Der Planet in unserer Hand

Christian Grataloup legt mit seiner Geschichte der Erde eine Anklageschrift vor

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Mond bremst die Drehung der Erde, die Sonne beschleunigt sie. Und der Mensch vermag den blauen Planeten zerstören.
Der Mond bremst die Drehung der Erde, die Sonne beschleunigt sie. Und der Mensch vermag den blauen Planeten zerstören.

Graphic Novels können fiktionale, manchmal auch wirkliche Geschichten sinnfällig umsetzen. Eine ähnliche Funktion können Atlanten für Sachbuchthemen übernehmen. Das hybride Format Karte, Grafik und Textlegende vereint viele Vorteile, ist für die Darstellung komplexer Vorgänge besonders geeignet und kann – gut gemacht – ein hervorragendes didaktisches Mittel sein. Christian Grataloup, als Spezialist für Erdgeschichte Professor an der Universität Paris-Cité, bietet ein solches an.

Die Agentur Légendes Cartographiques, die regelmäßig auch die Zeitschrift »L’Histoire« beliefert, hat das beeindruckende Kartenmaterial dazu entwickelt. In neun chronologischen Kapiteln wird von Wissenschaftlern verschiedener Fachgebiete ein facettenreiches Bild vom Urknall bis zu unserer alarmierenden Gegenwart vermittelt, die unseren Planeten belastet und überlastet.

Es liegt in unserer Hand, ob dieser wunderbare blaue Planet auch für bewohnbar ist.

Eingeflossen sind hier Erkenntnisse der Astro- und Geophysik, Paläontologie, Biologie, Geografie und Topografie. Vorgestellt wird die Entwicklung der Arten in der Pflanzen- und Tierwelt, aufgezeigt werden die Einflüsse der Menschen auf ihre Umwelt. Der Gefahr einer überbordenden, nicht zu erfassenden Informationsfülle, Überfrachtung mit Fakten, entgeht dieser Atlas durch eine geradezu geniale Beschränkung auf Exemplarisches und Wesentliches, das dem jeweiligen Stand der Forschung entspricht. In der frühen DDR gab es das – gern zur Jugendweihe verschenkte – Buch »Weltall, Erde, Mensch«, das sich etwa vier Millionen Mal verkaufte; es war quasi das »sozialistische Pendant« zu diesem Atlas.

Jeder hat schon mal von dem wetterbestimmenden El Niño gehört. Hier erfahren die Leser, wie der Ozean und die Atmosphäre im Bereich des tropischen Pazifik zusammenspielen und welche Wirkungen die Südoszillation auslöst. Eine Doppelseite beschäftigt sich mit der »Sintflut« in der Bibel und im Koran, wobei die Spekulation über eine Transgression, ein Überschwappen des Mittelmeers ins Schwarze Meer als Ausgangspunkt für diese Geschichten in den heiligen Büchern erörtert wird. Es folgt das Eingeständnis: »Wir wissen es nicht.«

Des Weiteren erfahren wir, wie sich die Menschen in Rom vor 2000 Jahren ernährten. Und dass in deutschen Wäldern sage und schreibe 260 076 Bäume pro Quadratkilometer stehen und dass es in Kanada über 318 Milliarden Bäume gibt. Erschreckend zu sehen, wie in Vietnam während des Krieges in den 60er Jahre riesige, einst pflanzenreiche, fruchtbare Gebiete durch die vom US-Militär versprühten fast 75 Millionen Liter des Unkrautbekämpfungsmittels Agent Orange entlaubt wurden. Eine Karte offenbart die enorme Dichte nuklearer Reaktoren in den USA, in China und Frankreich. Eine andere informiert darüber, dass die geschaffene Produktionskapazität für erneuerbare Energien in China etwa siebenmal so hoch ist wie in Deutschland.

»Die miteinander verflochtenen Geschichten von der Erde in diesem Atlas zeigen uns verschiedene Horizonte und erinnern uns an die Verantwortung als Menschen auf diesem Planeten«, schreibt Christian Grataloup am Ende dieses anspruchsvollen und erkenntnisbringenden Bandes, der nicht nur als informative Geschichte der Erde zu lesen ist, sondern zugleich als eine Ermahnung an die Menschheit, zur Vernunft zu kommen, umzudenken und sich umzuorientieren. Es liegt in unserer Hand, ob dieser wunderbare blaue Planet auch für künftige Generationen bewohnbar sein wird.

Christian Grataloup: Die Geschichte der Erde. Ein Atlas. Unter Mitarb. v. Charlotte Becquart-Rousset, Léna Hespel u. Héloise Kolebka. A. d. Franz. v. Frank Sievers, Martin Bayer, Nele Boysen u. Jens Hagestedt. C. H. Beck, 320 S., geb., 300 Karten u. Grafiken, 38 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.