Im Griff der Kartelle

Ecuadors Wirtschaft wird mehr und mehr durch die organisierte Kriminalität bestimmt

  • Knut Henkel, Guayaquil
  • Lesedauer: 4 Min.
Sicherheitskräfte führen in Durán eine Razzia während einer gemeinsamen Operation der nationalen Polizei und der Streitkräfte Ecuadors im Viertel »Una Sola Fuerza« am 16. Oktober 2024 durch.
Sicherheitskräfte führen in Durán eine Razzia während einer gemeinsamen Operation der nationalen Polizei und der Streitkräfte Ecuadors im Viertel »Una Sola Fuerza« am 16. Oktober 2024 durch.

Die Schlangen vor dem Ministerium für soziale Inklusion sind lang. Nicht nur in Cuenca, der Kolonialstadt im Süden Ecuadors, sondern auch in Quito und Guayaquil, den beiden Metropolen des Landes. »In Ecuador ist die Armut landesweit wieder deutlich sichtbar. Das war vor fünf, sechs Jahren noch anders«, erklärt Alberto Acosta. Der Wirtschaftswissenschaftler, international bekannt als Nachhaltigkeitstheoretiker, bescheinigt Präsident Daniel Noboa genau das gemacht zu haben, was viele kritische Wähler erwartet haben. »Die Investitionen wurden überall wo möglich zurückgefahren. Es wurde gespart, um die Devisenreserven zu erhöhen und die Schulden zu bedienen. Ecuador hat sich aus der Perspektive des Internationalen Währungsfonds (IWF) wie ein Musterknabe präsentiert«, sagt Acosta, und eine Spur Ironie ist nicht zu überhören.

Unter der Regie des neoliberalen Präsidenten Daniel Noboa wurden das Haushaltsdefizit reduziert, die Währungsreserven erhöht und auch die Außenhandelsbilanz liest sich positiver. Erfolge, die sich die Regierung durchaus ans Revers heften kann. Die Haushaltskonsolidierung wurde durch eine Reduktion der öffentlichen Ausgaben erkauft. Der Staat als Investor ist quasi untergetaucht. Die Kehrseite der Politik zeigt sich auch im Gesundheitssektor, wo es keine Medikamente gibt und die Patienten bei jeder OP und jeder Untersuchung zur Kasse gebeten werden, so Ana Morales. Sie betreut gerade ihre Mutter im Hospital von Guayaquil. »Jede Spritze, jedes Medikament und selbst die Einmal-Handschuhe muss ich bezahlen«, so die 44-jährige.

Der Staat hat die Ausgaben in Gesundheit, in Bildung, in Infrastruktur spürbar reduziert. Selbst der Straßenbau, früher eine Jobmaschine, spielt derzeit keine Rolle mehr. »Unter Ex-Präsident Rafael Correa entfielen rund sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf den Straßenbau, 2024 werden es kaum 0,5 Prozent sein«, so Alberto Acosta. Das raube der Wirtschaft jegliche Dynamik. »Zumal Auslandsinvestitionen nicht, wie es Danien Noboa noch im Wahlkampf 2023 versprochen hatte, sprudeln«, so der 76-Jährige. Aus seiner Sicht müsste Noboa investieren, um die Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen. Doch das Geld ist nicht da und ein Grund dafür ist, dass zwar die Steuerlast gestiegen ist, aber längst nicht alle zahlen. »Das Grundproblem in Ecuador ist, dass die Elite ihre Steuern in aller Regel nicht zahlt. In schöner Regelmäßigkeit gibt es eine Steueramnestie, so auch im Januar 2024 als im Parlament Steuersünder wie die Familie Noboa und viele, viele andere amnestiert wurden – mit den Stimmen der Christdemokraten, des Correísmo und anderer Parteien«, ärgert sich Acosta.
Damals wurden mitten in der ökonomischen Krise mehr als zwei Milliarden US-Dollar erlassen. Das ist in Ecuador normal. Auch unter Ex-Präsident Rafael Correa (2007-17) sowie unter seinem Nachfolger Lenín Moreno (2017-2021) wurde das praktiziert.

Laut Berechnungen von UN-Organisationen wie der Cepal (UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik) gehen dem Fiskus jedes Jahr um die sieben Milliarden US-Dollar durch Steuerhinterziehung verloren. Dieses Geld könnte dafür verwandt werden, die sozialen Sicherheitsnetze weniger durchlässig zu machen, kritisieren Gewerkschaften und soziale Organisationen. Doch genau das ist in Ecuador kaum vorstellbar. »Wir stehen einem strukturellen Problem gegenüber, denn es gibt in den Eliten kein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Land und der Bevölkerung. Die Korruption ist omnipräsent«, erklärt Acosta. Jobs in Krankenhäusern werden mittlerweile gegen einen Briefumschlag mit Geld vergeben, bestätigt Ana Morales und das Annehmen von Bestechungsgeld oder auch das Einfordern sei Teil der Realität.

Zur Realität Ecuadors gehört auch, dass sich die organisierte Kriminalität weiter ausgedehnt hat. Nicht nur im Kokainschmuggel, auch im illegalen Goldbergbau, im Baugewerbe und bei Auftragsmord und Erpressung sind die Kartelle aktiv. Profitabel ist nicht zuletzt das Schleusen von Menschen in Richtung USA. Auf insgesamt mindestens 15 Milliarden US-Dollar, so schätzen Kriminal-Experten wie Fernando Carrión die Einnahmen, die die je nach Quelle 22 bis 26 Kartelle in Ecuador einnehmen – Tendenz steigend. »Die Kartelle sind die zentrale Herausforderung, aber die kommende Regierung muss auch das Stromsystem modernisieren, Jobs generieren und die Korruption bekämpfen – vier Mammutaufgaben«, betont Alberto Acosta. Wer sich denen stellen wird, entscheiden die Wähler*innen am 9. Februar. die Angst vor der Zukunft ist beinahe greifbar in Städten wie Guayaquil.

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