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Listig dickere Bretter bohren
nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: Die Verarmung des Denkens in der Gesellschaft ist eine Herausforderung
Die Tiefpunkte der real existierenden Linken werden hierzulande immer tiefer, so lässt sich die anhaltend desolate Entwicklung kurz und bündig zusammenfassen. Der Niedergang sorgt bekanntlich seit Längerem für (neuerliches) Wundenlecken in der Partei Die Linke. Lange hatte sie die zunehmende Marginalisierung linker Positionen und das katastrophale Abschneiden bei Wahlen in erster Linie in Formen der Selbstkritik auf quasi hausgemachte Ursachen zurückgeführt.
Und jetzt das Signal für Hoffnung und Zuversicht? So jedenfalls wollen die neuen Vorsitzenden den jüngsten Parteitag in Halle verstehen. Und nach außen hin ist mit Kompromissen, formalem Ausgleichen und nicht geführten Debatten der Anschein erweckt, alle in der Partei zögen jetzt an einem Strang. Eine Auseinandersetzung zu Israel/Palästina wurde mit einem kurzfristig präsentierten Kompromissantrag vermieden, in der Diskussion über Frieden und Waffenlieferungen wurde eindeutigen Festlegungen per Vorstandsvorschlag aus dem Weg gegangen, und in der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen bleibt alles beim Alten.
Zwar ist ein Parteitag gewiss kein Forum, um tiefer in die gesellschaftlichen Verschiebungen einzusteigen, die dazu geführt haben, dass Die Linke heute in vielen Themen gegen den Strom schwimmt. Das soll sie auch, aber die Frage ist, wie. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Partei gesellschaftlichen Rückhalt für ihre Forderungen bekam – etwa in der Ablehnung der Hartz-Maßnahmen und der Vorherrschaft der Finanzmärkte. Heute vertritt sie in Fragen wie Bürgergeld oder Aufrüstung im Gegensatz zu früher gesellschaftliche Minderheitspositionen mit starkem medialen Gegenwind. Das zeigt: Abseits der von der je aktuellen Aufgeregtheit aufgezwungenen Themen gäbe es eine Menge Punkte grundsätzlicher Art, die eigene Positionierung zu überdenken.
Mit dem Neustart von Halle will die Partei, so sagte es die Ko-Vorsitzende Ines Schwerdtner, »sich mit den Reichen und Mächtigen anlegen«. Wo die Leute »der Schuh drückt«, soll mit direkten Gesprächen an der Haustür herausgefunden werden: »Und das packen wir dann auch an.« Ein, maximal zwei Themen wollen sie im Wahlkampf nach vorne stellen, sagte ihr Kollege Jan van Aken. Mietendeckel und ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin sollen dazugehören, denn man habe ja »die soziale Frage im Fokus«.
Dahinter steht ein arg beschränkter Ansatz in der »Klassenanalyse« – so, wenn van Aken Milliardäre denen gegenüberstellt, »die den Laden am Laufen halten und doch nicht genug verdienen«. Die in solchen Parolen anklingende schlichte Dichotomie verdeutlicht, dass ein weitaus tieferer Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen unabdingbar wäre, um den Niedergang der Linken zu untersuchen und ihm entgegenzuwirken.
Walther Becker und Uli Wesser gehören zum AK System Change Frankfurt am Main. Die Gruppe gibt es seit 2020, sie zählt sich zu den undogmatischen Linken und ist offen für Kooperationen, wie zuletzt mit der Redaktion des »Express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit«. Sie diskutiert über Bedingungen, Wege und Ziele einer nachkapitalistischen Gesellschaft und darüber, wie Linke mit diesen umgehen.
Hochproblematisch ist und bleibt das nahezu ausschließliche Schielen auf Wählende. Geschürt wird so die Erwartung, dass echte politische Veränderungen über Parlamente und Regierungen erreicht werden können und nicht dadurch, »dass gesellschaftlicher Druck und Klassenkämpfe nötig sind, um innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft Kräfteverhältnisse zu verändern«, wie es die bisherige Parteivorsitzende Janine Wissler jüngst ausgedrückt hatte.
Sicher ist das Abschneiden in Umfragen und bei Parlamentswahlen ein wichtiges Barometer für die Partei (und Grundlage für Posten und Finanzen), doch Stimmenmaximierung kann nicht wesentliche, wenn nicht gar ausschließliche Strategie und Ziel linker Politik sein. Soll die Partei ihre Positionen Umfragen und Mehrheiten anpassen? Oder dem, was den nun ausschwärmenden »Kümmerern« an den Haustüren erzählt wird?
Es gibt in der Partei viele, die an den »Konservatismus der Lohnabhängigen« anknüpfen wollen, »die ihre hart erkämpften sozialen Errungenschaften verteidigen«, wie Partei-Urgestein Michael Brie vor einiger Zeit geschrieben hat. Denn »das arbeiterliche Bewusstsein denkt Rechte und Pflichten zusammen«, schließt er sich einem Konservatismus an, der sich schlicht an die herrschenden Verhältnisse anpasst. In diese Kerbe schlug auch Gregor Gysi in Halle bei seiner Positionierung gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Er bezeichnete dieses Konzept, über das in der Partei seit Langem diskutiert wird, als ungerecht, da im Alter eine Arbeiterin nach 45 Lohnarbeitsjahren ebenso viel Geld erhalten würde wie jemand, der gerade sieben Jahre erwerbstätig gewesen sei. Ja, so einfach scheint das.
Um die prekäre Situation der Linken zu analysieren, reichen weder oberflächliche Beobachtungen gesellschaftlicher Entwicklungen oder Stimmungslagen noch eine Überbetonung eigener politischer Fehler und Versäumnisse. Linke Kräfte müssen die Aufmerksamkeit stärker auf die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer politischen Aktivitäten richten, denn der politische Raum wird nicht bloß durch erklärte Vorhaben der darin Tätigen geprägt. Viele Bedingungen ökonomischer, sozialer und politischer Reproduktion haben sich in der technologischen Globalisierung der vergangenen beiden Jahrzehnte gewandelt. Deshalb ist es für die Bewertung veränderter politischer Verhältnisse wichtig, welche Rollen genauer neue Reproduktionsbedingungen und Klassenspaltungen spielen, zusammen mit den damit verbundenen Lebensweisen der Leute, ihren Subjektivierungen, Erfahrungen und Haltungen sowie den sie leitenden Ideen.
Exemplarisch hinsichtlich politischer Konstellationen ist dafür, wie tiefere gesellschaftliche Verhältnisse eher eine reaktionäre oppositionelle Statur fördern, die sich immer mehr mit autoritärem Pseudowiderstand verankert und dadurch Die Linke auf breiterer Front schwächt. Dieser Druck kommt nicht von einem rechtsradikalen Außen, sondern aus dem Inneren unserer liberalen Verhältnisse. Linke politische Aktivitäten ohne Verständnis für solche Zusammenhänge und entsprechende praktische Strategien folgen vielfach bloß herrschenden Perspektiven und Ideen – und das nicht nur beim raschen Reagieren auf gerade aktuelle Aufreger.
Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.
Immer mehr verschwindet ein Horizont echter gesellschaftlicher Transformation, das Gemurmel über Sozialismus übersetzt sich faktisch in wenig mehr als schlichte Kapitulation vor der Gegenwart. Das fehlende Verständnis beginnt mit oberflächlichen Krisendiagnosen, setzt sich mit vagen Kriterien für gelungene Transformation fort (wenn denn diese überhaupt noch angesprochen wird) und verschleiert greifbare Ziele für eine andere Gesellschaft. Zudem werden wenige Routen dorthin offeriert, die über situationsgebundene, oft kaum miteinander verbundene Forderungen hinausgehen.
Im defizitären strategischen Gesamtbild fehlt eine realistische Einschätzung der eigenen Kräfte und widersprüchlicher gesellschaftlicher Potenziale ebenso wie kollektive Lernfähigkeit in objektiv schwierigen Verhältnissen. Ursachen dafür finden sich auch darin, dass beherrschte Klassen heute stark fragmentiert und unterschiedlich in gesellschaftliche Sphären eingebunden sind, was Problemlagen unübersichtlicher macht – wie es auch der Wandel breiter politischer Stimmungslagen signalisiert; doch diese Diagnose gehört vertieft.
Emanzipatorische Kräfte sind tatsächlich mit zahlreichen gesellschaftlichen Blockaden konfrontiert, aus deren Konjunkturen und Zusammenspiel sich viele Haltungen und Stimmungen speisen: Deren Spektrum reicht von Konsumversprechen über Arbeitszwänge bis zur Präsentation diverser Krisen. Sie werden alle mit immer neuen, oft technologischen Medien ausgebaut, denen wir in unseren alltäglichen Praktiken selbstverständlich folgen.
Die Gesamtheit dieser gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnisse fördert nicht zuletzt Entsolidarisierung und »kognitive Proletarisierung«, also Verarmung des Denkens, der Affekte etc. Damit muss sich Die Linke feinfühliger auseinandersetzen. Das gilt auch für das Fehlen markanter Strategien zur Fragmentierung von Klassen, eine Zerrissenheit, der sie selbst oft folgt und sie noch verstärkt, indem linke Gruppen sich mit der je eigenen, marginalen politischen Nischenposition im Kampf gegen andere Gruppen überidentifizieren – ein fatales Geschehen linker Selbstdestruktion, das nicht selten zur Anbiederung an Herrschaftsinstitutionen, zu einem neuen Typ Konformismus führt.
Dieser Zerrissenheit entspricht, dass sich die sozialen und politischen Räume, ihre Öffentlichkeiten stark verändert haben: So erstaunt es, was alles als »links« oder »oppositionell« präsentiert wird, obwohl es eher eine Variante herrschenden Zeitgeists bietet. Dagegen existieren kaum noch wirklich sozial verankerte Widerstandskulturen, in denen sozialistische Haltungen gedeihen, und gesellschaftliche Konflikte konzentrieren sich oft auf die (scheinbare) Alternative reaktionär oder liberal. Außerdem mangelt es der Linken an systematischen Zugangsstrategien zum alltäglichen Leben und seinen immer mehr vernetzten Problemen angesichts dessen, wie der Neoliberalismus es damit schafft, gesellschaftliche Verhältnisse zu immunisieren. Und er erreicht dies auf eine Weise, bei der für die Individuen sowohl Anpassung als auch Wandel in vielen Facetten problemverstärkend funktionieren.
Deshalb braucht es bessere Wege als schlichten Opportunismus, ein undifferenziertes Andocken an Alltagshaltungen in der Art »die Leute abholen« – zumal Arbeiter*innen inzwischen massenweise die AfD wählen, wie sich jüngst gezeigt hat. Es ist nun mal schwierig, dauerhafte Aufmerksamkeit und Mobilisierung abseits der jeweils herrschenden Trends zu erreichen. Es mangelt zudem an erhellenden, bewegenden Narrativen, gar Visionen, die ausgefeiltere emanzipatorische Initiativen attraktiv machen. Klar ist: Die Linke muss listig dickere Bretter bohren – auch wenn es mehr Zeit braucht und nicht mit zwei, drei Leitforderungen erledigt werden kann.
In der nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« erschien zuletzt: »Objektiv eine Katastrophe« von Matthias Krauß (»nd.DerTag«, 19.11.)
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