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Milliardengrab Flamanville

Erstmals seit 25 Jahren ging in Frankrech ein neues Kernkraftwerk ans Netz

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Blick auf das Atomkraftwerk in Flamanville
Blick auf das Atomkraftwerk in Flamanville

Der französische Energiekonzern EDF hat in Flamanville (Normandie) vor wenigen Tagen einen neuen Druckwasserreaktor in Betrieb genommen. Das Kernkraftwerk speist im Testbetrieb zunächst den Strom ein, der mit einem Viertel seiner Kapazität produziert wird. Das soll bis zum Sommer nächsten Jahres stufenweise bis zur vollen Leistung gesteigert werden. Fla 3, so der

offizielle Name, ist das erste AKW, das in Frankreich seit einem Vierteljahrhundert in Betrieb genommen wurde, auch das leistungsstärkste, hat aber auch alle Rekorde hinsichtlich Bauzeit und Kosten geschlagen.

»Ich will, dass künftig kein einziger Kernreaktor stillgelegt wird, der noch Strom produzieren könnte.«

Emmanuel Macron Präsident Frankreichs

Als das Projekt 2006 offiziell vorgestellt wurde, ging man von Baukosten von 3,3 Milliarden Euro aus, die Inbetriebnahme war auf Mitte 2012 terminiert. In Wirklichkeit hat der Bau viermal so lange gedauert, und nach Angaben von EDF werden sich die Kosten auf 13,2 Milliarden Euro summieren, während der staatliche Rechnungshof bei einer kritischen Gegenrechnung sogar auf 19,1 Milliarden Euro kommt.

Die Gewerkschaften bei EDF und auch die Experten bei der Behörde für Reaktorsicherheit sind überzeugt, dass diese Überschreitungen von Anfang an absehbar waren, weil die offiziellen Zahlen irreales Wunschdenken darstellten. Um das Jahr 2000 lag die Bauzeit für einen Kernreaktor weltweit im Schnitt bei 121 Monaten, also weit über den von EDF angegebenen 54 Monaten.

Dass es so weit kam, lag auch an einem innerfranzösischen Wettbewerb zwischen dem teilstaatlichen Energieversorger EDF, der auch Kernreaktoren entwirft und baut, sowie dem staatseigenen Unternehmen Areva, das vor allem weltweit Uran beschaffen soll, aber ebenfalls Atommeiler entwirft und baut. Da Areva in Frankreich leer ausging, wandte man sich an Interessenten im Ausland. So wurde, zeitgleich zum EDF-Reaktor in Flamanville, auch einer von Areva in Finnland gebaut. Die Zusage, dass der Reaktor nur drei Milliarden Euro kosten solle und schlüsselfertig in 48 Monaten gebaut würde, war ebenfalls völlig unrealistisch. Auch hier explodierten Bauzeit und Kosten.

Beide Projekte gehören zur neuen Generation des europäischen Druckwasserreaktors und sollten als Pilotprojekte für künftige Aufträge im Ausland dienen. In Wirklichkeit mussten sowohl EDF in Flamanville als auch Areva in Finnland ihre Zahlen ständig korrigieren. So wurde die Bauzeit an beiden Standorten letztlich um zwölf Jahre überzogen. In derselben Zeit hat China, von dem man sowohl bei EDF als auch bei Areva als Wunschmarkt geträumt hatte, aus eigener Kraft Druckwasserreaktoren entwickelt, in Serie gebaut und in Betrieb genommen.

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Emmanuel Macron hatte im Präsidentschaftswahlkampf 2022 angekündigt, für einen neuen Aufschwung für die Kernkraft in Frankreich sorgen zu wollen. Demnach sollen weitere sechs Reaktoren bis 2035 gebaut werden, aber weniger kostenintensiv und zeitsparender in Serie. Acht weitere sollen zwischen 2035 und 2050 entstehen. Parallel dazu sollen 14 alte Kernkraftwerke stillgelegt werden, darunter die zwei Reaktoren im elsässischen Fessenheim. Macron stellt dies auch wegen der Probleme in Flamanville infrage. »Ich will, dass künftig kein einziger Kernreaktor stillgelegt wird, der noch Strom produzieren könnte«, erklärte der Präsident.

Allerdings gibt es durch den Klimawandel zunehmend Schwierigkeiten mit der Kernkraft. In den Sommermonaten fehlte es zuletzt immer wieder an Kühlwasser. Auch deshalb sollen viele Offshore-Windenergieparks gebaut und die Fläche der Sonnenenergiekollektoren soll verzehnfacht werden, sodass laut Planung Frankreich 2050 über einen Energiemix von 50 Prozent Kernenergie und 50 Prozent erneuerbare Energien verfügen wird.

Umweltverbände kritisieren die zu starke Abhängigkeit von der Atomkraft und zu geringe Unterstützung des Ausbaus der Erneuerbaren: Die Zahlen, die im Zusammenhang mit dem ehrgeizigen Programm vorgelegt wurden, »dürften genauso fern der Realitäten liegen wie die seinerzeit für Flamanville angekündigten«, meint der Ingenieur Yves Marignac, Sprecher der Umweltorganisation Négawatt.

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