Berliner Kurden: Zwischen Sorge und Repression

Kurdische Vereine in Berlin über die Folgen des Assad-Sturzes in Syrien

  • Laura Meng
  • Lesedauer: 5 Min.
Nach dem Assad-Sturz herrscht Unsicherheit bei Kurd*innen in Berlin.
Nach dem Assad-Sturz herrscht Unsicherheit bei Kurd*innen in Berlin.

Während in Berlin zahlreiche Syrer*innen den Sturz des Diktators Assad feiern, blicken andere nicht ohne Sorge auf die politischen Entwicklungen vor Ort. Welchen Kurs die islamistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) in Syrien einschlagen wird, ist noch unklar. Hinzu kommen Angriffe auf die Gebiete der Selbstverwaltung Rojava in Nord- und Ostsyrien seitens der Türkei und der von dieser unterstützten und finanzierten islamistischen Milizen der Syrischen Nationalen Armee (SNA). Der Regimewechsel in Syrien bedeutet für ethnische Minderheiten wie die Kurd*innen also nicht unbedingt eine Verbesserung.

Die autonome Region Kurdistan erstreckt sich über Gebiete Syriens, der Türkei, des Irak und Iran. Gerade in den türkischen Großstädten erfahren Kurd*innen große Repressionen, wie Enver Şen vom Kurdischen Zentrum in Berlin berichtet. So sei es ihnen in der Türkei nicht erlaubt, Kurdisch zu sprechen oder ihre Musik im öffentlichen Raum zu spielen. Auch in Berlin sei dieser »Straßendruck«, wie er es bezeichnet, zuweilen spürbar. »Wir haben ein paar Mal erlebt, dass wir aufgefordert wurden, Türkisch zu sprechen statt Kurdisch.« Solche Anfeindungen kämen meist aus der türkischen Community.

»Und deswegen ist hier unsere Erwartung von der deutschen Gesellschaft, dass wir wenigstens von ihr auch anerkannt werden als eigenständige Migrantengruppe, dass man sagt: Das sind die Leute aus Kurdistan und nicht aus dem Iran oder Irak, Syrien oder der Türkei«, so Şen. Er schildert, dass viele Probleme, die Kurd*innen in Deutschland erleben, schon damit beginnen, dass sie nach dem Eintrag in ihrem Pass und nicht nach ihrer kurdischen Zugehörigkeit kategorisiert werden.

Die Zahl der in Deutschland lebenden Kurd*innen schätzt die kurdische Gemeinde auf 1,5 Millionen. Ein großer Teil von ihnen lebt in Berlin. Gerade die kurdischen Gemeindezentren stellen wichtige Begegnungsorte für die Community dar, wie Welat vom kurdischen Verein NAV-Berlin »nd« sagt. »Die Gemeindezentren sind dahingehend einzigartig, weil sie nicht nur Raum für kulturellen Austausch und Vernetzung bieten, sondern auch politische Räume sind, in denen die Repression des Staates und die Kriminalisierung wenig bis kaum spürbar sind.« Jedoch seien einzelne dieser Räume immer wieder von Druck seitens der Polizei wie in Form von Razzien bedroht. Viele gingen nicht mehr mit ihren Kindern in diese Räume, weil sie nicht wollten, dass eine Waffe auf ihr Kind gerichtet wird, sagt Welat.

Für syrische Kurd*innen in Berlin komme nun die Angst vor einer Abschiebung in ein Land hinzu, in dem sie nicht sicher sind. »Die entstandene Diskussion in Deutschland, dass Syrien jetzt ein sicheres Herkunftsland werde, ist für betroffene Kurd*innen und andere Minderheiten hier eine unglaubliche Zumutung und zeugt für sie von westlicher Überheblichkeit«, so Welat.

Dilo vom Verein Cênî, dem kurdischen Frauenbüro für Frieden, erklärt, dass Räume wie die Gemeindezentren wichtig für Geflüchtete sind: »Solche Orte sind besonders wichtig, da sie erste Anlaufstellen nach Flucht, Gewalt und Verfolgung bieten. Hier finden Leute Verständnis, Hilfe und Kontakt zu Menschen gleicher Herkunft und Ideologie.«

Weiter ergänzt Dilo: »Auch öffentliche Orte wie Cafés oder Veranstaltungsräume sind essenziell. Kurd*innen erleben häufig Rassismus und staatliche Repressionen, weshalb sichere Räume wichtig sind, um ohne Angst politische und kulturelle Aktivitäten auszuüben oder auch für einen Tee oder ein Essen zusammenzukommen.«

Şen vom Kurdischen Zentrum berichtet außerdem von zielgerichteter Repression auf Demonstrationen. Insbesondere die Flaggen kurdischer Frauenvereine würden überprüft, ebenso die der kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ, die in Deutschland nicht verboten sind. Im Rahmen der Kontrollen werde immer wieder gefragt, wie die Beteiligten zur kurdischen Arbeiterpartei PKK stünden. »Das sind alles demokratische Vereine, die nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland gegründet sind. Natürlich ist uns die Frage unangenehm«, so Şen.

Kurd*innen erleben häufig Rassismus und staatliche Repressionen, weshalb sichere Räume in Berlin wichtig sind, um ohne Angst politische und kulturelle Aktivitäten auszuüben.

Dilo Cênî, das kurdische Frauenbüro für Frieden

Er kann sich nicht vorstellen, dass die jetzigen Machthaber in Syrien eine pluralistische, demokratische Gesellschaft einläuten. Immerhin sei die HTS eine Abspaltung des Islamischen Staates. »Dann erwarte ich auch, dass die AfD demokratisch wird«, scherzt er.

Das kurdische Zentrum nutzt seine Kräfte, um die Situation in Kurdistan von Berlin aus zu verbessern. »Wir haben eine Gruppe gegründet, die versucht, mit allen Parteien außer der AfD Gespräche zu führen«, erklärt Şen. Den Menschen in Kurdistan Hilfe anzubieten, sei dagegen viel schwerer. Die Menschen lebten dort in Angst. »Uns fällt es schwer, die Leute zu beruhigen, denn das wäre nicht ehrlich. Eigentlich müssten wir sagen: Ich verstehe dich.«

Mit Sorge blickt auch die Städtepartnerschaft zwischen dem Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und Dêrik in Nordostsyrien in die Zukunft. Sie unterstützt die Zivilgesellschaft mit Projekten wie einer mobilen Klinik, einem Spielplatz und einem solarbetriebenen Trinkwasserbrunnen. »Ein Angriff auf die symbolträchtige Stadt Kobane wird auch direkte Folgen auf unsere Partnerstadt Dêrik haben, deren zivile Infrastruktur selbst immer wieder von türkischen Drohnen angegriffen wird«, heißt es in einer Mitteilung.

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