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Kampf gegen Antisemitismus: Die andere Offensive des BVB
Nach düsteren Jahren kämpfen die Dortmunder inzwischen kontinuierlich gegen Antisemitismus
Der Ruf war ruiniert. 2012 bekundeten Fans von Borussia Dortmund auf einem Stadionbanner ihre Solidarität mit dem »Nationalen Widerstand Dortmund«, einer verbotenen rechtsextremen Organisation. Dem Verein wurde vorgeworfen, dass er Neonazis unter seinen Fans und in seinem Sicherheitspersonal dulde. 2013 wurden zwei Dortmunder Fanbetreuer bei einem Spiel in Donezk von rechtsextremen Hooligans angegriffen. Auf politischer Ebene galt der BVB als ignorant und naiv.
Elf Jahre später ist dem Klub der Wandel gelungen. An diesem Mittwoch erhält Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, den Leo-Baeck-Preis, die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden. Der scheidende BVB-Boss hatte in den vergangenen Jahren großen Anteil an der Neuausrichtung des Vereins im Kampf gegen Antisemitismus. Bei der Verleihung in Berlin wird Hendrik Wüst, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, die Laudatio halten. »Hans-Joachim Watzke setzt sich seit vielen Jahren mit voller Überzeugung für unsere offene Gesellschaft ein«, heißt es in einer Mitteilung des Zentralrats der Juden. »Unter seiner Führung ist der Verein Borussia Dortmund zu einem wichtigen Partner in der Antisemitismusprävention geworden.«
Watzke steht stellvertretend für das Engagement eines Klubs, das im europäischen Fußball selten ist: Nach Jahren der öffentlichen Kritik ließ sich der BVB seit 2012 von externen Wissenschaftlern beraten und gründete einen »Arbeitskreis Rechtsextremismus«. Ab 2014 bot der Verein seinen Fans und Mitarbeitenden Bildungsreisen in KZ-Gedenkstätten an, inzwischen sind es mindestens drei pro Jahr, die Wartelisten für eine Teilnahme sind lang.
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»Fußballfans haben eine hohe Identifikation mit ihrem Verein und ihrer Stadt«, sagt Daniel Lörcher, einer der prägenden BVB-Mitarbeiter in der Prävention gegen Antisemitismus. »Diese Identifikation bietet einen Einstieg in unsere Projekte. Wir schauen in Dortmund auf die Spuren von jüdischem Leben, auf antisemitische Verfolgung und auf die Strukturen des Nationalsozialismus. Und dann geht es auch um die Frage: Was hat das heute mit mir zu tun?«
Durch die Popularität des Fußballs erreicht der BVB auch viele Interessierte, die sonst keine Angebote der politischen Bildung wahrnehmen. In den Projekten stellen sie auch Biografien von Menschen vor, die Opfer von Antisemitismus wurden. Ein Beispiel: Der ehemalige BVB-Platzwart und Widerstandskämpfer Heinrich Czerkus wurde 1945 von den Nazis ermordet.
2019 spendete Borussia Dortmund eine Million Euro für den Ausbau der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Zudem förderte der Klub mit kleineren Beträgen andere Gedenkstätten. Für Initiativen wie diese erhielt Hans-Joachim Watzke vor zwei Jahren von der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf die Josef-Neuberger-Medaille, benannt nach dem früheren Justizminister von Nordrhein-Westfalen. »Es ist wichtig, dass wir dafür eintreten, dass stolzes, jüdisches Leben in Deutschland gefördert wird«, sagt Watzke bei der Ehrung. »Und wir werden da auch nicht nachlassen. Dafür gebe ich Ihnen hier mein Wort.«
Die thematische Verankerung führte dazu, dass der BVB auch nach dem Angriff der Hamas auf Israel schnell reagieren konnte: mit Gedenkbotschaften im Stadion und Workshops über den Nahost-Konflikt für Fans und Mitarbeitende. Mehrfach luden der Klub und Fans Angehörige der Opfer und Geiseln der Hamas nach Dortmund ein. »Als israelischer Fan mit deutschen Wurzeln bedeutet mir das sehr viel«, sagt Adam Lahav von den »Israelischen Borussen«, einem Fanklub, der vor allem Mitglieder in Israel und Deutschland hat. »In Israel können sich inzwischen viele Menschen mit dem BVB identifizieren.«
Doch in der internationalen Fanszene gibt es auch Stimmen, die Borussia Dortmund eine einseitige Positionierung für Israel vorwerfen. Etliche von ihnen lobten in sozialen Medien die Fans von Celtic Glasgow, die bei ihrem Champions-League-Spiel in Dortmund vor etwas mehr als einem Monat palästinensische Flaggen zeigten. In dieser aufgeladenen Atmosphäre bewirbt der BVB seine Veranstaltungen über Antisemitismus mitunter nur intern, um Störungen von außen zu vermeiden.
Klubmitarbeiter Daniel Lörcher sagt, dass die Prävention meist fernab der großen Öffentlichkeit stattfindet. Nach dem 7. Oktober sind er und seine Kollegen auf die Jüdische Gemeinde in Dortmund zugegangenen. »Wir haben gesagt: Wir stehen an eurer Seite«, erinnert sich Lörcher. »Das sind Menschen aus unserer Stadt, die sich für etwas rechtfertigen müssen, womit sie überhaupt nichts zu tun haben, und aufgrund von antisemitischen Anfeindungen.«
Hans-Joachim Watzke ist neben dem früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger nun der zweite Fußballfunktionär, der den prestigeträchtigen Leo-Baeck-Preis erhält. Dass die Südtribüne im Dortmunder Stadion inzwischen frei ist von Rechtsextremen, ist unwahrscheinlich. Aber immerhin geht der BVB nun dagegen in die Offensive.
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