Zeugnisse der Humanität

Museyroom (Teil 19): Das Museum des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch Schicksale von Kindern in Kriegen dokumentiert das IRK-Museum.
Auch Schicksale von Kindern in Kriegen dokumentiert das IRK-Museum.

Während der jüngsten Eskalation hat das Sanitätspersonal das umgesetzt, was es von den Fachleuten des IKRK gelernt hat; das hat viele Leben gerettet«, schrieb vor einiger Zeit Dr. Raafat Jaarour, der Leiter der Abteilung für Aus- und Weiterbildung in medizinischen Notfällen in Gaza. Das Kürzel IKRK steht für das 1863 gegründete Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Dieses hat seinen Sitz in Genf. Auslöser für die Entstehung der weltweiten humanitären Rotkreuz- und später auch der Rothalbmond-Bewegung war das 1862 veröffentlichte Werk »Un Souvenir de Solferino« des Schweizer Geschäftsmannes und Humanisten Henry Dunant, das in diesem Jahr in deutscher Neuauflage erschien: »Eine Erinnerung an Solferino«. Das IKRK ist eine unabhängige neutrale Organisation, die von bewaffneten Konflikten und anderer Gewalt betroffenen Menschen humanitären Schutz und humanitäre Hilfe bereitstellt. Dem Verwaltungsgebäude des IKRK ist ein eigenes Museum angeschlossen. Zu dessen Sammlung gehören 14 000 Plakate, 12 000 Fotografien und um die 1000 von Gefangenen oder Internierten hergestellte Objekte. Die Präsentation des Museums gliedert sich in zwei Sektionen: die permanente sowie eine temporäre Ausstellung.

Museyroom

Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Jeden Monat stellen wir eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«

Im Eingangsbereich steht ein besonderes Objekt: der originalgroße Bronzeabguss eines Kinderdreirads, das einst dem dreijährigen Shinichi Tetsutani gehörte. Der Junge war damit in Hiroshima unterwegs, als die US-Luftwaffe am 6. August 1945 eine Atombombe über der Stadt abwarf. Shinichis Familie hat das Dreirad 1985 dem Friedensgedächtnismuseum im Hiroshima übergeben. Die Bronzeskulptur, geschaffen von Akira Fujimoto und Cannon Hersey, ist ein Geschenk der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) an die Stadt Genf und das IKRK-Museum.

Die permanente Ausstellung »Das humanitäre Abenteuer« beginnt mit der Darstellung der Rotkreuz-Grundsätze: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität. Zentral ist der Raum, in denen die Arbeiten von Gefangenen ausgestellt sind. Er soll an die Gewalt erinnern, die in den letzten hundert Jahren ihre Spuren hinterlassen hat: in Korea, Vietnam, Algerien, Chile, Jugoslawien, Ruanda, Afghanistan, Myanmar, Israel usw. Die gegenständlichen Exponate wurden IKRK-Mitarbeitern übergeben, die Gefangene oder Internierte besucht haben. Die rechtliche Grundlage für solche Besuche bilden die Genfer Konvention von 1949 sowie die Zusatzprotokolle von 1977.

Die rote Kleidung eines nordkoreanischen Kriegsgefangenen verweist auf den von 1951 bis 1953 wütenden Krieg auf der fernöstlichen Halbinsel, eine aus Seife gefertigte Skulptur auf die Unterdrückung in Myanmar, eine in einem israelischen Gefängnis von libanesischen Insassen in handwerklich erstaunlicher Qualität gefertigte Moschee auf die Konflikte in Nahost und eine aus Milchpulverkartons hergestellte Gitarre auf Unabhängigkeitskriege und Dekolonisierung. In einem weiteren Raum sind an einer Wand Dutzende von 1994 entstandenen Fotos von ruandischen Kindern zu sehen, die während der Völkermordaktionen von ihren Eltern getrennt wurden. Dazu werden auf einer Tafel Informationen zum geschichtlichen Hintergrund des Geschehens in Ruanda gezeigt. Zu lesen sind Nachrichten von Gefangenen, die vom IKRK an deren Angehörige übermittelt wurden. Dazu mussten die IKRK-Boten früher oft lange Wege auf sich nehmen. Dunants Diagramme, entstanden zwischen 1877 und 1890, mittels derer er sein Verständnis von Humanität veranschaulichen wollte, werden ebenfalls präsentiert. Sie beinhalten eine Zeitleiste von der Arche Noah bis zu der vom Begründer der Hilfsorganisation dereinst befürchteten Apokalypse.

Hier und da sind Musikstücke von Playlists mit Titeln wie »Humanity«, »Care«, oder »Dignity« zu hören, so etwa »Running Like the Red Cross« von Diunna Greenleaf, »Different Trains« von Steve Reich (der damit auf den Transport von jüdischen Menschen in die KZ verweist), »Strange Fruit« von Billie Holiday oder »Mississippi Goddam« von Nina Simone.

Großen Raum in der permanenten Ausstellung des IKRK nimmt die Kartei des Archivs der Internationalen Zentralstelle für Kriegsgefangene (1914–1923) ein. Darin sind die Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs erfasst. Die Kartei umfasst sechs Millionen Karten, die das Schicksal von zwei Millionen Kriegsgefangenen und internierten Zivilpersonen dokumentiert. Sie ist nach Ländern aufgeteilt. Die Karten enthalten Informationen über den Zeitpunkt der Verhaftung, Haftort und gegebenenfalls das Sterbedatum. In Anerkennung der außergewöhnlichen Bedeutung dieses Archivs wurde es von der Unesco ins dokumentarische Welterbe »Gedächtnis der Menschheit« aufgenommen.

Geboten werden ebenso Informationen und Dokumente zur Arbeit des 1943 von den Alliierten ins Leben gerufenen Internationalen Suchdienstes, der sich seit 1946 in Bad Arolsen in Deutschland befindet. Von 1955 bis 2012 wurde er vom IKRK verwaltet. Der Internationale Suchdienst verfügt über Dossiers von mehr als 17 Millionen Menschen, darunter von den Nazis verfolgte Menschen, Juden und Jüdinnen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie KZ-Häftlinge, aber auch von während des Krieges von ihren Familien getrennten Kindern beziehungsweise nach der Befreiung vom Faschismus Vertriebenen. Dank dieses Suchdienstes, erfährt man hier, konnten 2,2 Millionen Menschen zwischen 1982 und 2007 ihre Angehörigen wiederfinden.

Die derzeitige, bis August kommenden Jahres zu sehende temporäre Ausstellung unterstreicht Emotionen akustisch. Die beeindruckende Installation meist rhythmischer Sounds wurde von Studierenden der l’Ecole de Design et Haute Ecole d’Art du Valais unter Verwendung von Tonbändern aus dem Soundarchiv des IKRK gestaltet. Hier werden erfreulicherweise Archivalien gewürdigt, die im Gegensatz zu schriftlichen oder fotografischen Hinterlassenschaften, leider viel zu wenig beachtet werden.

Museum des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Avenue de la Paix 17, 1202 Genf, Schweiz. www.redcrossmuseum.ch

Eherne Grundsätze des IRK sind Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Universalität.

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