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Bomben in den Nachbargarten
Cyrus Salimi-Asl zu Israels Angriffen auf Syrien
Bomben und die Einnahme einer entmilitarisierten Zone auf den syrischen Golan-Höhen: Gutnachbarschaftliche Beziehungen sollte man anders beginnen, wenn man ein entspanntes Verhältnis sucht. Israels Regierung nutzt das Machtvakuum und den Umbruch in Syrien aus, um rechtswidrig fremdes Territorium anzugreifen und zu besetzen. Die Luftangriffe hätten Depots von Chemiewaffen und moderner Waffentechnik gegolten, angeblich weil diese eine Bedrohung für Israels Sicherheit darstellten. Sogar Marineschiffe seien angegriffen worden.
Es ist die übliche, schwache Erklärung für einen kriegerischen Akt. Von Syrien gingen in diesem Moment keine unmittelbaren Gefahren aus für Israels Sicherheit – das Mindeste, um solche Angriffe zu begründen; mehr als 100 Ziele innerhalb weniger als zwölf Stunden sollen es diesmal gewesen sein. Aber die israelische Armee ist es seit Jahren gewohnt, Bomben auf Syrien zu werfen: auf angeblich pro-iranische Stellungen, schiitische Milizen aus dem Irak oder die Hisbollah. Ein Grund findet sich immer.
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Destabilisierung Syriens durch Israel
Durch die Angriffe destabilisiert die israelische Regierung ein ohnehin instabiles Land, das sich gerade an einem Scheideweg befindet: zwischen einem pluralen politischen System, das allen Volksgruppen und Religionen Raum gibt, und einer von islamistischen Ideen durchzogenen Autokratie, die im schlimmsten Fall Verhältnisse wie unter dem Islamischen Staat (IS) reproduziert. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ist gut beraten, seine militärischen und politischen Entscheidungen besser abzuwägen, will er sich in der näheren Umgebung nicht noch mehr erbitterte Feinde schaffen. Unter den islamistischen Milizen sind auch Kämpfer, die am liebsten gleich nach Jerusalem weitermarschieren wollen.
Die Wahrheit ist: Israel wittert seine Chance, um die Schwäche seiner Nachbarländer für eigene strategische Ziele auszunutzen. »Der Staat Israel etabliert sich zu einem Machtzentrum in unserer Region, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall war«, sagte Netanjahu. »Wir wollen ein anderes Syrien«, das sowohl Israel als auch den Einwohnern Syriens zugutekomme, sagte er. Die Syrerinnen und Syrer werden sich beim israelischen Regierungschef für diese Aufgabe bedanken, dass sie nun nicht nur das eigene Land wieder aufbauen müssen, nein, Israels Glück soll ihnen am Herzen liegen. Eine arrogante Art, um zu sagen: Wir wollen mitreden, wer künftig in Damaskus das Sagen hat. Wer fordert, dass der direkte Nachbar Rücksicht nimmt auf die eigenen Interessen, wirft keine Bomben in dessen Garten und macht sich nicht auf seinem Grundstück breit.
Netanjahu sieht Israels Moment gekommen
Netanjahu sieht den Moment günstig, um den Iran empfindlich zu treffen und ein für alle Mal als Bedrohung auszuschalten, nachdem sein wichtigster und alleiniger staatlicher Verbündeter in der Region gefallen ist. Assads Syrien sei »das wichtigste Glied in Irans Achse des Bösen« gewesen. Iran war schon immer Netanjahus Fernziel, um den Nahen Osten neu zu ordnen, ganz im Sinne einer aggressiven Vorwärtsverteidigungsdoktrin und gemäß ähnlichen Plänen, wie sie seit Jahrzehnten in Schubläden amerikanischer Denkfabriken rumliegen. Der neue US-Präsident Donald Trump könnte bei der Umsetzung eines solchen Vorhabens die Hand reichen – könnte, denn noch ist unklar, was er selbst vorhat mit der Region.
Der Iran würde seinerseits reagieren müssen, da ihm Schutzschilde wie die Hisbollah, Hamas und nun auch Syrien aus den Händen geschlagen worden sind. Selbst Hinterbankparlamentarier fordern im Iran nun den Griff zur Atombombe. Erst am Montag hatten Deutschland, Großbritannien und Frankreich erklärt, sie seien »äußerst besorgt« über die Beschleunigung der iranischen Urananreicherung. Laut Rafael Grossi, Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), beschleunigt der Iran die Anreicherung von Uran auf einen Reinheitsgrad von bis zu 60 Prozent und nähert sich damit dem waffenfähigen Niveau von etwa 90 Prozent an. Wenn Israels Regierungschef weiter die Konfrontation sucht, wird die Region nicht zur Ruhe kommen.
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