Das Prinzip »Sowohl als auch«

Die 1925 formulierten Grundlagen der Quantenmechanik haben zu vielen praktischen Anwendungen geführt, weitere werden folgen

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 7 Min.
Blick ins Innere eines Quantenlabors
Blick ins Innere eines Quantenlabors

Richtig begreifbar ist sie nicht, aber ihre Anwendungen halten wir dennoch täglich in der Hand: die Quantenphysik und ihre technische Nutzung. Als eine der Hauptsäulen der modernen Physik beschreibt die Quantenphysik das Verhalten der kleinsten physikalischen Objekte, wie Moleküle, Atome oder Elementarteilchen. Die klassische Physik, die unsere makroskopische Welt etwa über die Teilgebiete der Mechanik, Elektrodynamik oder Thermodynamik beschreibt, kann diese »mikroskopischen« Systeme nicht erklären. Hundert Jahre nach der ersten mathematischen Formulierung zur Beschreibung der Quantenwelt werden im »Internationalen Quantenjahr 2025« Rück- und Ausblicke auf die physikalischen und technischen Errungenschaften der Disziplin gehalten.

Erste Ansätze zur Entwicklung der Quantenphysik kamen im Jahr 1900 von Max Planck, der erkannte, dass sich die Wärmestrahlung eines Körpers nicht mit der klassischen Physik beschreiben lässt. Planck postulierte, dass der Energieaustausch zwischen der Materie des Körpers und dem elektromagnetischen Feld nicht kontinuierlich erfolgt, sondern nur häppchenweise oder eben »gequantelt«.

Auch bei der Modellbeschreibung von Atomen halfen die Quanten: In frühen Darstellungen waren die negativen Elektronen »wie Rosinen« in einem positiv geladenen »Teig« verteilt. Während ein solches »Rosinenkuchenmodell« nach Joseph Thomson bestimmte Beobachtungen gut darstellen konnte, blieb es eine Erklärung schuldig: der für die Ursache von Spektrallinien, dem Licht diskreter Frequenzen, die charakteristisch für ein bestimmtes Atom sind.

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Mit dem Atommodell von Niels Bohr (1913) wurden Elektronen im Atom erstmalig auf stabile Umlaufbahnen gesetzt. Sprangen die Elektronen zwischen den einzelnen Bahnen, wurde eine ganz bestimmte, diskrete Energie absorbiert oder als Lichtquant abgegeben.

Mit der Formulierung der Quantenmechanik im Jahr 1925, maßgeblich erarbeitet von Erwin Schrödinger, Werner Heisenberg, Max Born, Paul Dirac, Wolfgang Pauli sowie Pascual Jordan (seine politischen Verwicklungen im Nationalsozialismus gelten heute als Grund, dass er als einziger Mitbegründer der Quantenmechanik keinen Nobelpreis erhielt), stand dann eine mathematische Formulierung zur Verfügung, welche die physikalischen Eigenschaften von Licht und den kleinsten Materieteilchen zutreffend beschreiben konnte.

Doch auch mit dieser mathematischen Bedienungsanleitung versehen, sorgen die kleinsten Teilchen noch für großes Kopfzerbrechen, lassen sich die meisten Quantenphänomene doch kaum mit alltäglichen Vorgängen vergleichen.

Ein Objekt existiert in
mehreren Zuständen zugleich

So besagt etwa das Prinzip der »Überlagerung«, dass ein Quantenobjekt in mehreren Zuständen existieren kann (sozusagen ein »Jein«); erst die physikalische Messung sorgt für Bestimmtheit. Dass sich eine solche Überlegung nicht auf unsere makroskopische Welt übertragen lässt, wurde etwa durch das populäre Gedankenexperiment »Schrödingers Katze« (grob gesagt: Eine Katze ist sowohl lebendig als auch tot – solange, bis jemand eine Messung durchführt ...) eindrücklich beschrieben.

Und auch beim »Welle-Teilchen-Dualismus« zeigt sich ein Objekt, etwa ein Elektron, von seiner vielschichtigen Seite. So verhalten sich etwa Elektronen einerseits wie es die Bezeichnung »Elementarteilchen« vermuten lässt (zum Beispiel, wenn sie sich in einer Elektronenröhre an genau einem Ort befinden), andererseits zeigen sie im berühmten Doppelspaltexperiment, dass sie sich auch wie eine Welle verhalten können, wenn sie dem erstaunten beziehungsweise quantenmechanisch aufgeklärten Betrachter ein Interferenzmuster, wie man es nur von Wellen kennt, präsentieren.

Mit dem »Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und Quantentechnologien 2025« schaut man nun weltweit nicht nur auf die ersten 100 Jahre Quantenphysik zurück, sondern wagt auch einen Blick in die Zukunft. In 57 Ländern werden zahlreiche Aktionen und Vortragsreihen angeboten, welche den allgegenwärtigen Einsatz von Quantentechnologien allen Interessierten näherbringen wollen. In Deutschland wird das Aktionsjahr von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft koordiniert, die unter dem Motto »Hundert Jahre sind erst der Anfang ...« zurückblickt und frohlockt.

Denn der »Anfang« macht uns das Leben bereits in vielen Bereichen sehr bequem.

Quantenphysik steckt in
unserem technischen Alltag

So nutzt das Navi im Auto (beziehungsweise das GPS) die unübertroffene Präzision von Atomuhren, die auf den diskreten Übergängen der Elektronen im Atom basieren: Der GPS-Empfänger misst dazu die Zeiten, die er braucht, um Signaturen von vier verschiedenen Satelliten zu empfangen, um dadurch seine Position möglichst exakt zu bestimmen. Nur durch die extrem genaue Zeitmessung wird die nötige Genauigkeit in der Position erreicht (für GPS-fähige Smartphones rund fünf Meter), um die entscheidende Straßenkreuzung nicht erst im Rückspiegel zu erfassen.

Und wer an der Kasse eine DVD kauft, freut sich gleich doppelt über Laser, die das quantenmechanisch zu beschreibende Konzept der »stimulierten Emissionen« von Photonen in Atomen nutzen: Barcode-Scanner oder DVD-Laser (auch für CDs) tasten dazu berührungslos die Datenspuren ab, die anschließend in ein elektrisches Signal umgewandelt werden.

Wem der so abgespielte Film zu Herzen geht, könnte sich dieses dann über die Magnetresonanztomografie (MRT) anschauen: Die Kernspinresonanz, auch sie ein Phänomen der Quantenphysik, erlaubt es, im Rahmen der medizinischen Diagnostik die Struktur und Funktion von Organen und Geweben im Körper sehr detailliert bildlich darzustellen.

Die meisten Quantenphänomene lassen sich kaum mit alltäglichen Vorgängen vergleichen.

Und es ist noch mehr drin (nicht nur im Körper, auch für die Quantenmechanik): Transistoren, bereits 1947 erstmalig präsentiert und neun Jahre später mit dem Nobelpreis gewürdigt, oder Solarzellen als Halbleiter-Elemente, CCD-Sensoren für die Digitalkamera, genauso wie der Flash-Speicher oder das Rastertunnelmikroskop.

Letzteres beruht auf dem quantenmechanischen »Tunneleffekt«, nach dem Teilchen eine Barriere überwinden (»durchtunneln«) können, obwohl ihre Energie eigentlich viel zu niedrig ist. Auch hier hilft ein Beschreibungsversuch der klassischen Physik kaum weiter – denn wer mit »dem Kopf durch die Wand will«, hat in der klassischen Welt vielleicht einen Knochenbruch – und nur in der Quantenwelt seinen eindrucksvollen Durchbruch.

Einen echten Durchbruch erhoffen sich Wissenschaftler dann auch auf zahlreichen, noch recht jungen Gebieten der Quantenphysik, etwa in der Quantenkryptografie oder dem Quantencomputing.

Sichere Verschlüsselung
mit Quantenkryptografie

Ursprünglich hat die Kryptografie zum Ziel, Informationen sicher zu verschlüsseln, sodass nur Sender und Adressat Zugriff auf sensible Inhalte haben. In heutiger Zeit wird die »Wissenschaft des geheimen Schreibens« etwas weiter gefasst und beinhaltet ebenso Aspekte der Datensicherheit wie etwa einen Änderungs- oder Fälschungsschutz. Die Quantenkryptografie erarbeitet dazu extrem sichere Methoden, um den Schlüssel zum (De)kodieren der Nachricht ausschließlich an die rechtmäßigen Teilnehmer zu übermitteln. Versucht ein neugieriger Dritter den Schlüssel abzufangen, muss er dazu eine Art Messung durchführen: Der vormals überlagerte Zustand »entscheidet« sich für einen Zustand. Dadurch kann der Abhörversuch erkannt, die Datenübertragung abgebrochen und mit einem neuen Schlüssel versucht werden.

Die Sicherheit beruht somit auf den Gesetzen der Quantenmechanik und nicht auf mathematischen Algorithmen – von denen die hartnäckigsten Mithörer immer hoffen, diese doch einmal knacken zu können.

Auch beim Quantencomputing setzt man auf die Überlagerung: Anstatt mit Bits, einer Abfolge von Nullen und Einsen, arbeiten Quantencomputer mit Quantenbits. Jene »Qubits« genannten Einheiten können nun sowohl »null« als auch »eins« repräsentieren, was eine parallele anstatt der bisher üblichen sequenziellen (nacheinander erfolgenden) Informationsverarbeitung ermöglicht. Heute führen noch klassische Supercomputer wie »El Capitan« mit einer Rechenleistung von 1 742 000 Teraflops – doch Nachrichten wie jener von Googles »Quantenchip Willow«, der nach Angaben des Konzerns eine Berechnung, für die normale Supercomputer »länger als das Alter des Universums benötigen würden«, in fünf Minuten erledigte, markiert einen bedeutenden Fortschritt. Bei der Fehlerkorrektur, welche die tatsächliche Nutzung von Quantenchips allerdings bisher stark begrenzt (Quantenzustände sind extrem störungsanfällig), konnten ebenfalls erhebliche Fortschritte erzielt werden.

Quantenphysikalisches
Experiment mit negativer Zeitdauer

Kürzlich stießen Wissenschaftler auf einen weiteren erstaunlichen Effekt der Quantenphysik: Sie konnten zeigen, dass Photonen, die durch Wolken von Rubidiumatomen gestrahlt werden, diese wie erwartet anregen – aber schon längst wieder emittiert wurden, noch bevor das Atom in seinen Grundzustand übergegangen ist. Es zeigte sich, dass die Gruppengeschwindigkeit der Photonen in den Atomwolken schneller als die Lichtgeschwindigkeit ist (das erlaubt die Relativitätstheorie, da keine Information übertragen wird!) – die Atome die Photonen also für eine »negative Zeitspanne« gehalten beziehungsweise absorbiert hatten.

Und so lässt sich festhalten: Auch die nächsten hundert Jahre bleiben ganz sicher (unüberlagert) spannend.

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