Südkorea: Putsch von oben

Inmitten der angespannten Lage auf Halbinsel verhängt Südkoreas Präsident zur Ausschaltung der Opposition das Kriegsrecht

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Parlament in Seoul wurde von Sicherheitskräften abgeriegelt.
Das Parlament in Seoul wurde von Sicherheitskräften abgeriegelt.

Am Dienstagabend blickte Yoon Suk-yeol mit noch ernsterer Miene als sonst in die Kamera. Die Opposition in seinem Land kooperiere mit dem Feind aus Nordkorea, sagte er. Und deshalb könne es mit dem politischen Alltagsgeschäft nicht so weitergehen wie bisher. So habe er jetzt einen Entschluss gefasst: »Das Kriegsrecht zielt darauf ab, pro-nordkoreanische Kräfte auszulöschen und die freiheitliche Verfassungsordnung zu schützen.«

In Südkorea, einer seit den späten 1980er Jahren demokratisch organisierten Gesellschaft, die zuvor Jahrzehnte der Militärdiktatur durchlebt hatte, gilt fortan also der Ausnahmezustand. Als die Erklärung des Präsidenten am späten Dienstagabend verkündet war, überschlugen sich im Land weitere Notizen. Yonhap, die führende Nachrichtenagentur Südkoreas, brachte beinahe im Sekundentakt Updates.

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Das Verteidigungsministerium habe ein Treffen angeordnet, auf dem Schlüsselfiguren diskutieren, wie fortan eine verstärkte Überwachung aussehe. Die Opposition, angeführt von der liberalen Demokratischen Partei, die zwischen 2017 und 2022 den Präsidenten gestellt hatte, kritisierte Yoons Schritt als verfassungswidrig. Wobei sie damit nicht allein dasteht. Auch Han Dong-hoon, Chef der konservativen People’s Power Party von Präsident Yoon, erklärte dessen Entschluss für »falsch« und wollte den Vorgang blockieren.

Die Sorge geht um im ostasiatischen Land, dass dies der Tag war, an dem die Demokratie wieder abgeschafft worden ist. Der Rechtspopulist Yoon, der im Frühjahr 2022 mit einem hauchdünnen Wahlsieg Präsident wurde, ist nicht erst seit Dienstag eine umstrittene Figur. In seinem Wahlkampf hatte Yoon, der zuvor Generalstaatsanwalt gewesen war, angekündigt, seinen damaligen Mitbewerber ums Präsidentenamt Lee Jae-myung strafverfolgen zu lassen. Das versuchte er dann auch.

Diese Ermittlungen seien »politisch motiviert, weil selektiv« gewesen, hatte Shim In-bo vom für seine unbequeme Berichterstattung bekannten Sender Newstapa dazu erklärt. Auch gegen kritische Medienhäuser geht Yoon mit einer Einschüchterungstaktik vor. Ihm nahestehende Personen hat Yoon dagegen vor Strafverfolgung geschützt, unter anderem seine Ehefrau, der unerlaubte Geschenkannahme vorgeworden worden ist. Im Land wird Yoon auch »Südkoreas Trump« genannt. Vor allem, weil er die Demokratie missachte.

Und damit, dass dieser Yoon Suk-yeol nun das Kriegsrecht ausgerufen hat, werden wesentliche Befugnisse auf die Streitkräfte übertragen: Dies betrifft die Gerichtsbarkeit, die Einschränkung von Grundrechten wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und einen ausgeweiteten Einsatz des Militärs. Am Dienstagabend ließ Yoon dann auch noch das Parlament abriegeln – offenbar, um Versuche der Legislative, gegen die Erklärung des Kriegsrechts zu wirken, zu unterbinden.

Auf der Koreanischen Halbinsel ist die Lange so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht. Formal im Kriegszustand befindet sich Südkorea bereits seit 1950, als der dreijährige Koreakrieg mit dem verfeindeten Einparteienstaat Nordkorea begann, der Millionen Menschenleben kostete. Dieser erste Stellvertreterkonflikt des Kalten Kriegs – an der Seite Südkoreas kämpften von den USA angeführte UN-Truppen, Nordkorea wurde von China und der Sowjetunion unterstützt – mündete nur in einen Waffenstillstand.

Seither hat es zwischen Nord- und Südkorea immer wieder Phasen der Annäherung gegeben, zuletzt um das Jahr 2018. Als dann der damalige US-Präsident Donald Trump in Verhandlungen mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un keine Ergebnisse erzielen konnte, was eine mögliche nukleare Abrüstung Nordkoreas anging, froren die Beziehungen wieder ein.

Und dann wurde der schwelende Konflikt durch den Angriff Russlands auf die Ukraine seit Februar 2022 angeheizt. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un nutzte die Gunst der Stunde, da nun Russland durch harte internationale Sanktionen getroffen war. So näherte er sich diplomatisch Russlands Präsident Wladimir Putin an. Seither haben die zwei Staaten einen Verteidigungspakt, Nordkorea unterstützt den Krieg in der Ukraine auf der Seite Russlands.

Südkorea wiederum unterstützt die Ukraine, bisher allerdings nur humanitär. Yoon hat zuletzt aber laut darüber nachgedacht, auch Waffen nach Kiew zu schicken, woraufhin Putin damit drohte, Nordkorea aufzurüsten. Zudem hat Nordkoreas Diktator Kim vor kurzem Nordkoreas Verfassung dahingehend ändern lassen, dass Südkorea darin als »feindseliger Staat« bezeichnet wird. Seinem Militär gegenüber hat Kim erklärt, man müsse sich auf einen Krieg vorbereiten.

In Südkorea wiederum macht die liberale Opposition auch die konfrontative Politik von Yoon Suk-yeol dafür verantwortlich, dass die Bedrohungslage ernster geworden ist. Denn auch Yoon hat dem Norden mit Krieg gedroht. Die Idee einer Unterstützung der Ukraine mit Waffen ist zudem unpopulär im Land. »Dies liegt einfach daran, dass man sich aus dem Konflikt heraushalten will«, sagt Moon Chung-in, Professor an der Yonsei Universität und ehemaliger Berater des liberalen Ex-Präsidenten Moon Jae-in.

»Dies hat nichts damit zu tun, dass irgendwer an der Seite Nordkoreas stehen würde.« Dies allerdings unterstellt Präsident Yoon Suk-yeol, wenn er betont, er müsse pro-nordkoreanische Kräfte »eliminieren«. Von vielen Beobachtern wird der Schritt vom Dienstag scharf kritisiert. Ein Journalist der linksliberalen Zeitung Hankyoreh kommentierte ihn mit »absolut wahnsinnig.«

Kristian Brakel, der in Seoul die Heinrich-Böll-Stiftung leitet, sagt: »Ich denke nicht, dass dieser Anschlag auf die demokratische Ordnung erfolgreich sein kann, da der Präsident sehr schwach ist. Selbst seine Partei stellt sich gegen ihn. Trotzdem ist die Lage unklar und niemand weiß, was noch passieren kann.« Tatsächlich fehlt dem unbeliebten Yoon seit den Wahlen im April eine Parlamentsmehrheit. Die braucht er erstmal aber auch nicht. Um Mitternacht forderte das Parlament in einer Abstimmung dann die Aufhebung des Kriegsrechts. Die beeindruckte Yoon zunächst aber nicht.

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