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Die Kraft der Ruhe: Dieter Hecking küsst den VfL Bochum wach
Bochums neuer Trainer hat ein kleines Wunder bewirkt – und einen Punkt gegen Bayer Leverkusen geholt
Altersweisheit ist längst nicht mehr die gefragteste Qualität im deutschen Fußball, wo immer mehr Chefcoaches um die 40 eingestellt werden und Xabi Alonso mit 42 Jahren gleich mit seinem ersten Profiklub das Double gewonnen hat. Es wäre falsch, zu sagen, dass der junge Alonso, der vielleicht bald Real Madrid übernehmen wird, am Sonnabend nach dem 1:1 von Bayer Leverkusen blass wirkte neben seinem 60 Jahre alten Kollegen Dieter Hecking. Ratloser war er auf jeden Fall.
Während der spanische Supercoach die Probleme seiner Mannschaft, die nur eines ihrer sechs letzten Spiele gewonnen hat, gerade nicht gelöst bekommt, strahlte Hecking die Ruhe eines tibetanischen Mönches aus. Innerhalb weniger Tage hat er in Bochum ein kleines Wunder bewirkt: Es ist ihm gelungen, eine komplett in sich zusammengefallene Mannschaft in ein funktionierendes Team zu verwandeln. Mit Mitteln, die oft unterschätzt werden. Hecking erzählte nach dem Spiel schon auch davon, seiner Mannschaft »Struktur« gegeben zu haben, aber auf die konkrete Frage nach seinen Hauptmaßnahmen berichtete er von einem »Druckmittel«, das er eingesetzt habe. »Ich habe gesagt: Wenn ihr ein gutes Spiel macht und wir holen auch noch was, dann gibt es zwei Tage frei, denn ich will heute Abend in meine Heimat zu meinen Schwestern auf die Soester Kirmes«, erzählte er. »Das haben sie mir gegönnt, weil sie wussten: Der Alte will zwei Tage frei, auf die Kirmes gehen und ein Bierchen trinken.«
Das war mehr als eine nette Anekdote. Denn die Wirkkraft des Dieter Hecking besteht – jenseits aller Fachkenntnis – in seiner inneren Ruhe, in seiner Lebenserfahrung. Mehr als 400 Bundesligaspiele hat er als Coach erlebt, mehr als jeder andere aktuelle Bundesligatrainer. Er muss niemandem mehr etwas beweisen, vordergründige Eindrücke sind ihm egal. Der in Castrop-Rauxel geborene Westfale ist nicht mehr abhängig von den emotionalen Extremausschlägen des rasenden Alltags: Statt um die Zukunft eines Klubs und ums Überleben in einer Liga geht es um die einfachen, konkreten Dinge. »Er hat uns positive Sicherheit gegeben«, sagte Außenbahnspieler Gerrit Holtmann nach der mit Abstand besten Leistung des VfL Bochum in dieser Saison.
Für das Tor, mit dem Koji Miyoshi in der 89. Minute Patrik Schicks frühe Leverkusener Führung ausglich, war zwar eine ordentliche Portion Glück notwendig, aber der Treffer war zugleich die Folge einer hervorragenden zweiten Halbzeit und einer Schlussphase, in der der Tabellenletzte den Deutschen Meister vollständig unter Kontrolle hatte. »Wir haben von Anfang an umgesetzt, was der Trainer von uns verlangt hat«, berichtete Kapitän Anthony Losilla, man habe »gesehen, dass jeder für jeden gearbeitet hat.«
Die Leichtigkeit und das Selbstvertrauen waren zurück, was ziemlich erstaunlich gewesen ist, nachdem die Bochumer noch vor einer Woche die schlechteste Mannschaft waren, die es nach neun Spieltagen jemals in der Bundesliga gegeben hat. Hecking sagte, dass der späte Ausgleich »eine Explosion in der Mannschaft ausgelöst« habe, und die Fans, deren harter Kern vor wenigen Tagen noch einen Boykott in Erwägung gezogen hatten, sangen: »Der VfL ist wieder da!« und »Nie mehr zweite Liga«. Bochum ist vorerst versöhnt. »Wie unsere Fans uns gepusht haben, war wieder einmal Wahnsinn«, sagte Losilla, »diese unglaubliche Stimmung im Stadion nach Abpfiff habe ich vermisst.«
Hecking hat den Klub wachgeküsst, dessen Verantwortliche ja zuvor überlegt hatten, den vor einer Woche vollzogenen Trainerwechsel um eine Woche in die nun beginnende Länderspielphase zu verschieben. Um zu verhindern, dass Heckings Arbeit direkt mit einer harten Niederlage belastet wird. Der neue Chef hatte dieses Angebot abgelehnt, er wollte sofort loslegen und hat auch schnell davon gesprochen, dass ein Sieg gegen den Meister vom Rhein vorstellbar sei.
Als die allgemeine Euphorie dann langsam verflog, räumte der altersweise Stoiker dann irgendwann ein, dass er schon nervös war, er erzählte von »Achselschweiß« und der Notwendigkeit einer Dusche. Aber auch das wirkte irgendwie souverän. Genau wie sein Eingeständnis vor der Partie, dass er nach einer Viertelstunde der Leverkusener Champions League-Partie in Liverpool am vorigen Dienstag eingeschlafen sei. Andere Trainer hätten so etwas nie zugegeben, schließlich gehört es zur Trainerpflicht, den kommenden Gegner zu studieren. Aber Hecking verkörpert nicht nur eine wohltuende Bedächtigkeit, sondern auch eine Freiheit des Sprechens, die diesem zuletzt so verkrampften VfL Bochum, sehr gut tut. »Allerdings«, sagte Hecking am Ende noch, »es war nur ein erster Punkt heute. Wir brauchen das 24 Mal.«
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