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Innerpalästinensische Konflikte

Während der Gaza-Krieg weitergeht, bekämpfen sich im Westjordanland Palästinenser gegenseitig

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein Angehöriger trauert um Schatha Al-Sabbagh, eine palästinensische Journalismusstudentin, die in Dschenin durch einen Kopfschuss getötet wurde, der nach Angaben der Familie von palästinensischen Sicherheitskräften abgefeuert wurde.
Ein Angehöriger trauert um Schatha Al-Sabbagh, eine palästinensische Journalismusstudentin, die in Dschenin durch einen Kopfschuss getötet wurde, der nach Angaben der Familie von palästinensischen Sicherheitskräften abgefeuert wurde.

Der Druck ist enorm: Nahezu täglich pendeln israelische, ägyptische, amerikanische und europäische Diplomaten nach Doha, die Hauptstadt Katars, versuchen, mit der Führung der Hamas, die dort ihren offiziellen Sitz hat, einen Waffenstillstand auszuhandeln.

Denn die Zeit drängt: Der Winter hat den Gazastreifen voll im Griff. Mindestens sieben Kleinkinder seien mittlerweile an Unterkühlung gestorben, meldet das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA). Krankheiten breiten sich aus. Die israelischen Bomben- und Raketenangriffe, die Kämpfe zwischen Bodentruppen und Kämpfern von Hamas und Islamischem Dschihad gehen unvermindert weiter. Und dann ist da auch noch der politische Übergang in den USA. Am 20. Januar wird Donald Trump erneut das Amt des Präsidenten übernehmen.

Rüstungspaket für Israel

Die aktuelle Führung versucht nun, in letzter Minute noch alles einzutüten, was geht: Vor einigen Tagen genehmigte Biden ein Rüstungspaket für Israel im Gesamtwert von acht Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig reiste Außenminister Antony Blinken erneut in den Nahen Osten. Denn die Befürchtungen für die Zeit nach Trumps Amtsantritt reichen auf allen Seiten von Stillstand bis hin zu aufgezwungenen Deals und Einstellung von Rüstungs- und Finanzhilfen.

Gleichzeitig bahnen sich aber neue Konflikte an. Im Westjordanland gehen sowohl palästinensische als auch israelische Sicherheitskräfte weiterhin gegen mit der Hamas, dem Islamischen Dschihad und anderen Gruppen verbündete Milizen vor. Bei einem Militäreinsatz in Askar östlich von Nablus wurde ein 17-jähriger Palästinenser getötet. Kurze Zeit später wurde aus einem Auto heraus auf einen israelischen Reisebus im Norden des israelisch besetzten Westjordanlands geschossen; drei Israelis starben. Bei einem israelischen Luftangriff in der Nähe eines Dorfes im Jordantal wurden drei Palästinenser getötet, die nach israelischen Angaben zuvor auf Soldaten geschossen hatten.

Hamas und Islamischer Dschihad gegen die Autonomiebehörde

Palästinensische Polizisten versuchen derweil weiterhin, die Kontrolle über die Stadt Dschenin zu erlangen. Dort hatten in den vergangenen Jahren zunehmend Milizen aus dem Umfeld von Hamas und Islamischem Dschihad dominiert. In Ramallah, wo die palästinensische Regierung unter Führung von Präsident Mahmud Abbas ihren Sitz hat, wird dies zunehmend als Angriff auf die eigene Autorität gesehen.

Neben den israelisch-palästinensischen Konflikt rückt zunehmend der inner-palästinensische Streit um die politische und ideologische Oberhoheit in den palästinensischen Gebieten. Denn der 89-jährige Abbas wird nicht mehr lange da sein. Seine Verwaltung hat den Ruf, korrupt und unfähig zu sein. Gegen die Fatah, jene Fraktion in der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die die offizielle Regierung dominiert, wird in der palästinensischen Öffentlichkeit der Vorwurf der Intransparenz und Vetternwirtschaft geäußert.

Vor einigen Tagen genehmigte Biden ein Rüstungspaket für Israel im Gesamtwert von acht Milliarden US-Dollar.

Für Organisationen wie die Hamas und den Islamischen Dschihad, die nicht zur PLO gehören, ist das der ideale Nährboden: In den konservativeren Teilen des Westjordanlands hatten sie in den vergangenen Jahren enormen Zulauf vor allem von jungen Männern. Geld und Waffen schienen dabei nie ein Problem zu sein, obwohl Israel die Grenzen streng kontrolliert.

Zwar verhandeln Hamas und Fatah immer wieder über eine gemeinsame Regierungsbildung. Zuletzt einigte man sich Anfang Dezember auf die Bildung eines unabhängigen Expertenrats, der künftig Gaza regieren soll. Doch behindert wird das von den tiefen ideologischen Unterschieden: Die Hamas lehnt nicht nur den Dialog mit Israel ab – anders als die Fatah –, sondern plant Palästina vor allem als stark von islamischen Glaubensvorschriften geprägten Staat, während die PLO ein säkulares Staatswesen auf der Grundlage von islamischen Werten anstrebt.

Kritik an der Regierung von Mahmud Abbas

Gleichzeitig gerät die Abbas-Regierung nun durch ihr Vorgehen in Dschenin überall in der arabischen Welt in die Kritik: Vor allem der Nachrichtensender Al-Jazeera übt regelmäßig Kritik am Polizei-Einsatz, berichtet von Übergriffen auf Zivilisten und übermäßigem Gewalteinsatz.

Die Autonomieregierung antwortete darauf, indem sie Al-Jazeera die Arbeit verbot und versuchte, den Sender im Westjordanland abzuschalten. Vergeblich: Die meisten Palästinenser nutzen Satellitenfernsehen. Israel hatte den Mitarbeitern des Senders schon vor Wochen die Arbeit verboten.

Amtszeit des Parlaments 2010 abgelaufen

Die Entwicklungen werfen aber auch ein Schlaglicht auf die Nachfolge von Abbas. 89 Jahre alt, wird er bald abtreten müssen. Gemäß der Verfassung würde dann der Parlamentssprecher bis zu Neuwahlen einspringen. Doch die Amtszeit des Parlaments ist bereits 2010 abgelaufen; Abbas regiert nur noch per Dekreten, für die es keine rechtliche Grundlage gibt.

Und in einem solchen Dekret hatte er Ende November verfügt, dass nach seinem Tod Rauhi Fattuh, Vorsitzender des Nationalrats, sein Nachfolger werden soll. Dabei handelt es sich in der Theorie um ein »Parlament« innerhalb der PLO, das allerdings komplett bedeutungslos ist: In 30 Jahren tagte der Nationalrat nur zwei Mal.

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