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- Silvestermüll
Leidenschaftliche Stadtreinigung
Bereits um zwei Uhr nachts beginnt die BSR an ausgewählten Punkten der Hauptstadt, den Silvestermüll einzusammeln
Silvester, wenige Minuten vor Mitternacht, hüpft Shirin David mit Tänzerinnen über die Bühne am Brandenburger Tor und singt ihr Lied »Bauch, Beine, Po«. Schließlich kommen die ZDF-Fernsehmoderatoren Andrea Kiewel und Johannes B. Kerner ins Bild und zählen zumindest gefühlt einen Tick zu spät die Sekunden herunter, bis das neue Jahr beginnt. Rund um die Partymeile in der Berliner Innenstadt geht das Feuerwerk los.
Noch bis es am Neujahrstag hell wird, steigen Raketen in die Luft. Doch bereits um zwei Uhr früh beginnt die Berliner Stadtreinigung (BSR), an ausgewählten Punkten wie Kurfürstendamm, Schönhauser Allee und Hermannplatz mit den Aufräumarbeiten. Mit der Partymeile selbst hat die BSR nichts zu tun. Das ist Aufgabe der Veranstalter. Doch unmittelbar drumherum häufen sich erfahrungsgemäß Sektflaschen und die Überreste gezündeter Böller und Raketen. An der Ebertstraße, Ecke In den Ministergärten sammeln sich kurz vor sechs Uhr fünf Kollegen und drei Kolleginnen mit Kehrmaschinen unterschiedlicher Größe, um den Bereich zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz zu reinigen.
Nach einer kurzen Besprechung mit ihrem Einsatzleiter Carsten Schneider legen sie los. 20 Minuten später sieht es schon bedeutend besser aus auf den Geh- und Radwegen und auf den Fahrbahnen. Das ist auch bitter nötig, denn es kehren nicht nur die letzten Feiernden heim, es sind bereits Krankenschwestern und andere Berufsgruppen unterwegs zum Dienst. Unter Taxis und anderen Autos knirschen Glasscherben. Zum Glück bleibt an der Ebertstraße trotzdem kein Fahrzeug liegen.
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Das ist auch für Jessica Hambleton die größte Herausforderung. Sie steuert gekonnt ihre kleine Kehrmaschine. »Das Schwierige ist, heute durch keine Glasscherbe zu fahren. Ein Reifenwechsel wäre nicht so toll«, sagt die 36-Jährige.
500 von insgesamt 6200 Beschäftigten der BSR sind bereits am 1. Januar mit 180 Fahrzeugen an den bekannten Schwerpunkten im Einsatz. Das übrige Stadtgebiet wird dann ab 2. Januar schrittweise vom Silvestermüll befreit. Für den Neujahrsputz ist jeder gewöhnlich alle vier Jahre dran. Hambleton hat aber nur ein Jahr ausgesetzt und ist nun für einen Kollegen eingesprungen. Sie macht es »aus Leidenschaft« und genauso gern wie nach Festivals und Straßenumzügen, wie sie erzählt. Im Neujahrseinsatz sei man nicht im üblichen Team und lerne andere Kollegen kennen. Darauf freue sie sich immer. »Das schweißt noch mehr zusammen. Da kommt Laune auf.« Wenn nach dieser besonderen Nachtschicht alles schön sauber ist, fährt sie zufrieden nach Hause. »So ’nen Dreck haben wir nicht jeden Tag«, berichtet die 36-Jährige.
Nach ihrer Einschätzung und auch nach der von Einsatzleiter Schneider ist es wieder einmal mehr geworden als in den vergangenen Jahren. In der Neujahrsnacht 2024 waren von der BSR 620 Kubikmeter Silvestermüll eingesammelt worden, in den Corona-Jahren 2022 und 2021 waren es nur jeweils 130 Kubikmeter, 2020 dagegen 400 Kubikmeter und 2019 lediglich 350. Wie viel Silvestermüll insgesamt beseitigt wird, vermag die BSR nicht zu sagen, da dieser Müll ab 2. Januar zusammen mit dem sonstigen Abfall entsorgt wird.
Vom Betriebshof Mühlenstraße sind am frühen Morgen noch vier andere Teams unterwegs. Wenn sie an ihren ersten Einsatzorten fertig sind, wollen sie sich per Telefon verständigen, wo sie weitermachen. »Wahrscheinlich fahren wir dann noch zum Alexanderplatz«, erklärt Einsatzleiter Schneider. Hinten wendet Jessica Hambleton mit ihrer Kehrmaschine auf dem Fußweg, der gerade noch völlig verschmutzt war und nun wieder gefahrlos passiert werden kann. Die BSR hatte vorab gebeten, keine leeren Flaschen zurückzulassen. Es sind aber überall in der Stadt welche zu sehen.
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