richtungsentscheidung
In den USA entscheidet die Wahl zwischen Kamala Harris und Donald Trump über Grundsätzliches
Die Tragweite der Entscheidung in den USA erscheint so groß, dass die Werbespots der Kandidaten in den vergangenen Wochen die Wähler sogar bis in die Wahlkabine verfolgten, dort wo man das schicksalhafte Kreuz macht. Dabei zeigt die Wahlwerbung für die Demokratin Kamala Harris eine Frau irgendwo im Trump-Territorium, dort also, wo fast alle Menschen Donald Trump wählen. Nun wird besonders betont, dass man in der Wahlkabine völlig frei vom Umfeld ist: »Und das Beste ist, niemand wird es je mitkriegen.« Was gilt ein politischer Seitensprung, wenn es um die Zukunft des Landes geht? Republikanische Werbung versucht genauso, Wähler aus ihren angestammten politischen Milieus zu lösen – mit dem Argument, dass es nun nicht mehr um alte Bindungen, sondern um die Zukunft gehe.
Um welche Wege in die Zukunft geht es aber wirklich, wenn Trump oder Harris im Jahr 2025 das Regieren beginnt? Der Weg der Demokraten unter Kamala Harris steht eindeutig für ein »Weiter So«: Kapitalismus im liberalen System, ein System, das in die Jahre gekommen ist. Der Geist des New Deals von Franklin Roosevelt (1933–1945) wird in ihrem Programm zwar beibehalten, aber nur bis zu dem Punkt, dass mächtige Interessen wie Pharma- oder Versicherungskonzerne kaum beeinträchtigt werden. Falls Harris ihre Radikalität nicht geschickt im Verborgenen hält, würde sie im Fahrwasser von Bill Clinton regieren, Präsident von 1993 bis 2001. Ihre angekündigte Wirtschaftspolitik richtet sich auf die Mittelkasse, den erstmaligen Hauskäufer, den bescheidenen Unternehmer, der auf günstige Kredite angewiesen ist. Zudem ist Harris als Kalifornierin eine Unterstützerin des High-Tech-Mekka Silicon Valley. Auch dem Finanzsektor ist sie verbunden: An der New Yorker Wall Street ging sie erfolgreich auf Spendenjagd und sammelte mehr als eine Milliarde US-Dollar in ihrem kurzen Wahlkampf.
Die Wahlen am 5. November 2024 sind für die US-Bürger wie auch den Rest der Welt eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen dieser Zeit. »nd« berichtet über die Stimmung und Probleme im Land, über Kandidaten und ihre Visionen. Alle Texte zur US-Wahl finden Sie hier.
Radikaler Liberalismus bleibt Antworten schuldig
Der Liberalismus der Demokraten garantiert der Bevölkerung bestimmte Rechte in diesem Kapitalismus. Dass der blanke Rassismus nicht zur Ungleichheit einfach hinzugefügt werden kann; dass Einwanderer an der Grenze einen Anschein von fairem Prozess erhalten; dass die Werte, die Washington in der Welt propagiert, liberale Werte bleiben.
Doch es sind diese tradierten liberalen Werte, die in den Augen der Republikaner und anderer die Lösung vieler Probleme erschweren. Ein kleines Beispiel: die Unsicherheit in der New Yorker U-Bahn. Psychisch Kranke haben oft nur die U-Bahn als Zufluchtsort, denn psychiatrische Betten gibt es in den USA so gut wie keine. Mitte des 20. Jahrhunderts gab es noch 500 000 solcher Betten im ganzen Land. Jetzt, mit einer doppelt so großen Bevölkerung, gibt es nur noch 60 000 – trotz 20 Jahren unter Clinton, Barack Obama und Joe Biden. Doch in den liberalen USA darf man Menschen nicht gegen ihren Willen einsperren, also lösen sie im direkten Umfeld anderer Menschen Ängste aus.
So gibt es viele Probleme, auf die der radikale Liberalismus keine Antwort hat: Arbeits- und Wohnungsmarkt, von der Konzentration des Reichtums bis zu den Waffenrechten unter anderen. Unter demokratischer Führung steht auch die Außenpolitik vor einem Dilemma. Biden versuchte eine Außenpolitik im Sinne von Woodrow Wilson (1913–1921), die die Welt »für die Demokratie sicher macht«. Doch die USA wollen nicht mehr überall eingreifen, wo diese Werte herausgefordert werden. Zwar ließ Biden die US-Truppen aus Afghanistan abziehen. Der Ukraine-Krieg veranlasste ihn dagegen, sich wieder einzumischen. Harris würde es ähnlich ergehen.
Donald Trump appelliert hingegen an Wähler, die sich diesem System nicht verbunden fühlen. »Was habt Ihr denn zu verlieren?«, ruft er regelmäßig ins Publikum. Angesprochen werden alle, die noch weniger Steuern zahlen wollen, von Milliardären zu Freiberuflern und Kleinunternehmern. Auch die Menschen, die in den vergangenen 40 Jahren zu den sozialen Verlierern in den USA gehörten; eben diese Anhängerschaft, ohne die es kein Phänomen Trump gäbe. Millionen seiner Fans glauben, keinen weiteren Verlust zu erleiden, wenn Trump anfangen sollte, den Staat von innen auszuhöhlen. Ganz wie in Argentinien unter dem ultralibertären Präsidenten Javier Milei und seiner Kettensäge – auch wenn Trump die populären Sozialversicherungen offiziell weiterführen wolle, wie er behauptet. In seinen früheren Budget-Entwürfen als Präsident sollten sie allerdings jedes Jahr gekürzt werden.
Besetzt den Mars!
Wie vieles bei Trump ist seine außenpolitische Linie, im Falle eines Wahlsieges, noch nicht abzusehen. Nur eins ist klar: Das Schicksal der Ukraine oder Europas ist ihm herzlich egal. Trumps USA wenden sich emotional von den geopolitischen Fragen der vergangenen 100 Jahren ab. Das T-Shirt seines Unterstützers Elon Musk bei der Trump-Versammlung in Butler, Pennsylvania, steht für das Alternativprogramm: Occupy Mars. Besetzt den Mars! Sprich, die USA haben Wichtigeres im Schilde als den Hindukusch oder Eurasien. Vom Verlust an Einfluss wird hiermit abgelenkt.
Es gab in den vergangenen Wochen interessante Debatten um das US-Militär. Die schärfsten Kritiker Trumps waren der Ex-Generalstabschef der Streitkräfte, Mark Milley, sowie Ex-General und Trump-Stabschef John Kelly. Beide haben Trump als Faschisten bezeichnet. Sie denken offenbar, dass er das Militärs im Konflikt mit dem liberalen System einsetzen werde. Er habe in seiner ersten Amtszeit schon danach gefragt. Ganz offensichtlich fand er am Ende eine andere Lösung als Soldaten auf US-amerikanischen Straßen. Trump setzte auf seine erheblichen demagogischen Fähigkeiten und setzte in seinem Sinne gleich die Bevölkerung selbst in Marsch – zum Sturm aufs Kapitol.
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