»Viele haben Angst um ihr Leben«

Rudi Friedrich über seine Arbeit für Menschen, die sich dem Krieg verweigern

  • Interview: Gisela Dürselen
  • Lesedauer: 5 Min.
Antimilitarismus – »Viele haben Angst um ihr Leben«

Sie haben 1993 Connection e. V. mitgegründet. Wie kam es dazu?

Anfang der 80er Jahre habe ich meine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Nach Maurerlehre und Soziologiestudium baute ich gemeinsam mit Aktivist*innen in Offenbach am Main eine internationale Arbeit zur Unterstützung von Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen insbesondere aus Kriegsgebieten auf, um so konkret gegen Krieg arbeiten zu können. Als zu Zeiten der Kriege im ehemaligen Jugoslawien Zehntausende in Deutschland Schutz suchten, wurde uns klar, dass wir ein Netzwerk aufbauen müssen, um Menschen, die nicht am Krieg teilnehmen wollen, unterstützen zu können. Und das ist, was wir tun, heute in Bezug auf Russland, Belarus, Ukraine, Israel und viele andere Länder. Ziel ist immer, die Betroffenen in ihrer Entscheidung gegen den Krieg zu stärken und vor Rekrutierung zu schützen.

Was ist Ihre Rolle?

Als Geschäftsführer war ich lange Zeit die einzige Person, die hauptamtlich Kampagnen organisiert, Beratung durchgeführt, die internationale Zusammenarbeit koordiniert, Lobbyarbeit bei Parlamenten und internationalen Organisationen umgesetzt hat. Dabei wurde ich begleitet von einer Gruppe von Ehrenamtlichen. Inzwischen sind wir neben den Ehrenamtlichen ein Team von fünf Personen.

Interview

Rudi Friedrich ist seit seiner Kriegs­dienst­verweigerung Anfang der 80er Jahre in der Friedensbewegung aktiv. Mit Gleich­gesinnten engagierte er sich in einer internationalen Gruppe von Aktiven für Kriegsdienstverweigerer. 1993 gründete die Gruppe schließlich den Verein Connection e. V., bei dem Rudi Friedrich seitdem Geschäftsführer ist.

Was braucht es, um in Deutschland als internationaler Verweigerer Asyl zu bekommen?

Ein positives Beispiel war ein Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei, ein Land, in dem es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt. Er hat in Deutschland Asyl beantragt. Zunächst wurde er abgelehnt, weil das Bundesamt für Migration vor allem seine kurdische Herkunft bewertet hatte. Wir gingen mit ihm an die Öffentlichkeit und begleiteten ihn im Asylverfahren. So konnte er vor Gericht seine Kriegsdienstverweigerung in den Fokus stellen – und wurde anerkannt. Leider müssen wir erleben, dass es für geflüchtete Kriegsdienstverweiger*innen in Deutschland immer schwieriger geworden ist. Darin drücken sich die politischen Entwicklungen aus, die sich grundsätzlich gegen Geflüchtete wenden. So wurden in den letzten beiden Jahren Hunderte Verweigerer aus Russland abgelehnt, obwohl sie sehr klar Position gegen den Angriffskrieg Russlands beziehen.

Im Zuge des Ukraine-Krieges hat Connection e. V. das europaweite Netzwerk #ObjectWarCampaign gegründet – worum geht es da?

Etwa 250 000 Militärdienstpflichtige haben Russland verlassen, um nicht am Krieg teilnehmen zu müssen. Aus der Ukraine sind mehr als 300 000 geflohen. Wir sehen ihre Entscheidung als kleinen individuellen, aber sehr wichtigen Beitrag an, um den Krieg zu beenden. Die Kampagne stellt das in den Vordergrund und beruht auf der Zusammenarbeit von mehr als 120 Organisationen europaweit.

Wie reagiert das jeweilige soziale Umfeld?

Sehr unterschiedlich. Ich finde es auffällig, dass viele Verweiger*innen aus Familien kommen, die einen ukrainischen wie auch einen russischen Hintergrund haben. Manche Familien stellen sich hinter sie, andere nicht. Es erweckt den Eindruck, dass die Sorge vor Repressionen sehr stark ist und deswegen nicht offen Unterstützung gezeigt wird.

Wie vielen Menschen konnten Sie helfen?

Die in Georgien ansässige Nichtregierungsorganisation Idite Lesom hatte letztens mitgeteilt, dass sie 1000 Deserteuren helfen konnte, Russland zu verlassen. Auch andere Organisationen beraten Tausende. Bei uns gab es seit Anfang des Krieges Hunderte Anfragen aus verschiedenen Ländern. Wie viele aus dem gesamten Netzwerk unterstützt werden? Das kann ich nicht sagen.

Welche Motive nennen die Verweigerer?

Die grundsätzliche Ablehnung des Krieges spielt sowohl in der Ukraine als auch in Russland eine große Rolle. Es sei ein Bruderkrieg, wird uns oft gesagt, der völlig sinnlos sei. Andere lehnen die Politik ihrer Regierung ab. Viele haben Angst um ihr Leben und wollen sich nicht für die Ziele der Herrschenden verheizen lassen. 2011 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht anerkannt. Es muss also für jeden und jede jederzeit möglich sein, den Kriegsdienst zu verweigern, auch im Krieg.

Welche Bedeutung hat Verweigerung generell?

Es ist ein individueller Schritt, sehr unterschiedlich motiviert und zum Teil mit großen Risiken verbunden. An der Front zu desertieren, ist in aller Regel eine lebensgefährliche Angelegenheit. Aber auch Ausgrenzung, die Diffamierung als Verräter*in spielen eine Rolle. Dennoch zeigt jede Verweigerung, dass es eine Alternative zum Kampf gibt. Sie stellt eine Möglichkeit dar, sich dem militärischen Gehorsam, den mit dem Krieg verbundenen Leiden und Verbrechen zu entziehen. Und wenn wir sehen, dass es Hunderttausende auf allen Seiten sind, reichen diese Beispiele weit in die Gesellschaft hinein. Es stärkt so politische Ansätze, den Krieg zu beenden.

Sie bringen die Themen Krieg und Frieden auch mit szenischen Liedern, Lautpoesie und Musik ans Publikum.

Ich habe immer wieder erlebt, dass wir über solche Formen viel mehr an Widersprüchen, Emotionalität und Bedeutung einer solchen Entscheidung vermitteln können. In den szenischen Lesungen hatten wir nur Originaltexte von Verweiger*innen verwendet, damit ihre Gedankenwelt, ihre Entscheidung nachvollziehbar wird. Es bewegt viel mehr als sonst.

2024 bekam Connection e. V. zwei Auszeichnungen: den Helga-und-Werner-Sprenger-Friedenspreis und den Bremer Friedenspreis …

Für uns ist das immer auch eine Auszeichnung der Netzwerke, denn wir allein könnten das alles nicht machen. Ich hoffe sehr, dass diese Ehrungen dazu beitragen, dass die Arbeit bekannter wird und Betroffene den Kontakt zu uns und anderen finden.

Wie kann die Arbeit von Connection e. V. unterstützt werden?

Gerade zur #ObjectWarCampaign, aber auch zu Israel, Südkorea, Eritrea und der Türkei bieten wir sehr viel an: Aktionszeitungen, Flugblätter, Beispiele für Aktionen. Gerne kommen wir zu Veranstaltungen oder vermitteln Referent*innen. Und dann sind wir sehr dankbar für finanzielle Unterstützung, die wir auch dafür verwenden, dass Gruppen in anderen Ländern kontinuierlich und mit großer Expertise arbeiten können.

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