Polen: Mit Sicherheit mehr Rüstung

Polen übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft im dritten Jahr des Ukraine-Kriegs

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 5 Min.
Gemeinsam für mehr Aufrüstung: Der polnische Premierminister Donald Tusk im Gespräch mit der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen bei einem Treffen am EU-Hauptsitz in Brüssel am 19. Dezember 2024.
Gemeinsam für mehr Aufrüstung: Der polnische Premierminister Donald Tusk im Gespräch mit der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen bei einem Treffen am EU-Hauptsitz in Brüssel am 19. Dezember 2024.

Es ist ein eingespieltes Ritual in Brüssel: Alle sechs Monate wechselt der Vorsitz im Ministerrat der Europäischen Union, in dem Vertreter der 27 Regierungen gemeinsame Vorhaben beschließen, koordinieren und manchmal auch blockieren.

Im jetzt zu Ende gehenden Halbjahr hatte Ungarn unter seinem notorischen Premier Viktor Orbán den Vorsitz inne. Der Putin- und Trump-Fan hatte große Pläne und stellte die Ratspräsidentschaft unter das etwas größenwahnsinnige Motto: »Make Europe Great Again« (Macht Europa wieder großartig). Denn auch das gehört zum Ritual – jede Ratspräsidentschaft stellt ihre Amtszeit unter ein Motto. Orbán konnte trotz seiner großspurigen Ankündigungen relativ wenig Schaden anrichten, da das Timing dafür denkbar schlecht war: Als er im Juli die Präsidentschaft antrat, war das EU-Parlament gerade neu gewählt worden und musste sich erst sortieren. Auch die EU-Kommission war auf Führungsebene gelähmt, weil auch sie sich nach der Wahl neu aufstellen musste.

Nun folgt zum 1. Januar Polen und könnte in den kommenden sechs Monaten ein paar Pflöcke einschlagen. Warschau hat für seine Präsidentschaft den Claim »Security, Europe« (Sicherheit, Europa) gewählt. Polens Ministerpräsident Donald Tusk von der liberal-konservativen Bürgerplattform erklärte Anfang Dezember bei einem Treffen mit führenden EU-Vertretern, warum man die Sicherheit in den Mittelpunkt stellen werde. Die habe schließlich viele Dimensionen, so Tusk. Insgesamt sieben davon habe Polen im Blick: Verteidigung bzw. Rüstung, Schutz von Menschen und Grenzen, Abwehr von ausländischer Beeinflussung und Desinformation, Schutz der Freiheit der Wirtschaft, Energiewende, wettbewerbs- und widerstandsfähige Landwirtschaft sowie Sicherheit im Gesundheitssektor.

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Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit

Tatsächlich geht es den Polen aber vor allem um militärische Sicherheit und die weitere Unterstützung der Ukraine. Polen ist Nato-Musterschüler und steckt in diesem Jahr 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in das Militär, wie Tusk vor Kurzem bestätigte. Das offiziell nie beschlossene Ziel der Nato-Mitglieder liegt bei zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Deutschland erfüllt dieses Ziel knapp, aber auch nur, weil die Wirtschaftsleistung stagniert, während die Verteidigungsausgaben steigen.

Der östliche Nachbar hingegen will 2025 noch eine Schippe drauflegen und den Verteidigungsetat auf 4,7 Prozent hochschrauben. Schon jetzt ist Polen europäischer Aufrüstungs-Champion. Niemand gibt anteilig mehr fürs Militär aus als Warschau.

Tusk oberstes Ziel ist nun, die europäische Aufrüstung besser zu koordinieren und voranzutreiben. »Wir brauchen konzertierte und ehrgeizige Maßnahmen zur europäischen Verteidigung, die die Bemühungen der Nato ergänzen«, heißt es im Präsidentschafts-Programm der Polen. Sprich: Eigene Strukturen schaffen parallel zu denen der Nato. Um das zu erreichen, will Polen eine »tiefgreifende Debatte über die Finanzierung der Verteidigung in der EU« vorantreiben.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Warschau damit erfolgreich sein kann. Es ist bereits die zweite polnische Ratspräsidentschaft, die Donald Tusk als Ministerpräsident begleitet. Der studierte Historiker war 2011 schon einmal im Amt, als Polen letztmalig den Vorsitz innehatte. Zudem war Tusk von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates, als solcher leitete er dessen Sitzungen. Vereinfacht gesagt: Er organisierte die EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Tusk weiß also, wie Brüssel funktioniert und das macht ihn so gefährlich für alle, die eine weitere Hochrüstung der EU für den falschen Weg halten.

EU-Kommission will aufrüsten

Bei der EU-Kommission rennt Tusk mit seinen Plänen auch noch offene Türen ein. Der neue EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius fordert deutlich höhere Investitionen in die Sicherheit Europas. Die Kommission sieht in den nächsten zehn Jahren einen zusätzlichen Rüstungsbedarf von mehr als 500 Milliarden Euro. Kubilius möchte diese auch über neue Gemeinschaftsschulden finanzieren. Der Litauer erarbeitet derzeit ein Strategiepapier zu den Themen Sicherheit und Verteidigung – zusammen mit der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, die ebenfalls eine harte Linie gegenüber Moskau vertritt. Es soll in den nächsten Wochen veröffentlicht werden.

Die EU-Kommission hat derzeit quasi freie Bahn, auch weil der deutsch-französische Motor, der die EU sonst antreibt oder wahlweise ausbremst, derzeit im Leerlauf steckt. Die beiden wichtigsten EU-Staaten stehen ohne eine durchsetzungsfähige Regierung da. Das Interregnum in Paris und Berlin könnte noch Monate andauern. Das ist Polens Chance. Warschau arbeitet ohnehin seit vielen Jahren an Formaten jenseits der Achse Paris–Berlin und legt großen Wert auf gute Beziehungen zu den USA. Im Präsidentschafts-Programm heißt es so auch: »Die Stärkung der Zusammenarbeit der EU mit den Vereinigten Staaten wird von großer Bedeutung sein.« Die national-konservative Vorgängerregierung in Warschau pflegte gute Beziehungen zum Team von US-Präsident Donald Trump während dessen erster Amtszeit. Doch die PiS-Partei ist nun in der Opposition und Trump hat – neben Viktor Orbán – mit der rechten italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einen neuen Liebling in der EU. Insofern bleibt abzuwarten, wie eng das polnisch-amerikanische Verhältnis diesmal sein wird.

Auch die Višegrad-Gruppe, die Polen zusammen mit Tschechien, der Slowakei und Ungarn bildete, ist längst kein Binnenbündnis innerhalb der EU mehr. Die osteuropäischen Regierungen stellten sich oft gegen Brüssel, vor allem in Migrationsfragen. Doch Russlands Überfall auf die Ukraine hat die Gruppe gespalten, weil Ungarn und die Slowakei trotz des Krieges gute Kontakte zu Moskau pflegen. Nun orientiert sich Warschau Richtung Nord-Osten und bemüht sich um die Gunst der skandinavisch-baltischen Staatengruppe NB8 (Nordic-Baltic Eight). Im November reiste Tusk nach Schweden und wurde dort von der Presse als »wichtiger Player in der Sicherheitspolitik« begrüßt. Tatsächlich eint die NB8-Gruppe, der auch die Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen angehören, die Angst vor Russland und der gemeinsame Wille, die Ukraine weiter zu unterstützen.

Polen ist mittlerweile ein echter militärischer Machtfaktor. In den vergangenen Jahren hat sich die Anzahl der Soldaten um fast drei Viertel erhöht – auf jetzt rund 170 000. Mittelfristig sollen es mal 300 000 werden, wie die »Tagesschau« meldete. Zum Vergleich: Die Bundeswehr zählte Ende Oktober 2024 rund 171 000 Berufs- und Zeitsoldaten. Im Windschatten des Ukraine-Krieges hat die polnische Armee ein gigantisches Modernisierungsprogramm gestartet. Alte sowjetische Kampfflugzeuge und Panzer hat man an die Ukraine abgegeben und sich das von der EU bezahlen lassen. Nun kauft man groß ein: südkoreanische Panzer, US-amerikanische F-35-Flugzeuge und viel Neues aus eigener Produktion. Mit Polen ist zu rechnen – ganz sicher.

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