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Vierschanzentournee: Großes Favoritenfeld verspricht Spannung

Bei der 73. Ausgabe des Skisprung-Grand-Slams machen sich vor allem Deutschland und Österreich Hoffnungen

  • Lars Becker, Oberstdorf
  • Lesedauer: 4 Min.
Bislang Überflieger der Saison: Pius Paschke scheint die Rolle des Mitfavoriten bei der Tournee etwas zu belasten.
Bislang Überflieger der Saison: Pius Paschke scheint die Rolle des Mitfavoriten bei der Tournee etwas zu belasten.

Pius Paschkes Mutter kann in ihrer Heimat Kiefersfelden kaum noch unerkannt die Straßenseite wechseln. Im örtlichen Gasthof »Bergwirt« wurde sogar ein Public Viewing für alle vier Springen der 73. Vierschanzentournee organisiert. Aber kann der 34 Jahre alte Mann, der im laufenden Winter fünf von zehn Weltcups gewinnen konnte, wirklich zum ersten deutschen Tournee-Gesamtsieg seit 23 Jahren fliegen?

Die Bürde des Mitfavoriten scheint Spätstarter Paschke vor dem Auftaktspringen an diesem Sonnabend in Oberstdorf durchaus etwas zu belasten: »Das ist eine neue Situation für mich. Mal schauen, wie mir das gelingt.« Die Tournee-Generalprobe kurz vor Weihnachten im schweizerischen Engelberg machte nicht besonders viel Hoffnung. Der Seriensieger vom Anfang der Saison stürzte auf die Plätze zehn und 18 ab. Zudem ist es kein gutes Omen, wenn man wie Pius Paschke als Skispringer mit dem Gelben Trikot des Weltcup-Führenden zum Skisprung-Grand-Slam anreist: Sechsmal war das bei einem Deutschen der Fall, nie konnte einer trotz Heimvorteil gewinnen.

Der letzte deutsche Tourneesieger Sven Hannawald bleibt trotzdem optimistisch: »Pius hat sich in Engelberg mit den Ergebnissen scheinbar rausgeschossen, aber es gibt eine Begründung dafür: Er war im Vorfeld dieses Weltcups auf einer extrem speziellen Schanze bei extrem schwierigen Wetterbedingungen gesundheitlich angeschlagen und hat mit Gewalt versucht, das wettzumachen.« Das werde er im »Gedankenkino von der Festplatte« löschen. Paschke selbst bezeichnet seinen Sprungstil als »Ritt auf der Rasierklinge« und will bei der Tournee wieder »zu meiner Idee des Skispringens« finden.

»Ich erwarte die vielleicht spannendste Tournee der Geschichte. Die Topspringer sind komplett nah beieinander. Ich glaube an einen Zweikampf zwischen Pius Paschke und Jan Hörl und generell an ein Duell zwischen Deutschland und Österreich«, sagt Sven Hannawald. Viel spricht dafür – schließlich dominieren unter den besten Neun im Gesamtweltcup drei Deutsche und vier Österreicher. Beim letzten Weltcup vor der Tournee hatten die Flieger aus dem Land des Erzrivalen mit einem Dreifachsieg allerdings klar die Nase vorn.

Daniel Tschofenig siegte in Engelberg vor Jan Hörl und Stefan Kraft – womit auch die drei Tournee-Mitfavoriten aus Österreich genannt sind. Für den 22-jährigen Tschofenig, der mit der kanadischen Skisprung-Weltmeisterin Alexandria Loutitt liiert ist, spricht die jugendliche Leichtigkeit, für den vier Jahre älteren Hörl die konstante Topform der letzten Wochen und seine außergewöhnlichen fliegerischen Fähigkeiten. Topfavorit für viele seiner Kollegen ist jedoch der routinierte Skiflug-Weltrekordler Stefan Kraft, der schon alle wichtigen Titel gewonnen hat. Auch bei der Vierschanzentournee stand der 31-Jährige schon ganz oben, als er Österreich vor zehn Jahren den letzten Gesamtsieg bescherte.

Ein Jahrzehnt Warten für Österreich, sogar 23 Jahre für Deutschland – das zeigt, welch immensen Druck die Flieger aus den beiden Ausrichterländern verspüren. Das öffnet auch bei dieser Tournee die Chance für Sportler aus anderen Ländern. Am häufigsten werden der Gesamtweltcup-Fünfte Gregor Deschwanden aus der Schweiz, der slowenische Team-Weltmeister Anze Lanisek und Olympiasieger Marius Lindvik aus Norwegen genannt, wobei vor allem die beiden Letzteren zuletzt eine stark ansteigende Form zeigten.

Und dann ist ja auch noch Ryoyu Kobayashi, mit den Triumphen 2019, 2022 und 2024 der größte Tournee-Spezialist der jüngeren Vergangenheit. Der Mann mit dem außergewöhnlich aggressiven Flugstil schaffte es in diesem Winter noch nie unter die Top 10, zeigte aber als Zwölfter von Engelberg aufsteigende Tendenz. »Kobayashi darf man nie abschreiben«, sagt auch Andreas Wellinger aus leidvoller Erfahrung. Er landete im vorigen Winter nach einem dramatischen Duell bei der Tournee auf Platz zwei hinter dem Japaner – der fünfte Silberplatz für einen deutschen Skispringer seit 2016. Neben dem Oberstdorfer Karl Geiger gilt Wellinger als große deutsche Hoffnung, falls Pius Paschke doch mit Nervenflattern zu kämpfen hat.

»Der Tourneesieg ist definitiv ein Kindheitstraum – aber von jedem von uns im deutschen Team. Und ich hoffe, dass er für einen am 6. Januar 2025 in Erfüllung geht«, blickt Wellinger auf Bischofshofen voraus. Er wurde bei der Generalprobe in der Schweiz 15. – genau wie Hannawald vor dem letzten deutschen Tournee-Gesamtsieg im Jahr 2002. »Jetzt ist Deutschland nach 23 Jahren wieder dran, da gibt es gar keine Diskussion. Das muss auch der da oben im Himmel endlich mal einsehen«, meint Tournee-Legende Hannawald: »Es muss einfach mal endlich einen deutschen Skispringer geben, der die nötige Lockerheit und Entspanntheit mitbringt und durchzieht.« Fragt sich nach vielen vergeblichen Versuchen nur, wer das sein könnte.

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