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Berlin: Ein Streik für 60 Sekunden
Wir brauchen mehr als nur ein »Aber«: Warum ist der Protest gegen die Berliner Kulturkürzungen so mild?
Dass die schwarz-roten Kürzungspläne am 19. Dezember mit großer Sicherheit beschlossen werden, zeigt vor allem eins: Es ist höchste Zeit, Berlin von unten, solidarisch und effektiv zu organisieren, statt weiter auf eine Interessenvertretung durch Lobbyverbände, Expert*innengremien und mehr oder weniger gewählte Repräsentant*innen zu hoffen. Denn bisher ist es für die Berliner Regierung offenbar weit weniger kostspielig, die geplanten Kürzungen durchzusetzen, als sie zurückzunehmen. Dem Regierenden Bürgermeister Wegener, Finanzsenator Evers und Kultursenator Chialo ist es gelungen, sich über Wochen hinweg durch ostentative Inkompetenz und Intransparenz aus der Affäre zu ziehen.
Die Leaks der Kürzungslisten haben nicht dazu geführt, dass etwa die Stadt lahmgelegt, kostspielige Autobahnbauprojekte sabotiert oder Vollversammlungen der Kunstszene in besetzten Kulturinstitutionen einberufen wurden. Sondern dazu, dass öffentlich mit dem jeweiligen Führungspersonal gefachsimpelt wurde, wo welche Kürzung aufgrund besonderer Ausgangsbedingungen zurückgenommen, das heißt auf andere verlagert werden müsse. Hinter den Kulissen wurde offenbar in Expert*innengremien lobbyiert und taktiert, bis tatsächlich auf diejenigen Interessen eingegangen wurde, die sich am meisten Aufmerksamkeit verschaffen konnten – in einem Feuilleton, das gewohnheitsgemäß empörte Stimmen von »Rang und Namen« sammelte
An diesem Donnerstag soll im Abgeordnetenhaus der Nachtragshaushalt für das Land Berlin beschlossen werden. Dabei sollen die Ausgaben für die Kultur um 12 Prozent (130 Millionen Euro) gekürzt werden. Hier eine kleine Liste: Volksbühne (minus 2 Millionen Euro), Deutsches Theater (1,58 Millionen), Volksbühne (2 Millionen), Schaubühne (1 Million), Berliner Ensemble (1 Million), Zentral- und Landesbibliothek (1,6 Millionen), Konzerthaus am Gendarmenmarkt (1,4 Millionen), Friedrichstadtpalast (1,85 Millionen), Stiftung Preußischer Kulturbesitz (6 Millionen), Berlinale (1 Million), Musicboard (750 000), Literaturhäuser (450 000). Am meisten wird bei der Unterstützung für Arbeitsräume für Künstlerinnen und Künstler gespart (18,15 Millionen). Verschont werden die Rundfunkorchester und Chöre, das Grips-Theater und das Theater an der Parkaue. nd
So sicher wie das Amen in der Kirche war in nahezu jedem Interview mit »Vertreter*innen« der Kulturszene der Halbsatz »Wir wissen ja alle, dass gespart werden muss, aber …« bzw. »Wir sind ja bereit zu sparen, aber …« zu hören. Und statt eines Streiks organisierten die Vertreter*innen der Kulturszene, wie sollte es bei uns auf Selbstausbeutung trainierten Ich-AGs auch anders sein, eine zusätzliche Kulturveranstaltung im Haus der Berliner Festspiele, wo Künstler*innen als Zeichen der Solidarität unentgeltlich (jedenfalls nach Aussage eine*r dann doch nicht Beteiligten) Werbung für ihre weitere Verwendung machen konnten.
Lange vor der »#unkürzbar-Demo« am 15. Dezember, die dankenswerterweise von einem Bündnis aller kürzungsbetroffenen Bereiche organisiert wurde, hatte das Bündnis #BerlinistKultur am 13. November zu einer Demo am Brandenburger Tor aufgerufen, wo zur Verwunderung zahlreicher Teilnehmer*innen von vornherein nur mit ein paar Hundert Demonstrierenden gerechnet wurde, die dann vor allem den Solidaritätserklärungen der Prominenz lauschen konnten und aufgerufen wurden, bitte nicht die Straße zu betreten. Unerwähnt soll auch nicht bleiben, dass keiner der anderen kürzungsbetroffenen Bereiche etwa mit dem Slogan »Berlin ist Bildung«, »Berlin ist Klimaschutz«, »Berlin ist Mobilität«, ja nicht einmal mit »Berlin ist sozial« in den Protest eingestiegen ist.
Ganz zum Schweigen bringen ließ sich das Gespenst des Streiks allerdings nicht, wenngleich es analog zur Freien Kunst erheblich zusammengekürzt wurde: Alle Bühnenkünstler*innen sind unter »#Minutenstreik« aufgerufen, so sie denn die Ehre haben, auf einer der erlauchten Berliner Bühnen auftreten zu dürfen, dort eine Minute, ganze 60 Sekunden also, die Arbeit ruhen zu lassen.
Bei Außenstehenden musste der Protest aus der Kulturszene bisweilen Irritationen auslösen. Austeritätspolitik hält man allem Anschein nach in der Berliner Kunstwelt für alternativlos, wünscht sich aber, vor allem wenn es an die eigenen Töpfe geht, als Expert*innen und Teil der Elite mitzuentscheiden.
In Berlin lebende Kulturschaffende wollen die Stadt außerdem mit »#BerlinistKultur« wissen lassen, dass sie außerhalb ihrer künstlerischen Beschäftigung mit »gesellschaftlich relevanten Themen« nicht über den eigenen Tellerrand schauen wollen oder können. Sie zeigen Protest gerne auf den ihnen zugewiesenen Bühnen und Plätzen und vor symbolträchtiger Kulisse mit erlauchtem Personal und ein paar Nebendarsteller*innen, möchten aber keinesfalls den Verkehr behindern. Mitdemonstrant*innen sind erwünscht, soweit diese die veranschlagten Kapazitäten nicht überschreiten; und wenn Lars Eidinger den Hamlet monologisiert, bitte – pssst! – nicht dazwischenquatschen.
Mit drastischen Kürzungen konfrontiert, schieben sie als Zeichen des Protests gerne unentgeltlich Überstunden, um noch mal zu zeigen, dass Geld keine Rolle spielt. Und wenn alles nichts hilft, wird vielleicht sogar das Schwergewicht Streik ausgepackt, allerdings (Zwinkersmiley) nur for Show, nur symbolisch, weil man ja weder das Publikum noch die inszenierenden Künstler*innen-Genies noch die Politik vor den Kopf stoßen will. Wofür und wogegen genau da allerdings gestreikt wird, bleibt – denn sie »wissen ja alle, dass gespart werden muss« – ein Rätsel; womöglich beschränkt sich der Konsens auf das »Aber«.
Tatsächliche mussten außenstehende Zuschauer*innen dieses Lehrstücks den Eindruck gewinnen, dass die Berliner Kulturszene in den letzten Wochen vor allem ihre Höflichkeit, ihre Aufopferungs- und Leistungsbereitschaft, ihre Autoritätshörigkeit sowie Harm- und Zahnlosigkeit performen wollte. Die Kunst beschränkt sich bescheiden auf das Spiel mit den Zeichen und sieht von einer Störung der Sphäre des Politischen und der Wirtschaft ab. Autonomie der Kunst oder Kunstfreiheit bedeuten, so lässt sich das Spektakel interpretieren, vor allem die garantierte Freiheit der Kultur- und Finanzpolitik von Einmischung seitens der Kunst.
Damit dieser Rant nicht falsch verstanden wird: Das Bild, das er zeichnet und das die Berliner Kulturszene in den letzten Wochen vermittelt hat, repräsentiert eben mitnichten den Großteil der Berliner Kulturschaffenden. Es gab auf allen Demonstrationen und bei vielen weiteren Protestaktionen kämpferische Reden, scharfe Analysen, entschiedene Kritik an Austeritätspolitik und vor allem immer wieder auch zarte Versuche der wirklichen Organisierung von unten. Es gibt zum Beispiel den Meckerchor, das Bündnis »#unkuerzbar« und Künstler*innen, die (nicht nur symbolisch) besetzen und streiken wollen. Es gibt zahlreiche Künstler*innen, die sehr genau nachvollziehen können, warum alle geplanten Kürzungen in allen betroffenen Bereichen nicht allein für sie existenzgefährdend sind.
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Es bleibt zu hoffen, dass der Mangel an Organisierung uns allen jetzt so schmerzlich bewusst wird, dass wir Strukturen bilden, die den anstehenden Aufgaben entsprechen. Denn mit den Kürzungen im aktuellen Haushaltsplan ist es nicht getan – für 2026/27 hat die schwarz-rote Berliner Regierungskoalition weitere Kürzungen angekündigt, und auch in den anderen Bundesländern und auf Bundesebene stehen alle Signale auf Austerität und weitere Verschiebungen nach rechts.
Trotz aller Dringlichkeit und der immer akuten Bedrohungslage aber muss es um mehr gehen als das bloße Zeigen von Empörung und Protest, um mehr auch als die Verteidigung des Status quo. Statt die eigene Interessenvertretung Lobby- und Repräsentationsstrukturen anzuvertrauen, müssen wir anfangen, langfristig eine breite mitbestimmungsbasierte und transparente Organisierung von unten aufzubauen. Ziel muss dabei sein, wirklich kollektiv und solidarisch, also effektiv Druck auf die Politik auszuüben und damit nicht allein auf akute Kürzungen zu reagieren, sondern darüber hinaus eine egalitäre, emanzipatorische und existenzsichernde Finanzierung aller Kulturschaffenden zu erkämpfen.
Nicht allein in der Kulturszene brächte der Aufbau von Mitbestimmungs- und Selbstorganisierungsstrukturen noch ganz andere Fragen auf den Tisch, die von der akuten Bedrohung der Freien und Institutionen derzeit verdeckt werden: Warum werden die meisten Kulturinstitutionen immer noch wie Fürstentümer geführt, in denen weite Teile der Belegschaft und der Stadtgesellschaft von Mitbestimmung und Ressourcen ausgeschlossen werden? Oder anders gefragt: Wie sähe ein Berlin für alle, ein Berlin von unten wirklich aus, wenn wir uns erlaubten, für mehr als eine Rückkehr zum letzten oder gar vorletzten Haushaltsplan zu kämpfen?
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