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BSR: Orange, die Farbe des Arbeitskampfes
Die Berliner Stadtreinigung geht kampfbereit in die Tarifverhandlungen
»Morgen ist die erste Verhandlungsrunde, aber wir setzen heute ein Zeichen!«, ruft Carlos Seefeld, Gewerkschafter bei der Berliner Stadtreinigung BSR. Vor dem Gebäude der BSR demonstriert Verdi am Donnerstag mit einer Kundgebung nicht nur mit »Wir sind die Gewerkschaft!«-Rufen die Kampfbereitschaft der Mitarbeiter*innen vor dem Start der Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes. Mit einer Petition, die hier an den Personalvorstand übergeben wird mit 3 222 Unterschriften, wird klargemacht: Die Mehrheit des Betriebes steht hinter der Gewerkschaft. Zudem sind große Partner dabei: Eingerahmt wird die Kundgebung von orangen Müllwägen und einem BVG-Bus.
Acht Prozent mehr Lohn, höhere Zuschläge für belastendere Tätigkeiten, eine faire Schichtzulage, extra freie Tage und vor allem 200 Euro mehr Gehalt und mehr Lerntage für Auszubildende – das alles fordert Verdi. Zwar liege die letzte Tarifrunde erst zwei Jahre zurück, aber die Lebenserhaltungskosten hätten sich eben enorm erhöht, sagt Carlos Seefeld dem »nd«. Das bedeute somit seit zwei Jahren einen Reallohnverlust. Auch deswegen sagt Andrea Kühnemann, Landesbezirksleiterin bei Verdi: »Wir werden in den nächsten Tagen diese Stadt lahmlegen können, wenn es darauf ankommt, liebe Kollegen und Kolleginnen.«
Das schafft die Stadtreinigung womöglich sogar alleine, muss sie aber nicht. Denn mit ihr gemeinsam sind weitere Betriebe von den Tarifverhandlungen betroffen. Pitt Siering, von den Berliner Wasserbetrieben etwa, ist heute auch dabei und sagt mit Blick auf das häufige Argument, es fehle den Kommunen an Geld: »Ich lade alle Kommunalpolitiker gerne ein, mit uns zu streiken.« Stella Merendino vertritt nicht nur in der Gewerkschaft die Krankenhausbewegung von Charité und Vivantes. Sie tritt auch bei der Bundestagswahl als Direktkandidatin für die Linke in Mitte an, denn »wir Gewerkschafter*innen, wir Arbeitnehmer*innen müssen auch repräsentiert werden.« Das passt zu der Rede von Verdi-Gewerkschafter Georg Heidel, der sagt: »Es kann nicht sein, dass immer die arbeitende Bevölkerung die Kosten zahlt für eine Scheißpolitik.« Am Donnerstag stehe Merendino aber als Krankenschwester und Verbündete da.
»Wir werden in den nächsten Tagen diese Stadt lahmlegen können, wenn es darauf ankommt.«
Andrea Kühnemann
Landesbezirksleiterin Verdi
Das Motto der Wasserbetriebe »Ohne uns läuft nix« trifft wohl auf alle bei der Kundgebung vertretenen Unternehmen zu; auf eines besonders in der Abwandlung »Ohne uns fährt nichts und es läuft jeder«. Die Berliner Verkehrsbetriebe und die Stadtreinigung werde man in Zukunft öfter zusammen sehen, verspricht Carlos Seefeld, dem BVG-Straßenbahnfahrer Manuel von Stubenrauch, genannt Stubi, einen Arm um die Schulter gelegt. Stubi sagt, mit Blick auf eine steigende Belastung und sinkende Wertschätzung sei der Arbeitskampf umso wichtiger – in den Betrieben und jetzt auch überbetrieblich. »Für neue Bahnen und neue E-Busse ist immer Geld da, aber für die Menschen nicht.«
Im Podcast »Betriebsstörung« sprechen Seefeld und Stubi über Arbeit und Streik in ihren Betrieben. Bei der BSR herrscht demnach faktisch seit einem Jahr die Sechs-Tage-Woche bei einem Krankenstand von über 25 Prozent und einer tariflichen Regelung der Schichtzulagen aus den frühen 2000ern. Bei dem schlechten Wetter, das am Donnerstag während der Kundgebung herrscht, sehe man zudem, unter welchen Bedingungen die Kolleg*innen häufig arbeiten. Immerhin 70 Prozent der Müllwerker*innen haben die Petition unterschrieben.
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Aber bei einem Streik bräuchte es auch Verbündete aus der Zivilgesellschaft. Die repräsentiert am Donnerstag das Bündnis »Berlin steht zusammen«, das aus der Initiative »Wir fahren zusammen« hervorgegangen ist. »Wenn ihr streikt, steht ganz Berlin hinter euch«, sagt eine Sprecherin der Initiative. Es sei wichtig, dass Solidarität auch aus der Stadtgesellschaft komme, dass auch die Kneipe nebenan den Arbeitskampf unterstütze. Andrea Kühnemann von Verdi bemerkt zu öffentlicher Kritik an Streiks, wie sie etwa bereits auf die Streikankündigung der BVG am kommenden Montag erfolgte: »Wir lassen uns nicht kirre machen.«
Schließlich steht sogar ein Vertreter der Arbeitgeberseite auf der kleinen Bühne. Martin Urban, Personalvorstand der BSR, bemerkt zu den kämpferischen »Jetzt geht’s los«-Rufen aus dem Publikum: »Was jetzt losgeht, ist eine Tarifrunde«. Die laufe nun mal nicht so, dass eine Seite Forderungen auf den Tisch lege und die andere sofort unterschreibe. Die Zwischenrufe »Wieso nicht?« und »Es gibt für alles ein erstes Mal!« bringen ihn immerhin zum Lächeln. Und die Petition, die die Streikbereitschaft von über 50 Prozent seiner Angestellten zeigt, legt er sich kurzerhand um die Schultern. Was das für den Start der Tarifverhandlungen bedeutet, weiß Carlos Seefeld. »Da bekommt ›sich warm anziehen‹ eine ganz eigene Bedeutung.«
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