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Rechte Anfeindungen: Nicht nur die Kirsche auf der Torte

Kein Geld und Drohungen von rechts: Demokratieprojekte in Sachsen durchleben schwere Zeiten

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 9 Min.
Carolin Juler vor dem Domizil des Vereins »Resonanzraum Erzgebirge«, das aber zum Jahresende aufgegeben werden muss
Carolin Juler vor dem Domizil des Vereins »Resonanzraum Erzgebirge«, das aber zum Jahresende aufgegeben werden muss

Der Schmelztiegel ist heiß. 450 Grad muss das Zinn haben, um in Formen gegossen werden zu können. Im Erzgebirge, wo das Zinngießen seit Jahrhunderten populär ist, entstehen auf diese Weise oft winzige Bergleute, die dann, bunt bemalt oder blank metallisch glänzend, zu Bergparaden gruppiert werden. Carolin Juler, Projektleiterin beim Verein Resonanzraum Erzgebirge, gießt erst einmal eine Ente. Der Verein hat an diesem Nachmittag einen Kunsthandwerker eingeladen, der die Tradition pflegt. Er fachsimpelt mit Gästen über geeignete Legierungen oder die Frage, wie die Formen gestaltet sein müssen, damit das flüssige Metall in jede feine Verästelung fließt. Bei Juler klappt das nicht auf Anhieb; ihre Ente hat nur einen Fuß. Im Handumdrehen landet das Metalltier wieder im Schmelztiegel: »Noch ein Versuch«, sagt der Handwerker.

Was für die Zinnfigur gilt, trifft für Julers bis Ende November befristetes Projekt nicht zu: Es wird aus Geldmangel keine zweite Chance erhalten. »ERZählungen – gestern, heute, morgen« heißt es; die drei Großbuchstaben am Anfang verweisen auf das Erzgebirge, eine Region, die für prägnante Traditionen und eine ausgeprägte Heimatverbundenheit bekannt ist, in der aber auch rechtsextremes Gedankengut immer mehr um sich greift. Laut einer Umfrage von 2023 lehnen 27 Prozent der Menschen in der Region die Demokratie ab. Bei der Landtagswahl 2024 stimmten in den fünf Wahlkreisen zwischen 37 und 46 Prozent der Wähler für die AfD. Bei der Landratswahl 2022 holte Steffen Hartung, der einst in der NPD aktiv war, 2013 die fremdenfeindlichen »Lichtelläufe« in Schneeberg organisierte und heute führender Kopf der Freien Sachsen ist, im ersten Wahlgang zehn Prozent: »Das hat uns erschüttert und die Idee für den Verein entstehen lassen«, sagt Juler.

Der »Resonanzraum« ist in einem äußerlich unspektakulären Nachwendebau in der Kleinstadt Thalheim ansässig, die früher für ihre Strumpffabriken bekannt war. Er will Kunst und Kultur fördern und zugleich demokratische Werte stärken, zu zivilgesellschaftlichem Engagement ermutigen und Menschen eine Heimat bieten, die von Rassismus oder Diskriminierung betroffen sind. Mit dem Projekt »ERZählungen« bewarb er sich um Gelder von Bund und Land – zunächst mit Erfolg. Das Bundesfamilienministerium bewilligte ab Ende 2022 eine Förderung im Rahmen des Programms »Demokratie leben!«. So konnten unter anderem ein Ladenlokal angemietet und drei Mitarbeiter beschäftigt werden.

In den zwei Jahren seither griff man in insgesamt fünf »Mikroprojekten« Themen wie Geschlechterdemokratie, Fake News oder Antisemitismus auf, organisierte Workshops, Projekttage für Schulen und ein Jugendcamp. Bei alldem bemühte man sich, möglichst zugänglich zu bleiben. »Wir betonen immer, dass bei uns niemand gendern muss«, sagt Juler mit einem Augenzwinkern und fügt an: »Wir begegnen Menschen mit Respekt und auf Augenhöhe.« Das gilt beispielsweise für Frauen, mit denen man auf dem Marktplatz in Annaberg-Buchholz bei einer öffentlichen Frauensprechstunde über Geschlechterstereotypen ins Gespräch kam. Die Kreisstadt wurde ausgesucht, weil dort Abtreibungsgegner alljährlich zu einem »Schweigemarsch für das Leben« aufrufen, wogegen es regelmäßig feministische Proteste gibt.

Es gab viele weitere Vorhaben. In einer Ausstellung mit dem Titel »Smoking Chemnitzer:in« beispielsweise wurden von Studierenden entworfene Räucherfiguren gezeigt, die, anders als die üblichen erzgebirgischen Exemplare der »Raachermannln«, nicht nur Geschlechterstereotypen reproduzieren: »Traditionell gibt es da ja nur Männer oder ganz wenige, aber sehr klischeehafte Frauenfiguren«, sagt Juler. Die Vielfalt und Diversität der Thalheimer Stadtgesellschaft sollen schon Kinder in einem im Rahmen des Projekts entstandenen »Wimmelbuch« erfahren, das dieser Tage vorgestellt wird. Eine ähnliche Idee steckt hinter dem Projekt »Erzgebirge Next Topmodel«, für das Menschen aus der Region nach deren typischen Attributen gefragt wurden. Künstlerinnen gestalteten daraus Postkarten, auf denen die Models etwa neben Schwibbögen zu sehen sind, in Trikots des Fußballvereins Erzgebirge Aue und neben Regenbogenfahnen.

In einigen Fällen wird mit anderen Kunstprojekten in der Region kooperiert. So erforschte die Klangkünstlerin Anna Schimkat im Rahmen des Projekts »ost in space« die Migrationsgeschichte des Erzgebirges. Die Ergebnisse sind derzeit in Thalheim in den Schaufenstern eines ehemaligen Ladens zu sehen. Unter dem Titel »Macht euch auf die Socken« werden Auswanderungserfahrungen erzgebirgischer Strumpfwirker dargestellt, die vor rund 100 Jahren in die USA emigrierten. Die Ausstellung bietet durchaus spannende Erkenntnisse für heutige Bewohner einer Region, in der man Zuwanderung oft skeptisch gegenüber steht und in der, wie Juler es formuliert, eine »repressive Harmonie« herrscht. Die solle möglichst nicht gestört werden, auch nicht von Menschen, die anders aussehen oder andere Lebensentwürfe und politische Ideen vertreten. Auch ein Projekt wie »ERZählungen« wirkt da gelegentlich wie ein Stachel, hat aber auch für produktive Begegnungen und fruchtbare Debatten gesorgt.

Damit freilich ist bald Schluss. An diesem Samstag werden in einem Thalheimer Kulturzentrum die Ergebnisse des Projekts vorgestellt. Eigentlich war die Veranstaltung als eine Art Zwischenbilanz gedacht, nun aber muss ein Schlussstrich gezogen werden – weil es keine weiteren Fördermittel gibt. Ein entsprechender Antrag beim Bundesfamilienministerium wurde abgelehnt. Eine Begründung gibt es nicht. In der Regionalausgabe der »Freien Presse« wird auf eine vierstellige Zahl von Anträgen und begrenzte Mittel verwiesen.

Juler ist nicht wirklich überrascht. Schon vor Wochen hatte sie betont, dass der Bund nur fördert, wenn sich das Land beteiligt. In Sachsen aber gibt es nach der Landtagswahl noch keine Regierung und keinen beschlossenen Haushalt; der Freistaat geht zum Jahreswechsel in die »vorläufige Haushaltsführung« über, innerhalb derer das Finanzministerium nur einen geringen Teil des Jahresbudgets zugänglich macht. »Allein um die Zeit bis zu einem regulären Etat zu überbrücken und die Personalkosten zu decken, bräuchten wir 24 000 Euro«, sagt Juler. Die hat der Trägerverein nicht. Nüchtern merkt sie an: »Wenn man ein Projekt beantragt, muss man damit rechnen, dass es endet. Alles andere wäre naiv.« Dennoch hält nicht nur sie das Ende der Förderung für falsch. In einem offenen Brief an Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sprechen drei regionale Bundestagsabgeordnete von einer »bedenklichen Entscheidung«. Antidemokratische Tendenzen seien bundesweit zu beobachten, im Erzgebirge seien sie »bereits jetzt besorgniserregend«. Dass sich dadurch etwas an der Ablehnung ändert, glaubt niemand. In Thalheim sind Mitarbeiter und Mietvertrag gekündigt. Ein paar Veranstaltungen gibt es noch, unter anderem ein weihnachtliches Basteln: »Da verwerten wir unsere übrig gebliebenen Flyer, die sonst in der Papiertonne landen würden«, sagt Juler, der die Trauer über das Projektende anzumerken ist: »Damit aufzuhören, fällt mir sehr schwer.«

Tilo Hellmann denkt noch nicht ans Aufhören. Dabei hat der Verein Buntes Meißen, dessen Vorstand er angehört und in dem er lange Schatzmeister war, ganz ähnliche Probleme wie der Resonanzraum Erzgebirge. Er entstand aus einer Initiative, die 2013 etwas gegen ein Reichsbürgertreffen auf den Meißner Elbwiesen unternehmen wollte. 2015 wurde daraus ein überparteilicher Verein, der sich seither für Geflüchtete, gegen Rassismus und für ein demokratisches Miteinander einsetzt. Es gibt Beratungsangebote, Sprachunterricht oder Einrichtungen wie den »Internationalen Garten«, der seit 2016 auf einem dreieinhalb Hektar großen Gelände oberhalb der Stadt angelegt wurde und in dem sich Geflüchtete und alteingesessene Meißner beispielsweise bei gemeinsamer Gartenarbeit begegnen können.

»Im gesamten Bundesgebiet beobachten wir seit Jahren antidemokratische Tendenzen, doch im Erzgebirgskreis sind diese Entwicklungen bereits jetzt besorgniserregend.«

Offener Brief von drei Bundestagsabgeordneten

Doch auch dem Verein Buntes Meißen geht das Geld aus. Das Gartenprojekt etwa sei vom Sozialministerium zwei Jahre lang als »Sozialer Ort« gefördert worden, sagt Hellmann. Zum Jahresende läuft die Förderung aus, eine Fortsetzung gibt es nicht. Ebenfalls am 31. Dezember endet eine Förderung für »integrative Maßnahmen«, dank derer der Verein beispielsweise Angebote für Frauen entwickeln konnte: »Die sind ja oft der Schlüssel für eine funktionierende Integration in den Familien«, sagt Hellmann. Das Förderprogramm geriet freilich in den Fokus des sächsischen Rechnungshofes, der dem zuständigen Sozialministerium ein verheerendes Zeugnis ausstellte. Ergebnis ist eine rigide Förderpraxis, zu deren Leidtragenden auch das »Bunte Meißen« zählt. Ein Antrag, um weiterhin Begegnungs- und Beratungsstellen finanzieren zu können, wurde abgelehnt. Im Oktober wurde der Verein im Stadtrat schließlich auch auf der Prioritätenliste für ein EU-Förderprogramm zur sozialen Stadtentwicklung auf einen aussichtslosen Platz zurückgesetzt. Der entsprechende Antrag kam von der AfD. »Es macht eben einen Unterschied, wie stark die Rechten im Rat vertreten sind«, sagt Hellmann. Unterm Strich erhalte man nun lediglich noch eine bescheidene Vereinsförderung von der Stadt und einige Projektmittel: »Aber eine kontinuierliche Förderung gibt es für uns erst einmal nicht mehr.«

Die weggebrochene Finanzierung ist freilich nur eines der Probleme, mit denen der ehrenamtliche Vorstand derzeit zu kämpfen hat. Daneben gibt es zunehmende Attacken von Rechtsextremen. Zunächst erhielt man ab September »bedrohliche und hasserfüllte Briefe«, wie der Verein in einer Stellungnahme formuliert. Darin gefunden hätten sich »beleidigende Aussagen gegen Muslime und Ukrainer, schändliche Andeutungen von Hakenkreuzen sowie Symbole, die auf perfide Weise missbraucht werden, wie die Israelflagge«. Im Oktober dann wurde das Vereinsschild angezündet und Hundekot an ein Schloss geschmiert. Zuletzt wurde vor dem Domizil des Vereins sogar die Attrappe einer Granate abgelegt.

Tilo Hellmann sieht in derlei Aktionen den Beleg, dass die extreme Rechte im Land »Oberwasser« bekommen habe. Nach den Jahren um 2015/16 mit ihrer extrem aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung habe der Verein weitgehend ungestört und erfolgreich arbeiten können. Nicht zuletzt dadurch habe das Zusammenleben von Einheimischen und Zugezogenen in Meißen gut funktioniert; »wir haben unseren Auftrag erfüllt«, sagt Hellmann. Er fügt aber an: »Die Zeit der Ruhe ist vorbei.« Im Landtag drängte die AfD angesichts der schwierigen Haushaltslage dieser Tage darauf, den »Rotstift bei linken Vereinen« anzusetzen. Im Stadtrat folgt die AfD bereits dieser Devise. Ihr Fraktionschef ist der Ex-NPD-Funktionär René Jurisch, der als Bauunternehmer auch in der Stadtgesellschaft gut vernetzt ist. Mit ihm gab es eine Kontroverse um das angemessene Vorgehen in einem sozialen Problemviertel und die Rolle des »Bunten Meißen« dabei. Der Verein spricht von »aggressiver Stimmungsmache« und erklärt in Anspielung auf die Drohattacken: »Das Gift der Verleumdung und Diffamierung wirkt.«

Der Verein Buntes Meißen ist zunehmend Ziel von Angriffen
Der Verein Buntes Meißen ist zunehmend Ziel von Angriffen

Um es zu neutralisieren, braucht es eine rege Zivilgesellschaft und Initiativen wie »Resonanzraum Erzgebirge« oder »Buntes Meißen«, die freilich dazu finanziell auch in die Lage versetzt werden müssen. Derzeit ist das Gegenteil der Fall. Den Vereinen wird die Basis entzogen; sie stellen, wie in Thalheim, die Arbeit ein oder sind auf Spenden angewiesen und »hangeln sich von Monat zu Monat«, sagt Hellmann. Er appelliert an die Politik in Bund und Land, ihre Förderpraxis zu überdenken: »Wir sind ja nicht nur die Kirsche auf der Torte der Demokratie, sondern bereiten den Boden dafür, dass die Gesellschaft funktioniert.«

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