Stilles Sterben in der Pflege

Sozialstationen und Pflegedienste müssen aufgeben

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 3 Min.
Wer im Alter nicht mehr allein zurecht kommt, muss gepflegt werden. Das muss finanziert werden.
Wer im Alter nicht mehr allein zurecht kommt, muss gepflegt werden. Das muss finanziert werden.

Der Pflegenotstand drängt immer forscher auf die Tagesordnung. Nun hat Brandenburg mit seinem »Pakt für Pflege« schon Weichen gestellt. Das erfuhren die Teilnehmer des 10. Brandenburger Pflegetages am Mittwoch im Potsdamer Hotel Mercure. Die scheidende Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sagte, es sei gewiss, dass die Pflege als Thema auch bei einer neuen Landesregierung ganz oben stehen müsse. Nonnemacher nutzte den Termin, den im Land Brandenburg geschaffenen »Pakt für Pflege« als Erfolg herauszustreichen, der »starke bundesweite Beachtung findet«.

Die Ministerin verwies auf 100 geschaffene Stellen für Pflegelotsen, die über mögliche Pflegeleistungen aufklären, auf 315 neu geschaffene Tages- und 54 Kurzzeitpflegeplätze. 96 Prozent der Pflegefälle in Brandenburg werden nicht im Heim, sondern in den eigenen vier Wänden betreut – »und darauf sind wir stolz«. Keinen geringen Anteil an der Quote habe das Landesprogramm »Pflege vor Ort«, an dem sich 87 Prozent der Kommunen beteiligen.

In Brandenburg erweise sich, »was durch gemeinsames Handeln möglich ist«, sagte Nonnemacher den vor ihr sitzenden Pflegefachkräften und Seniorenbeiräten sowie den Vertretern von Kommunen und Wohlfahrtsverbänden. Sie scheue sich nicht, auch in diesen komplizierten Zeiten mehr Geld für die Pflege zu fordern, sagte Nonnemacher. Nur durch die Stärkung der häuslichen Pflege könne die enorm kostspielige stationäre Pflege reduziert werden. Das mache sich »im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt«. Nonnemacher forderte die Kommunen auf, bis Ende November Geld für entsprechende Projekte zu beantragen. Für das erste Halbjahr 2025 gebe es noch Fördermittel.

Gekennzeichnet sei die Lage von der »sehr ungünstigen Altersstruktur« in Brandenburg und der Tatsache, dass »immer weniger junge Leute sich für den Pflegeberuf entscheiden können oder wollen«. Hinzu komme ein hohes Durchschnittsalter der Pflegekräfte. Außerdem brechen viele eine Berufsausbildung in der Pflege ab oder entscheiden sich später für einen anderen Beruf. Die Ministerin mahnte: Hohe Qualitätsstandards zu fordern sei richtig. Aber dies dürfe nicht dazu führen, dass gar nicht mehr gepflegt wird. Es müssten Parameter gelten, »die auch erfüllbar sind«.

Nichts weniger als einen »Haltungswechsel« forderte Andreas Kaczynski, Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Wolhfahrtsverbands in Brandenburg. Bei der Gesetzgebung hänge nach wie vor »vieles in der Luft«. Kaczynski sprach von einem »Pflegenotstand, der nicht nur droht, sondern den wir teilweise schon erleben«, von einem »stillen Sterben« bei Sozialstationen und Pflegeunternehmen. »Irgendwann kippt es.« Dem Land Brandenburg gestand Kaczynski zu, mit seinem »Pakt für Pflege« die Zeichen der Zeit früher erkannt zu haben als andere und »den Stier bei den Hörnern« gepackt zu haben.

Weil eine Reihe wichtiger Gesetze – unter anderem die Ausbildung und die Fachkräftesicherung betreffend – noch auf ihre Inkraftsetzung warten, ist das vorzeitige Ende der Bundesregierung für Ministerin Nonnemacher »ein Drama«. Es sei von einer »Katastrophe für die Pflege« gesprochen worden. »Das sehe ich ein bisschen ähnlich.« Dass sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Dauerstreit ermüdet habe, zeitige »schlimme Folgen für die Menschen in unserem Land«.

Nicht ganz so dramatisch sah dies Martin Schölkopf vom Bundesgesundheitsministerium. Was die erwähnten Gesetze betreffe, werde sich höchstwahrscheinlich ein Weg finden. Schölkopf machte die unsichere Finanzierung der Pflege zu schaffen. Um die gestiegenen Kosten zu tragen, müssten ab 2025 die Beiträge zur Pflegeversicheurng steigen. »Wir hoffen, dass das gut geht.« 100 000 Pflegebedürftige mehr erfordern ihm zufolge fast eine Milliarde Euro. Nach Jahren der Beschäftigungszunahme im Pflegeberuf – für Schölkopf ein Anzeichen dafür, dass die Entlohnung nicht so schlecht sein könne – sei nun aber ein Rückgang zu beobachten.

Von 2013 bis 2023 verdoppelte sich die Zahl der Pflegefälle in der Bundesrepublik auf rund fünf Millionen. Schon in wenigen Jahren werden es sieben Millionen sein.

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