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Brics-plus: Eine antikapitalistische Alternative?
Die Brics-plus im kapitalistischen Weltsystem – eine Analyse der jüngeren Entwicklung des Staatenbündnisses
Als im Oktober vergangenen Jahres die »Brics-plus« zu ihrem jährlichen Gipfeltreffen im russischen Kasan zusammenkamen, zeigte sich Gastgeber Wladimir Putin gut gelaunt. In der Tat bescherte der Gipfel dem russischen Präsidenten einen außenpolitischen Achtungserfolg: 40 Staaten waren vertreten, davon mehr als die Hälfte durch ihre Staats- und Regierungschefs; auch UN-Generalsekretär António Guterres war gekommen.
Erst im Jahr zuvor war die unter dem Akronym Brics bekannte Staatengemeinschaft aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika erweitert worden. Seitdem gehören auch Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zu den »Brics-plus«; zugleich hatten allerdings Argentinien und Saudi-Arabien die Einladung zum Beitritt abgelehnt. Am Montag wurde mitgeteilt, dass auch Indonesien dem Bündnis beitritt.
Anders als Ende 2023 auf dem Gipfel in Südafrika gab es in Kasan keine neuen Beitrittsverkündungen. Zwar haben mittlerweile angeblich mehr als 30 weitere Staaten ihr Aufnahmeinteresse bekundet, doch insbesondere Russland bremst derzeit neue Erweiterungsschritte. Der russische Außenminister, Sergej Lawrow, betonte die Relevanz einer »gemeinsamen politischen Orientierung« als Basis eines Einflussgewinns gegenüber dem Westen.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält mehr als zwei Dutzend Auslandsbüros auf allen Kontinenten. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit »nd« berichten an dieser Stelle regelmäßig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Entwicklungen in den verschiedensten Regionen. Heute: Brics-Plus. Alle Texte auf: dasnd.de/rls
Aber auch andere Mitglieder stehen einer großen Anzahl neuer Mitglieder kritisch gegenüber. Für Südafrika und Indien etwa könnte die Ausweitung einen relativen Bedeutungsverlust innerhalb des Bündnisses bedeuten. Dennoch erhielten 13 Bewerber einen offiziellen Partner-Status: Algerien, Belarus, Bolivien, Indonesien, Kasachstan, Kuba, Malaysia, Nigeria, Thailand, die Türkei, Uganda, Usbekistan und Vietnam.
Besondere Aufmerksamkeit hat das Beitrittsinteresse der Türkei erregt. Zwar kritisiert Präsident Recep Tayyip Erdoğan die westliche Dominanz in der Weltpolitik seit geraumer Zeit, doch ist die Türkei auch Mitglied der Nato und, zumindest offiziell, weiterhin EU-Beitrittskandidat.
Ein zentraler Anziehungspunkt der Brics-plus für die Türkei – wie auch für eine Vielzahl weiterer Staaten – ist die Erschließung neuer Märkte. Insbesondere die wirtschaftsstarken Länder Indien und China erzeugen eine große Anziehungskraft. In diesem Sinne fokussiert das Staatenbündnis sich auf die Kooperation in der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik; die Sicherheitspolitik bleibt demgegenüber ausgeklammert. Für die meisten Brics-plus-Länder beinhaltet dieser Ansatz auch eine Zusammenarbeit mit dem Westen. Russland und der Iran, die beide unter westlichen und UN-Sanktionen stehen, plädieren hingegen für eine antiwestliche Ausrichtung des Bündnisses. Diese Uneinigkeit spiegelt sich auch in den Auseinandersetzungen um Institutionen wie die New Development Bank (»Brics-Bank«) wider.
Ende der US-Hegemonie?
Seit einiger Zeit steht dabei die Architektur internationaler Finanzinstitutionen im Fokus. Die Forderung nach einer multipolaren – und aus der Perspektive des globalen Südens gerechteren – Weltordnung entlädt sich insbesondere in einer Kritik an den Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF), aber auch an den Rating-Agenturen, dem Swift-System und der Dominanz des US-Dollars im Welthandelssystem.
In diesem Kontext ist die Entwicklung der Brics-Bank und des Contingent Reserve Arrangements, eines Liquiditätsmechanismus für in Zahlungsschwierigkeiten geratene Mitglieder, zu verstehen. Während Staaten wie Indien und Südafrika betonen, dass diese keine Alternative zu den westlich dominierten Finanzinstitutionen darstellen, sondern diese lediglich ergänzen sollen, sind Russland und der Iran an einem alternativen Finanzsystem interessiert. Daher überrascht es nicht, dass Lawrow in der Vergangenheit auf ein politisches Mandat der Brics-Bank pochte. Dies wiederum wies Anil Kishora, einer der Vizepräsidenten der Bank, als bloße Meinungsäußerung der russischen Regierung zurück. Russische Vertreter*innen dürften auch darüber erbost sein, dass die Brics-Bank 2022 alle Aktivitäten in ihrem Land einstellte, um nicht selbst unter die gegen Russland verhängten Sanktionen zu fallen.
Die 2014 gegründete Brics-Bank mit Sitz in Schanghai hatte sich bereits für andere Mitgliedstaaten geöffnet. Bangladesch und die VAE traten ihr 2021 bei, Ägypten folgte zwei Jahre später. Mit einem Stammkapital von 100 Milliarden US-Dollar ist die Brics-Bank zwar kleiner als die Weltbank, die ein Stammkapital von 268 Milliarden US-Dollar aufweist, konnte sich aber dennoch als relevante Entwicklungsbank etablieren. Bisher förderte sie über 90 Projekte in einer Gesamthöhe von 30 Milliarden USD. Im Gegensatz zur Weltbank, bei der sich die Stimmenmacht an den gehaltenen Anteilen orientiert, gilt bei der Brics-Bank das Prinzip »ein Mitglied, eine Stimme«, und es existiert kein Vetorecht.
Es gibt allerdings auch Kritik. So hat der politische Analyst Patrick Bond von der Universität Johannesburg die von der Brics-Bank geförderten Projekte analysiert und bemängelt, dass ein signifikanter Anteil der Kredite in korrupten Strukturen versickert. Zudem kritisiert er, dass meist eine neoliberale Exportorientierung im Vordergrund steht und von den Projekten betroffene Bevölkerungsgruppen bei der Planung nicht einbezogen werden. Überdies konnte im Portfolio der Bank eine Vielzahl von extraktivistischen und atomaren Projekten identifiziert werden.
Das People’s Forum on Brics aus Indien kritisiert, dass sich die Brics-Bank in ihren Geschäftspraktiken im Grunde nicht von anderen multilateralen Entwicklungsbanken wie der Weltbank oder der asiatischen Entwicklungsbank unterscheidet und sich, wie diese, auf Unternehmensförderung und die Privatisierung öffentlicher Güter konzentriert. Drängende Themen, die die Mehrheit der Brics-plus-Bevölkerung direkt betreffen (wie etwa die Bereitstellung von angemessenem Wohnraum), stehen nicht im Fokus der Bank. Aber genau hierfür wäre ein neuer Ansatz zur Finanzierung notwendig, der über die üblichen staatlichen Subventionen hinausgeht. Der südafrikanische Politikprofessor Vishwas Satgar kommt daher zu dem Schluss, die Brics habe »rhetorisch eine ›alternative‹ Strategie zu den wesentlichen Merkmalen des westlichen Imperialismus vertreten, sich in Wirklichkeit aber eng in diesen eingefügt.«
Bemerkenswert ist jedoch, dass die Brics-Bank plant, künftig Kredite in lokalen Währungen ihrer Mitgliedstaaten anstatt in US-Dollar auszugeben. Dies unterstreicht das Kernanliegen der Brics-plus, die Hegemonie der westlich dominierten Finanz- und Verrechnungsinstrumente im Allgemeinen und des US-Dollars im Besonderen zu brechen.
Die Sanktionen gegen Russland und der Ausschluss des Landes aus dem Swift-System haben die Verwundbarkeit im Kontext der US-Hegemonie dramatisch verdeutlicht. Beim virtuellen Brics-Gipfel 2022 diskutierten die Staaten daher eine Alternative zum Swift-System für Finanztransaktionen, beim Gipfel in Johannesburg 2023 stand dann die Einführung einer Brics-Währung auf der Agenda. Zwar ist eine solche Währung – die die nationalen Währungen nicht ablösen würde, sondern für den grenzüberschreitenden Handel vorgesehen ist – bereits seit 2009 im Gespräch, aber ihre Einführung steht nach wie vor in den Sternen.
Das bedeutet jedoch keineswegs ein Ende der Bemühungen um eine De-Dollarisierung der Wirtschaftsbeziehungen. Die Brics-plus-Staaten einigten sich bereits beim Gipfel 2023 auf eine umfassendere Nutzung lokaler Währungen für ihren bilateralen Handel und für Brics-Bank-Kredite. Brasilien etwa akzeptiert im Handel und bei Investitionen zunehmend auch den chinesischen Yuan als Zahlungsmittel. Zwar kann von einem Ende der Hegemonie des US-Dollars einstweilen keine Rede sein – Ende 2022 betrug der Anteil des Yuan an den weltweiten Währungsreserven lediglich 2,7 Prozent, während jener des US-Dollars bei 59 Prozent lag. Es lässt sich aber ein allmählicher Rückgang der Dominanz des US-Dollars erkennen, der 1999 noch einen Anteil von 71 Prozent hatte.
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In diesen Trend sind auch die jüngsten Drohungen des designierten US-Präsidenten Donald Trump einzuordnen, die Brics-Plus-Staaten mit Strafzöllen in Höhe von 100 Prozent zu belegen, sollten sie eine Brics-Währung als Alternative zum US-Dollar einführen. Dies ist Wasser auf die Mühlen jener Staaten, die ihre Abhängigkeit vom US-Dollar und den westlich dominierten Finanzinstitutionen als Gefahr betrachten. Eine Absicherung gegen mögliche negative Auswirkungen wird daher zunehmend im Brics-plus-Bündnis gesucht. Insbesondere Russland und China wollen das Bündnis als geopolitisches Gegengewicht zum Westen und zentrale Plattform des Südens positionieren. Derweil verstehen Brasilien, Indien und Südafrika die Staatengruppe vorrangig als Plattform zur Sicherung ihrer nationalen Interessen.
Keine Alternative zum Neoliberalismus
Der Fortgang der Brics-plus ist nicht in Stein gemeißelt. Ob sich das Bündnis über eine Plattform für Deklarationen hinaus entwickelt, hängt davon ab, ob Unstimmigkeiten überwunden und eine gemeinsame Agenda gefunden werden kann. Die Absage der Mitgliedschaft Argentiniens durch den damals frisch ins Amt gekommenen Präsident Javier Milei verdeutlichte zudem die Abhängigkeit des Staatenbündnisses von innenpolitischen Konstellationen.
Einigkeit herrscht über den Grundsatz der Nicht-Einmischung und das Streben nach mehr Einfluss in einer multipolaren Welt – wie genau dieser aussehen soll, ist indes Gegenstand interner Auseinandersetzungen. Das beinhaltet auch die Frage, welche Rolle westliche Staaten darin einnehmen sollen.
Aus progressiver Perspektive ist das Streben von Staaten des globalen Südens nach Unabhängigkeit von westlich dominierten Institutionen, die nicht zu ihrem Vorteil arbeiten, grundsätzlich zu begrüßen. Zugleich muss jedoch festgestellt werden, dass bislang keinerlei transformative Politikansätze identifiziert werden können, die nicht nur der Elite, sondern der Mehrheit ihrer Bevölkerungen zugutekommen.
Kurz: Die Brics-plus stellen keine antikapitalistische Alternative dar. Es geht ihnen vielmehr um mehr Einfluss im kapitalistischen Weltsystem, um eine Art »Neoliberalismus mit südlichem Antlitz«. Progressive Kräfte sollten sich stattdessen darauf konzentrieren, strategische Räume für alternative Politikansätze zu identifizieren – und diese auch zu nutzen.
Janine Walter leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung im südafrikanischen Johannesburg.
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