»Klaasohm« künftig ganz ohne Schläge?

Nikolausbrauch auf Borkum steht nach einem Medienbericht in der Kritik

  • Mirjam Uhrich, Christina Sticht und Lennart Stock
  • Lesedauer: 5 Min.
»Klaasohm«-Ritual: Mit Masken verkleidete Männer des Vereins Borkumer Jungens stürzen sich in der Innenstadt der Nordseeinsel von einer Litfaßsäule in die Arme der Schaulustigen.
»Klaasohm«-Ritual: Mit Masken verkleidete Männer des Vereins Borkumer Jungens stürzen sich in der Innenstadt der Nordseeinsel von einer Litfaßsäule in die Arme der Schaulustigen.

Seit Generationen feiert die Nordseeinsel Borkum den Nikolausbrauch »Klaasohm«, nach heftiger Kritik soll dieses Jahr alles anders werden: Die Veranstalter kündigten an, den »Brauch des Schlagens« vollständig abzuschaffen. »Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen und den Fokus weiter auf das zu legen, was das Fest wirklich ausmacht: den Zusammenhalt der Insulanerinnen und Insulaner«, teilte der Verein Borkumer Jungens mit. 

Auch die Polizei bereitet sich auf den Einsatz in der Nacht zum 6. Dezember vor. »Wir fahren eine Null-Toleranz-Linie«, betonte ein Sprecher der Polizei. »Gewalt wird nicht akzeptiert.« Die Beamten kündigten an, das Gespräch mit den Veranstaltern und dem Ministerium zu suchen. Dabei soll es auch um das bisherige Verhalten der Einsatzkräfte im Zusammenhang mit dem Brauch gehen. »Wir werden das intern aufarbeiten.«

Frauen berichten von Schlägen

Ein Bericht des ARD-Magazins »Panorama« über die Tradition hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. In dem Beitrag berichten Borkumerinnen und Borkumer anonym von aggressiven Übergriffen. Ein Team filmte im vergangenen Jahr, wie Frauen bei dem Fest auf der Straße von »Fängern« festgehalten werden und ihnen die sogenannten Klaasohms mit einem Kuhhorn auf den Hintern schlugen.

»Was für eine schreckliche Tradition. Wie tief die Unterdrückung von Frauen noch verankert ist«, kommentierte eine Nutzerin den Beitrag des NDR-Reportageformat »STRG_F«, der auf Youtube veröffentlicht wurde. Das Video erreichte auf dem Portal binnen zwei Tagen knapp 700 000 Aufrufe und erzielte hohe Reichweiten in den sozialen Netzwerken.

Die Veranstalter des Fests auf der rund 5000 Einwohner zählenden Insel sprechen von einem »Shitstorm«. Der Verein Borkumer Jungens, die Stadt und das Nordseeheilbad würden seit Veröffentlichung des Beitrags mit Nachrichten und E-Mails überhäuft. In einigen Kommentaren online wird der Rücktritt des parteilosen Bürgermeisters Jürgen Akkermann gefordert, der das Statement des Vereins unterstützt. Laut Veranstalter sagen inzwischen auch Touristen ihren Urlaub auf der ostfriesischen Insel ab. 

»Wir stellen uns auf der Insel weiter der Kritik, aber Aufrufe zur Gegengewalt von autonomen Gruppen, Inselsturm usw. haben ein Ausmaß angenommen, der ebenfalls nicht tolerierbar ist«, schreibt ein Mann in einer öffentlichen Facebook-Gruppe rund um Borkum. »Die Insel ist seit Jahren im Wandel und auch Klaasohm!«

Veranstalter distanzieren sich

Der Verein räumte ein, die Tradition könne im heutigen Zeitgeist und aus Sicht Außenstehender kontrovers wirken. Künftig sollen das Fest transparenter gestaltet und Missverständnisse aufgeklärt werden. »Wir verstehen die Kritik an den in der Reportage gezeigten Szenen und fühlen uns verpflichtet, weitere Veränderungen herbeizuführen.«

Das Schlagen mit Kuhhörnern sei in der Vergangenheit »und in Einzelfällen auch in den letzten Jahren« Teil des Brauches gewesen, heißt es in der Stellungnahme. »Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen und entschuldigen uns für die historisch gewachsenen Handlungen vergangener Jahre.« Dieser Teil habe jedoch nie den Kern des Fests ausgemacht. In den vergangenen Jahren sei es »fast gar nicht mehr« erfolgt.

Der Bürgermeister stärkt den Veranstaltern den Rücken. Die Videosequenz zeige ein Fehlverhalten einzelner Menschen und könne »keinesfalls als Beleg dafür herhalten, dass die Insel Gewalt toleriert, wie es der Bericht suggeriert«, teilte Jürgen Akkermann mit. »Heutzutage feiern Frauen, Männer und Kinder auf den Straßen, in den Lokalen und in den Häusern gemeinsam. Leider kommen aber positive Stimmen im Bericht nicht zu Wort.«

»Eine Debatte darüber, ob »Klaasohm« in dieser Form noch zeitgemäß ist, wäre dringend notwendig.«

Christine Arbogast Staatssekretärin im niedersächsischen Sozialministerium

Die Recherche stelle ein verzerrtes Bild des Brauches dar. »Die Berichterstattung ist aus meiner Sicht tendenziös und unseriös. Diese Bewertung wird von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der Insel geteilt«, sagte Akkermann. 

NDR-Reporter berichten hingegen, dass von offizieller Stelle alle Interviewanfragen abgesagt worden seinen. Mehrere Fürsprecher aus der Borkumer Bevölkerung hätten ihre Interviews vor der Veröffentlichung des Beitrags zurückgezogen.

Debatte über Brauch

Die Staatssekretärin im Sozialministerium, Christine Arbogast, kritisiert, dass über den Brauch nicht offen gesprochen wird. »Dabei wäre eine Debatte darüber, ob »Klaasohm« in dieser Form noch zeitgemäß ist, dringend notwendig«, sagte sie. Bräuche und Traditionen überdauerten die Zeiten am besten, wenn sie mit der Zeit gingen. »Die notwendigen Anstöße und Impulse müssen dabei in erster Linie von den Borkumerinnen und Borkumern selbst ausgehen.«

Die Polizei ermutigt indes Frauen, denen bei dem Brauch Gewalt widerfahren ist, Strafanzeige zu stellen. »Wer Opfer geworden ist, sollte keine Angst haben«, betonte der Sprecher der Polizei. »Wir nehmen das sehr ernst.« Delikte wie Körperverletzung oder gefährliche Körperverletzung verjähren demnach erst nach 20 bis 30 Jahren.

Die Tradition gibt es seit Generationen jedes Jahr am Abend vor dem 6. Dezember. Nach Angaben des Regionalverbandes Ostfriesische Landschaft verkleiden sich dabei junge, unverheiratete Männer mit Masken, Schafsfellen und Vogelfedern als sogenannte Klaasohms. Der Ausdruck »Klaas« geht demnach auf das niederländische Wort für Nikolaus zurück. Die Klaasohms begleiten dann einen als Frau verkleideten Mann, der sich als sogenannte Wievke mit Rock und Schürze wild gebärdet. Ausgestattet sind alle mit Kuhhörnern.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit kommt es dem Brauch zufolge zuerst in einer Halle zu einem rituellen Kampf, zu dem nur Männer zugelassen sind, die auf Borkum geboren wurden. Danach geht’s »unter Getöse von Haus zu Haus«, beschreibt der Regionalverband.

»Junge Frauen, die sich in dieser Nacht aus dem Haus wagen, werden gefangen und mit einem Kuhhorn verhauen. Die Kinder aber werden gut behandelt und bekommen Moppen, ein hartes Honigkuchengebäck, geschenkt«, heißt es weiter. Den Abschluss findet der Brauch demnach auf einem Platz. Höhepunkt sei ein Sprung der Klaasohms und der Wievke von einer meterhohen Säule in die Menschenmenge.

Auf Borkum wird sich erzählt, dass der Brauch auf die Zeit der Walfänger zurückgeht. Die Männer seien am Jahresende zurück auf die Insel gekommen, nachdem sie monatelang auf See waren, und hätten mit dem Brauch klargemacht, dass nun wieder sie – und nicht die Frauen – das Sagen hätten. dpa/nd

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