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Von der Chaoswahl zum Neuwahlchaos
Herausforderung für die Hauptstadt: Wieder eine so nicht geplante Wahl im Winter
Es hört auf, wie es angefangen hat: Die Bundesregierung ist am Ende und eine von September auf März vorgezogene Neuwahl zeichnet sich ab. Chaos stand am Anfang, chaotisch war es dann immer wieder und es endet auch im Chaos. Wir erinnern uns: Gebildet wurde die am Mittwochabend aufgekündigte Koalition aus SPD, Grünen und FDP nach der Bundestagswahl vom September 2021 – und diese Wahl ging in der Hauptstadt organisatorisch komplett daneben.
Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie hatten die Berliner Bezirke einen viel zu hohen Anteil von Briefwählern einkalkuliert. Sie öffneten zu wenige Wahllokale, in denen zu wenige Wahlkabinen bereitstanden, und zu allem Überfluss lagen vor Ort stellenweile nicht genug Stimmzettel bereit. Weil in Berlin gleichzeitig mit dem Bundestag auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen gewählt wurden und zusätzlich über den Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen!« abzustimmen war, durften die Bürger insgesamt sechs Kreuze machen. Das dauerte seine Zeit und es bildeten sich lange Schlangen bis draußen. Am Ende stimmten nach stundenlanger Wartezeit viele Menschen noch lange nach 18 Uhr ab, als die Wahllokale eigentlich schon geschlossen haben sollten.
Die zahlreichen Pannen führten dazu, dass die Abgeordnetenhauswahl im Februar 2023 komplett wiederholt werden musste und die Bundestagswahl im Februar 2024 in einem Teil der Berliner Wahlbezirke. Ein erneutes Chaos bei einer vorgezogenen Bundestagswahl im März 2025 steht allerdings nicht zu befürchten. Der im Ergebnis des Versagens von 2021 eingesetzte neue Landeswahlleiter Stephan Bröchler hat einen guten Job gemacht und die Scharte von damals ausgewetzt. Die beiden genannten Wiederholungswahlen sowie die Europawahl im Juni 2024 und der Volksentscheid »Berlin 2030 klimaneutral« im März 2023 verliefen weitgehend reibungslos.
Dennoch nimmt Landeswahlleiter Bröchler vorgezogene Neuwahlen nicht auf die leichte Schulter. »Je mehr Wahlereignisse es gibt, desto größer ist die Herausforderung, eine geeignete Zahl von Wahlhelferinnen und Wahlhelfern zusammenzubekommen«, zitiert ihn die Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag. »Aber ich habe keinen Zweifel, dass wir eine ordnungsgemäße Wahl hinbekommen.« Die Vorbereitungen laufen schon. »Das hat ab heute absolute Dringlichkeit«, sagt Bröchler. »Ab heute gibt es eine Sitzung nach der anderen.«
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Auch die Parteien müssen sich nun sputen. Die Berliner Linke steckt gerade mittendrin in einem Streit mit fünf Abgeordneten sowie einigen Stadträten und Bezirksverordneten, die wegen Meinungsverschiedenheiten über Israel und Palästina aus der Partei ausgetreten sind, jedoch ihre Ämter und Mandate nicht niederlegen wollen. In einem Offenen Brief wirft der Ortsverband Marzahn-NOW den fünf Abgeordneten deshalb ein Festhalten am »Kurs der Zerstörung« vor und eine »doppelte Moral, die zwar für bürgerliche Verhältnisse typisch und charakteristisch ist, aber in einer sozialistischen Partei keinen Platz haben darf«. Und weiter: »Die Mitglieder unseres Ortsverbandes haben einen aufopferungsvollen Wahlkampf nicht für diejenigen geführt, die unsere Partei im Stich lassen.« Diese Wortmeldung eines Ortsverbands ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Unzufriedenheit zieht weite Kreise. Es brodelt.
Doch Unruhe kann der Landesverband jetzt noch weniger gebrauchen als ohnehin schon. Einen Vorteil haben die Berliner Genossen gegenüber anderen Landesverbänden der Linken – nach zwei Wiederholungswahlen im Februar 2023 und 2024 sind sie nicht nur die üblichen Kampagnen bei besserem Wetter gewohnt. »Wir sind bereit«, versichert die Landesvorsitzende Franziska Brychcy. »Als Berliner Linke kennen wir Wahlkämpfe im Winter – mit Glühwein und sozialer Politik.«
Inhaltlich äußert sich Brychcy mit Vorwürfen an den entlassenen FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner (»Steuergeschenke an Superreiche«) ähnlich wie in Brandenburg der Linke-Landesvorsitzende Sebastian Walter. Der verspricht am Donnerstag: »Wir stehen auf gegen eine Politik, die ausschließlich die Interessen der oberen Zehntausend verfolgt. SPD, Grüne, FDP, CDU – sie alle treten nach unten, spielen die Schwächsten in der Gesellschaft gegeneinander aus und besorgen so das Geschäft der AfD.«
»Als Berliner Linke kennen wir Wahlkämpfe im Winter – mit Glühwein und sozialer Politik.«
Franziska Brychcy Landesvorsitzende
Da eine in Sachsen ins Auge gefasste Koalition aus CDU, SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nicht zustande kommt, könnte dort zeitgleich mit der vorgezogenen Bundestagswahl auch eine Neuwahl des Landtags abgehalten werden. Dass selbiges auch in Brandenburg geschieht – wo SPD und BSW am Montag in Koalitionsverhandlungen eingetreten sind – halten Brandenburgs Linke gegenwärtig für wenig wahrscheinlich.
Tatsächlich ist für Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ganz enorm der Druck gewachsen, sich mit dem BSW-Landesvorsitzenden Robert Crumbach zu einigen und dabei auch die BSW-Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht zufriedenzustellen. Denn bei einer Neuwahl des Landtags zeitgleich mit oder zeitnah zur Bundestagswahl dürfte es Woidke schwerfallen, sich vom Negativtrend der Bundes-SPD abzusetzen. Dieses Absetzen war bei der Landtagswahl am 22. September eines seiner Erfolgsrezepte. »Es geht um unser Land. Es braucht Klarheit und Stabilität. Jetzt ist staatspolitische Verantwortung gefragt«, sagt Woidke nun. Das passt für Brandenburg, wenngleich der Ministerpräsident damit die Entwicklungen auf Bundesebene meint. Denn er fügt ja hinzu: »Die konstruktiven Kräfte im Bundestag müssen gemeinsam notwendige Entscheidungen treffen und anschließend Neuwahlen herbeiführen.«
Eine Neuwahl des Landtags kann die Brandenburger SPD aber nicht gebrauchen. So eine Neuwahl würde wahrscheinlich nur die CDU beflügeln. Diese schnitt bei der Landtagswahl im September mit 12,1 Prozent so schlecht ab wie nie zuvor. Eine Neuwahl des Landtags im März wäre eine Chance, es besser zu machen. Der CDU-Landesvorsitzende Jan Redmann äußert sich aber erst einmal nur zum Bundestag, wenn er sagt: »Es führt kein Weg an schnellen Neuwahlen vorbei, wenn wir unsere Sicherheit und unseren Wohlstand angesichts der aktuellen Herausforderungen retten wollen.«
Stichwort Sicherheit: Erst am Dienstag brach Redmann eine Lanze für die Aufrüstung der Bundeswehr am Fliegerhorst Holzdorf und am Truppenübungsplatz Lehnin. Dagegen formuliert Berlins BSW-Landesvorsitzender Alexander King, der seinen Landesverband bereit sieht für einen vorgezogenen Wahlkampf: »Nicht zuletzt wollen wir in diesem Wahlkampf die Berliner Stimme für eine aktive Friedenspolitik sein.« Das Aus für die Ampel sei gut für Berlin, denn »die falsche Politik im Bund hat auch auf unsere Stadt durchgeschlagen«.
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